Eigentlich ist es schade, dass sich aus dem bemerkenswert heterogenen Œuvre Igor Strawinskys nur relativ wenige Werke dauerhaft auf den Bühnen durchsetzen konnten. Sicher, seine Ballettmusiken „Der Feuervogel“, „Petruschka“ und allen voran „Le sacre du printemps“ sind heute wohlbekannt, ebenso seine „Psalmensinfonie für Chor und Orchester“ und die „Symphony in C“ und einige andere Orchesterwerke. Seine Opern „Histoire du soldat“, „Oedipus Rex“ und „The Rake’s Progress“ werden auch immer wieder gegeben. Seine frühe Oper „Le Rossignol“ (zu Deutsch: „Die Nachtigall“) aus dem Jahre 1914 nach Motiven aus „Des Kaisers Nachtigall“ von Hans-Christian Andersen bleibt bis heute wenig beachtet.
Schon bei seinem Antrittskonzert als neuer Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters Köln brachte der finnische Dirigent Jukka-Pekka Saraste Strawinskys „Feuervogel“ in der Kölner Philharmonie zu Gehör. Mit der aktuellen Veröffentlichung, einem Live-Mitschnitt vom Mai 2012, präsentiert der „gar nicht kühle Finne“ (wie es immer wieder in Rezensionen und Pressemitteilungen heißt, sic!) Strawinskys erste, wenig bekannte Kurzoper „Le Rossignol“ in einer exzellent besetzten Neuaufnahme. Ergänzt wird das Album durch die kurzen Orchesterlied-Zyklen „Pribaoutki“ und „Deux Poèmes de Paul Verlaine“.
„Le Rossignol“ markiert den Übergang von Strawinskys frühem, gradlinigen und russischen Stil zu seinem urban flackernden „Pariser Stil“. Vom Beginn der ersten Skizzen bis zur Vollendung lag die Oper vier Jahre brach. Dazwischen lag Strawinskys Umzug nach Paris und eine Menge neuer Erfahrungen und Impulse aus dem damaligen Zentrum der Moderne. Mitten in der Oper kommt es zur räumlichen (vom Wald an den Kaiserhof) und stilistischen (von Russland nach Paris) Zäsur. Das klingt unmittelbar so drastisch anders, dass man erst einmal verwundert ins Booklet schaut, ob sich da vielleicht ein weiteres Werk dazwischen geschoben hat. Was dem jungen Strawinsky damals vielleicht als kompositorische Unausgewogenheit hätte ausgelegt werden können, ist in Wirklichkeit das „lebendige Beispiel“ einer musikalischen Revolution, die kurz vor dem ersten Weltkrieg binnen weniger Monate stattfand (und an der Strawinsky selbst, nicht zuletzt mit dem oben zitierten „Sacre Du Printemps“, maßgeblich beteiligt war).
Saraste leitet das Kölner Orchester wendig und schlank durch Strawinskys durchaus komplexe und bisweilen wuchtige Partitur, nicht ohne Sinn für Anflüge der „Barbarei“, die so essenziell für die Musik des Russen ist. Ungeschönt und eben barbarisch (im Sinne von unzivilisiert und ungeglättet), dann wieder bezaubernd, verspielt und zerbrechlich: Die Natur abzubilden, ohne die grausamen Seiten auszublenden, das war Strawinskys Stärke. Saraste und die hochkarätig besetzte Sängerriege, allen voran die brillante Sopranistin Mojca Erdmann als Nachtigall und der Tenor Evgeny Akimov als Fischer, setzen diese Vorgabe mustergültig um. Mojca Erdmann kommt mit den Koloraturen und Spitzentönen bestens zurecht: eine wahre Nachtigall. Akimov setzt lyrische, warme und weiche Akzente dagegen. Dazu musizieren Saraste und das WDR Sinfonieorchester Köln mit natürlichen Klangfarben und mit einer ausgefeilten Spielkultur, die das Orchester in vielen Jahrzehnten der intensiven Auseinandersetzung mit der Musik Strawinskys erworben hat. Die Klangregie der Radioproduktion fing den transparenten Sound des Orchesters perfekt ein. In der Summe ist dies ein ungetrübter Hörgenuss mit einem Strawinsky, den man eben nicht allzu oft zu hören bekommt, schon gar nicht in dieser Qualität.
Auf naxos.de findet man verschiedene empfehlenswerte digitale und physikalische Bezugsquellen.
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