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Gulda plays Mozart and Gulda

Die aktuelle, junge Musikergeneration (und nicht nur diese) bemüht sich wieder verstärkt um etwas, was im Klassikbetrieb der letzten 100–120 Jahre zunehmend verloren ging: Improvisation. Einst ein essenzieller Bestandteil jeder musikalischen Aufführung (Mozart und der junge Bach waren berühmt für ihre Improvisationen), verlor das Improvisierte, das Spontane im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Musik immer mehr an Bedeutung. Gefragt waren genaue Abbildungen des Notentextes mit wenig eigener Kreativität. Ironischerweise gestand man dabei den nicht selten egozentrischen Interpreten, und hier vor allem den Pianisten, eine Menge Manierismen zu, die eigene Note (!) blieb aber verpönt. Und ein Flirt mit der U-Musik blieb, bis auf einige Operetten- und Schlager-Alben von Sängern, undenkbar. Die erhabene E-Musik war schließlich ernst und wollte nicht unterhalten.

Lange bevor Künstler und Künstlerinnen wie Gabriela Montero und Fazil Say (beide Jahrgang 1970) neben Werkstreue die Improvisation und die Interaktion mit dem Publikum wieder hoffähig machten, war der Wiener Pianist Friedrich Gulda (1930–2000) einer der wenigen, der es wagte, in den fracksteifen heiligen Hallen der Kulturbetriebe so etwas wie Individualität und Nonkonformismus zu propagieren. Wäre Friedrich Gulda nicht einer der besten Bach-, Beethoven- und Mozart-Interpreten seiner Zeit (und nicht nur) gewesen, so hätte man seine Eskapaden gewiss nicht geduldet, weder seine Verbalattacken gegen das (musikalische und politische) Establishment noch seine Liebe zum Jazz. Denn bei aller Lust am Regelbruch: Wenn Gulda die Großen spielte, dann war er ganz bei ihnen, dann ging er völlig auf in ihrer Musik. Trotz seines rebellischen Geistes stand er für unbedingte Werkstreue ohne den für seine Generation noch üblichen romantisierenden Zuckerguss. Er improvisierte, wo die Komponisten ihm das Improvisieren ermöglichten, etwa in den Kadenzen oder zwischen den Stücken.

Für das Album „Gulda plays Gulda and Mozart“ hat das hauseigene Label des Bayerischen Rundfunks BR Klassik zwei Archiv-Aufnahmen zusammengeführt. Die beiden Mozartschen Rondos für Klavier und Orchester in A-Dur, KV 386 und D-Dur, KV 382 sind in Aufnahmen mit dem Symphonieorchester des BR unter Leopold Hager aus dem Münchener Herkulessaal der Residenz vom 4. Oktober 1969 zu hören. Sie umrahmen die Solo-Aufnahmen Guldas, die im Deutschen Museum am 27. Juni 1982 während eines gemeinsamen Konzerts mit Chick Corea (bekannt als „The Meeting“) als Solo-Intermezzo entstanden.

Die beiden musikalischen Seelen in der Brust Friedrich Guldas (die in Wirklichkeit nur ein und dieselbe waren) sind auf diesem Album friedlich vereint: die des begnadeten Mozart-Pianisten mit unbedingter Werktreue aber nicht ohne Wiener Nonchalance und die des Improvisators und Komponisten, der natürlich und unverkrampft aus einer grantigen Improvisation in eine Mozartsonate (hier: die Sonate in C-Dur, KV 330) überleiten konnte. So galant und verspielt in der Sonate, so ironisch bei seinen eigenen Kompositionen (dem „Übungsstück Nr. 1 aus ʹPlay Piano Playʹ“ und der Aria aus der „Suite for Piano, E-Piano and Drums“) und so unvorhersehbar in seinen Improvisationen, war Friedrich Gulda ein Phänomen, das seiner Zeit weit voraus war und das immer noch in seinen Bann zu schlagen weiß.

Heute würde Friedrich Gulda vermutlich weniger Unverständnis entgegengebracht werden (obwohl sich das europäische Publikum bisweilen immer noch unglaublich konservativ und regressiv verhalten kann). So aber war der Wiener Pianist ein Unikum, einer der wenigen europäischen Wegbereiter einer neuen, zeitgemäßen Rezeption von Musik, wider eine willkürliche Kategorisierung von Musik und wider eine verknöcherte Auffassung von „Hochkultur“ und ihrer künstlichen Grenzen. Und das ist im Ergebnis immer noch ein großes Hörvergnügen.

Published inAlben vorgestellt

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