Als die isländische Stil-Ikone, Komponistin und Sängerin Björk, die mit vollem Namen Björk Guðmundsdóttir heißt, im August des Jahres 2001 ihr viertes Studio-Album unter dem Titel „Vespertine“ vorstellte, war die Fachpresse sich einig darüber, dass es mit Abstand das experimentellste und sicherlich auch introvertierteste Album der Ausnahmekünstlerin sei. Das erregte Aufsehen, denn immerhin waren auch die zuvor veröffentlichten Alben immer schon mit Hinblick auf die Clubmusik der 1990er Jahre neu und anders. Doch dieses Album hat über die gesamten 12 Titel eine gemeinsame Thematik: Es handelt von einer neuen Liebe, aber auch von Ängsten und innerer Gewalt, von rauschhaften, erotischen Zuständen, in denen man sich dennoch aufgrund von Enge und Abhängigkeit fürchtet. Aus einer bewusst weiblichen Sicht werden Fragen an Körper, Gefühl und Natur gestellt.
In der Spielzeit 2017/18 hat sich das Mannheimer Nationaltheater darangemacht, gemeinsam mit dem dänischen Performance-Kollektiv „Hotel Pro Forma“ aus dem Album von Björk eine Oper zu kreieren. Das ist etwas ganz Besonderes, denn die Künstler der Gruppe „Hotel Pro Forma“ aus Dänemark sind bekannt dafür, Theaterstilmittel geschickt mit Musik zu verbinden, ohne dabei die zentralen Aussagen des Originals zu verunstalten. Bei dieser besonderen Aufgabe in Mannheim ging es ihnen um die Wiedergabe der Ästhetik, die Björk in ihren intimen Geständnissen von Erotik und dem Aufzeigen wie Körper und Seele mit der Natur verbunden sind, in ihren Songs beschreibt. Natürlich ist dies mit einer Musik, wie sie Björk kreiert, um ein Vielfaches leichter als mit simpler Pop-Musik. Björk hat bereits in ihrer musikalischen Anlage Grundlagen für die Öffnung von orchestralem Klang und mehrstimmigem Gesang gelegt.
Dass solch eine Umsetzung verlangt natürlich auch die visuelle Ästhetik. Und so entwickelte die Regisseurin Kirsten Dehlholm mit dem ihrem Team visuelle Welten, die die emotionalen Ebenen der Aussagen widerspiegelt. Wenn man sich nach den Charakteren der Oper fragt, wird man verblüfft sein, denn durch die Bedeutung von Biologie und Natur in den Kernaussagen von Björk sollten die Charaktere diese Dinge entsprechend darstellen. So hat man die Aussagen auf Rollen wie eine Wissenschaftlerin, hier gesungen von Ji Yoon, eine Doppelgängerin (Aki Hashimoto), den Wolkenjungen (Simon Oesch) sowie den erleuchteten Mann (Raymond Ayers) verteilt. Hinzu kommen auch die Naturelemente: Die Steine werden vom Kinderchor, die Natur vom Frauenchor des Mannheimer Nationaltheaters gesungen. Doch das Orchester des Mannheimer Nationaltheaters allein konnte nicht ausreichen, um die Klänge, die Björk auf ihrem Album auch mithilfe elektronischer Mittel erzeugt, darzustellen. So wurden – wie es andere große Komponisten wie Wagner oder Strawinsky bereits vorgemacht haben – innerhalb des Orchesters kleine Spezialensembles gebildet, um bestimmte klangliche Stimmungen auszudrücken. Zudem arbeitete man zusätzlich mit „Himmelfahrt Scores“ zusammen, einem Zusammenschluss der beiden Hamburger Komponisten und Arrangeure Roman Vinuesa und Peter Häublein. Und man suchte zudem nach bestimmten, zum Teil erfundenen Percussion-Instrumenten, die Sven Kacirek zu erfinden begann. Um dieses interessante Kollektiv von Musikern zusammenzuhalten, war der Australier Matthew Toogood am Pult, der seit der Spielzeit 2016/17 als Kapellmeister am Mannheimer Nationaltheater wirkt.
Das Ergebnis: ein intensives Augen- und Hörerlebnis, das zwar zum einen die Intimität der Songs von Björk noch aufrechterhält, aber durch die mächtigen visuellen Eindrücke und die Orchesterklänge mit zugespielten Eindrücken aus Natur und technischem Leben eine Ebene erreicht, die man mittels eines Videos niemals hätte darstellen können.
Am 26. Mai 2018 fand die Premiere im Mannheimer Nationaltheater statt. Gut, dass diese brillante Opern-Adaption der so eindringlichen Songs der wunderbaren Künstlerin Björk auf 2 CDs von OEHMS CLASSICS festgehalten wurde. Denn es ist ein zeitloses Dokument einer Künstlerin, die sich in ihrer Tonsprache – ohne es zu wollen – in die Liste der Opernkomponisten von heute vielleicht besser eintragen lässt als andere.
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