„In der Kürze liegt die Würze“ sagt das Sprichwort und meint den Redner, der sich besser kurzfasst, damit ihm das Publikum nicht einschläft. Was für den Redner (und hoffentlich nicht für den Blogger!) empfehlenswert ist, gilt üblicherweise nicht für das Streichquartett. Spätestens seit Haydn und erst recht seit Beethovens späten Quartetten haben Streichquartette geradezu symphonische Ausmaße angenommen. Kein Wunder, dass es immer wieder Versuche gab, das eine oder andere Werk zu orchestrieren und als Sinfonie (oder im Falle Schostakowitschs als Kammersinfonie) zu etablieren.
Aber es gibt sie schon, die Miniaturen für Streichquartett. Seit der Wiener Klassik experimentierten Komponisten nicht nur mit der großen, sondern immer wieder auch mit der kleinen, komprimierten Form. Das in den USA beheimatete, international besetzte Arabella Quartet (mit Musikern aus Australien, Dänemark, Frankreich und Italien) hat für sein CD-Debüt „In The Moment – Short Pieces for String Quartet“ gezielt kleine Preziositäten für Streichquartett des 19. und des 20. Jahrhunderts zusammengestellt: Werke von Joaquín Turina, Anton Webern, Felix Mendelssohn, Dmitri Schostakowitsch, Carl Nielsen, Hugo Wolf, Giacomo Puccini, Antonín Dvořák und Franz Schubert findet man selten auf einem Album vereint.
Die beiden kleinen Schostakowitsch-Stücke verdienen besondere Beachtung: Die „Zwei Stücke für Streichquartett“ sind zwei äußerst sorgfältige Bearbeitungen bekannter Kompositionen: Die „Elegie“ greift ein Adagio aus dem ersten Akt der berühmten (und berüchtigten) Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ auf; die „Polka“ ist ein Allegretto aus der Ballettmusik „Das goldene Zeitalter“. Die Transkriptionen wurden erst nach dem Tod des Komponisten in den 1980er Jahren wiederentdeckt und sind bis heute nur sehr selten in den Gesamtaufnahmen der Streichquartette des Russen zu finden.
Nicht nur die Schostakowitsch-Trouvaillen sind ursprünglich für eine andere Besetzung geschrieben worden. Turinas „La Oración del Torero“ entstand ursprünglich für Lautenquartett (!), Dvořáks acht Walzer op. 54 wurden zunächst für Klavier geschrieben. Auf Wunsch eines Musikverlegers arrangierte Dvořák die Walzer Nr. 1 und 4 für Streichquartett.
Andere Stücke auf dem Album, namentlich Weberns „Langsamer Satz“ und Schuberts „Quartettsatz“ sind isolierte Einzelwerke bzw. Fragmente, die eine Sonderrolle im Œuvre des jeweiligen Komponisten einnehmen, die aber nichtsdestoweniger essenzielle Bestandteile des Werkkatalogs sind.
Das Arabella Quartet – Sarita Kwok und Julie Eskær, Violine, Ettore Causa, Viola und Alexander Lecarme, Cello – spielt die mal introvertierten, mal quirligen Werke mit viel Sinn für die jeweilige Stimmung der Stücke. Obwohl hier (bewusst?) Kompositionen mit unterschiedlichsten Grundstimmungen quasi „gegeneinander“ aneinandergereiht wurden, hat das Album etwas ungemein homogenes. Das liegt am erstaunlich harmonischen Ensembleklang. Man hat das Gefühl, die vier Musiker spielen seit vielen Jahren miteinander, in Wirklichkeit gründete man sich erst 2012.
Das Arabella Quartet vereint in seiner Besetzung das Beste der amerikanischen und europäischen Streichquartett-Traditionen. Die vier Mitglieder trafen als Studenten an der Yale School of Music zum ersten Mal aufeinander und brachten Erfahrungen aus dem Pariser Konservatorium, der Wiener Privatuniversität für Musik und Kunst und der Menuhin Academy mit in das gemeinsame Quartett ein. Dies ist eine hervorragende Grundlage für eine steile Karriere und für einen individuellen Ton inmitten einer schier unübersichtlichen Schar junger, talentierter Streichquartette. Das Debütalbum „In The Moment“ ist auf jeden Fall (mehr als) eine glänzende Visitenkarte für das Ensemble.
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