Der Einfluss, den die Aufführungen von Theaterstücken Shakespeares im Théâtre de l’Odéon im September 1827 auf den französischen Komponisten Hector Berlioz hatten, können gar nicht hoch genug für die Musikwelt bewertet werden. Denn angeregt von den wunderbaren Theaterstoffen des englischen Renaissancedichters, begann Berlioz sich mit diesen Inhalten zu beschäftigen, um sie in Musik umzusetzen. Er schrieb Werke, die auf der Basis von Stücken wie „Hamlet“, „Der Sturm“, „König Lear“ oder „Viel Lärm um Nichts“ entstanden. Doch sein Traum blieb für lange Zeit, sich mit dem niemals alt werdenden Stoff des Dramas „Romeo und Julia“ zu beschäftigen. 1939 war es dann soweit. Doch die Möglichkeiten, sich einem solchen Stoff zu widmen, hing auch von monetären Umständen ab. Und da kam ihm kein Geringerer als der weltberühmte Virtuose Niccolò Paganini zu Hilfe. Er hatte im Dezember 1839 Berlioz’ „Harold in Italien“ und dessen Sinfonie für Viola und Orchester gehört und bot dem Komponisten, tief beeindruckt von der Musik, 20.000 Francs als Geschenk an. Genau das gab Berlioz die Freiheit, sich endlich mit dem Thema „Romeo und Julia“ zu beschäftigen. Das Ergebnis ist ein Werk, das Musikgeschichte schrieb und Begeisterung bis heute verbreitet.
Der Komponist wollte keine Oper schreiben, sondern versuchte – wie in seiner neun Jahr zuvor entstandenen „Symphonie fantastique“ – einmal mehr eine neue Tonsprache und eine neue Form für seine Idee zu finden, sich dem Thema „Romeo und Julia“ zu nähern. Das Ergebnis war wieder einmal eine Hinwendung zu Beethoven. Denn dessen 9. Sinfonie stand gleichermaßen als Vorbild Pate für Berlioz’ „Roméo et Juliette“, das er selbst in seinem Vorwort zu diesem Werk als „dramatische Symphonie“ bezeichnete. Er sagt: „Auch wenn hier vokale Kräfte oftmals herausgehoben sind, ist dies keine Konzertoper, oder eine Kantate […]“ Vor dem französischen Komponisten Berlioz hatten schon andere sich dem Stoff Shakespeares genähert, doch immer mit der Idee, die Akteure der unglücklichen Liebesgeschichte agieren zu lassen. Genau dies ist es, was Berlioz nicht tut. Vielmehr lässt er die Geschichte erzählen, um sich nicht auf das Glatteis zu begeben, die Charaktere selbst zu Wort kommen zu lassen. Allein die Gestalt des dem Liebespaar zugewandten Priesters Friar Laurence tritt persönlich an, um seine Sicht der Dinge zu schildern. Ansonsten entwickelt Berlioz ein neues Genre, eine Sinfonie, die mit ihren chorischen Gesangspartien ein neues Kapitel in der Musikgeschichte aufschlägt.
Wer könnte diese Musik besser zum 150. Todesjahr (am 8. März 2019) interpretieren, als eine grandiose Riege von französischen Sängern, gepaart mit einem französischen Ensemble, das von einem erfahrenen Dirigenten geleitet wird? Dies ist eine rhetorische Frage, denn mit Marion Lebèque, Julien Behr und Frédéric Caton hat man dem Chœurs et Soloistes de Lyon-Bernard Tétu und dem Orchestre National de Lyon Solisten an die Seite gestellt, die alle famose Sänger sind. Und mit dem amerikanischen Dirigenten Leonard Slatkin, der seit Jahren Musikdirektor des Lyoner Orchesters ist, hat man einen der erfahrensten Leiter solch komplexer Musik vor sich. Kein Wunder also, dass die virtuos-sinnliche Schreibweise Berlioz’ in dieser Einspielung so famos zum Tragen kommt, dass man meinen könnte, man höre diese ewig moderne Musik zum ersten Mal. Brillanz, Einfühlungsvermögen, famose Stimmen und die Schlagkraft des Orchesters machen diese Einspielung, die bereits 2014 aufgenommen wurde, zu einem Erlebnis. Man kann sich glücklich schätzen, dass diese Aufnahme nun auf Doppel-CD erscheint. Sie wird wohl zum Vergleichsstandard für alle anderen Aufnahmen von „Roméo et Juliette“ von Hector Berlioz werden …
Schreibe den ersten Kommentar