Die Filmmusik wird ihr Stigma in konservativen Kreisen nicht los. Die Diskussion ist so alt wie die Tonspur im Film: Ist Filmmusik minderwertige klassische Musik? Ist sie ein eigenes Genre oder einfach nur eine zeitgemäße Umsetzung der klassischen Musik unter neuen technischen Vorzeichen? Immerhin haben ja die großen Komponisten von der Renaissance bis zur Romantik auch für die Bühne komponiert; gerade die Schauspielmusik entwickelte sich im 19. Jahrhundert rasant und bei Beethovens „Egmont“ oder Schuberts „Rosamunde“ zweifelt niemand an der Ernsthaftigkeit, von der Oper ganz zu schweigen.
Schostakowitsch, Korngold, Rózsa und Rota erzielten mit ihren Filmmusiken beachtliche Erfolge, schätzten sie aber teilweise selbst geringer als ihre „ernsthaften Werke“. Ennio Morricone und John Williams, zwei der seit Jahrzehnten erfolgreichsten Filmmusik-Komponisten, sind da selbstbewusster. John Williams sagte mal in einem Interview: »Was auch immer die Oper Ende des 19. Jahrhunderts war, ist nun am Ende des 20. Jahrhunderts der Film.« Filmmusik füllt heute die Konzerthallen und interessiert ein junges Publikum für Orchestermusik, das sich sonst von der „Klassik“ fernhält. Während sich die zeitgenössische Musik zumindest auch den kleinen Besetzungen und Formen zugewandt hat, spielt in der Filmmusik das Orchester immer noch eine große Rolle.
Was aber passiert, wenn man den cinematografischen Orchester-Anstrich der Kompositionen John Williams’ auf das Klavier reduziert?
Der italienische Pianist Simone Pedroni, der 1993, im Alter von 24 Jahren, die Goldmedaille bei der renommierten Van Cliburn International Piano Competition gewann, widmet sich auf „Themes and Transcriptions for Piano“ einigen musikalischen Highlights aus John Williams’ Filmmusiken der letzten 30 Jahre. Zu hören sind sowohl von Williams verfasste als auch von Pedroni transkribierte Themen aus „Lincoln“ (2012), „Sabrina“ (1995), „Presumed Innocent“ (1990, Dt. „Aus Mangel an Beweisen“), „The Empire Strikes Back“ (1980, „Star Wars: Das Imperium schlägt zurück“), „Return of the Jedi“ (1983, „Star Wars: Die Rückkehr der Jedi-Ritter“), „The Book Thief“ (2013, „Die Bücherdiebin“), „Schindler’s List“ (1993, „Schindlers Liste“), „Harry Potter and the Sorcerer’s Stone“ (2001, „Harry Potter und der Stein der Weisen“) und „Harry Potter and the Prisoner of Azkaban“ (2004, „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“).
Simone Pedroni, Jahrgang 1968, gesteht im Booklet seine Liebe zur Musik John Williams’, die bis in seine Jugend reicht. Als der junge Simone sich im Kino bei „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ der gewaltigen Musik des Symphonieorchesters bewusst wird, die die Science-Fiction-Saga akustisch nicht nur untermalt, sondern eindrucksvoll inszeniert, ist es um den jungen Musiker geschehen. Weil es nur zwei eigenhändige Bearbeitungen der Werke Williams’ für Klavier gibt, zu „Lincoln“ und zu „The Book Thief“, bearbeitet Pedroni schließlich selbst einige seiner Favoriten aus dem immensen Œuvre. Das Ergebnis ist in vielerlei Hinsicht erstaunlich. Williams’ Musik, entschlackt ohne ihre orchestrale Wucht, offenbart einen bemerkenswert (spät-)romantischen, bisweilen impressionistischen Charme und, ganz wider das Klischee der „wenig gehaltvollen Filmmusik“ erstaunliche kompositorische Substanz und Vielfalt. Dabei sind die Bearbeitungen Pedronis nicht bloße Reduktionen, sondern sensible Erweiterungen, intelligente Betrachtungen aus einem anderen Winkel, die hie und da ganz neue Aspekte zutage fördern. Das kann im Ergebnis perlend-ravelesque sein wie in „Hedwig’s Flight“ (aus „Harry Potter and the Sorcerer’s Stone“) oder perkussiv-ekstatisch wie „The Asteroid Field“ (aus „The Empire Strikes Back“).
Löblich: Pedroni meidet die ganz großen Gassenhauer (etwa das „Star Wars Theme“ oder den noch berühmteren „Imperial March“) und präsentiert eine Auswahl aus dem erstaunlich heterogenen Werk Williams. Das Album ist nicht nur ein Plädoyer für einen bedeutenden Komponisten des 20. (und 21.) Jahrhunderts, sondern auch mehr als eine Visitenkarte für den uneitlen Pianisten Pedroni und seine besonderen Fähigkeiten als Bearbeiter. Ressentiments, weil dies „lediglich“ Bearbeitungen von „nur“ Filmmusik sind, sollte man wirklich zur Seite legen. Hier kommen nicht nur Kinofans, sondern auch Freunde virtuos-verspielter Klaviermusik voll auf ihre Kosten.
Auf naxos.de findet man verschiedene empfehlenswerte digitale und physikalische Bezugsquellen.
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