Es ist eine ganz persönliche CD, die der Cellist Johannes Moser da bei dem Label PENTATONE vorlegt. Die Cellokonzerte des Polen Witold Lutosławski aus dem Jahr 1970 und des Franzosen Henri Dutilleux (entstanden zwischen 1967 und 1970) sind für Moser verbunden mit ganz persönlichen Erkenntnissen. Bereits als Achtjähriger entdeckt er sie, kann aber damit nichts anfangen. Als 20-jähriger „verliebt“ er sich in diese beiden Werke, die von dem Jahrhundert-Cellisten Mstislav Rostropovich angeregt wurden. Beide Konzerte gehören heute in den Kanon der Cello-Konzertliteratur der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, dem Jahrhundert der Cellokonzerte schlechthin.
Witold Lutosławskis Konzert ist ein Ausdruck der Zeit, denn er befasst sich in diesen Jahren stark mit der Aleatorik, einem Zufallsprinzip in der Musik, die den Interpreten viele Freiheiten gewährt. Wie also ist diese Musik aufzuführen? Denn neben der Freiheit gibt es auch ein konzertantes Element in diesem Konzert, das auf diese Weise nur selten existiert. Es ist ein Kampf zwischen Orchester und Cello, der da geschrieben wurde, einer über den sich Rostropovich beschwerte, da er meinte sein Spiel würde vom Orchester verdeckt werden, worauf Lutosławski ihm antwortete: „Am Ende wirst Du triumphieren!“ Wie in einem paradiesischen Gefilde hebt das Cello mit einer Kantilene den ersten der vier Sätze an, doch wird es – wie auch in der Folge der anderen Sätze – immer wieder jäh von den Blechbläsern unterbrochen. Es entsteht ein Hin und Her, eine Art von Versinnbildlichung des Konzertierens, des Gegeneinanders. Zwischenzeitlich scheint sich das Soloinstrument mit den Streichern zu verbünden, die eine Weile wie Beobachter das Geschehen kommentiert hatten. Doch auch hier brechen die Bläser mit Kraft in das Geschehen ein, verwandeln das Orchestertutti in ein Chaos. Am Ende gibt das Solo-Cello jammernd auf. Die Unmittelbarkeit dieses Werks ist trotz der geordneten Freiheit im Orchesterpart, die das kompositorische Prinzip der Aleatorik bietet, ist frappierend und wirkt mit großem Effekt auf den Zuhörer. Johannes Moser findet sich in dieser strategisch und trotz der Freiheiten mathematisch durchdachten Musik wunderbar zurecht, agiert kampfeslustig, aber ohne Frustration. Ganz im Gegenteil genießt er die schönen Aussagen seines Soloparts. Und damit kann er auch der Ansicht Rostropovichs, der meinte, in diesem Werk eine politische Aussage zu erkennen, eine Unterdrückung des Individuums durch repressive Kräfte, entgegenwirken, die schon der Komponist verneinte.
Vollkommen anders stellt sich das Cellokonzert von Henri Dutilleux dar. Inspiriert hat sich der Komponist von Gedichten Charles Baudelaires. Dessen 1857 geschrieben „Les Fleurs du mal“ bilden die Grundlage für die fünf Bilder des Konzerts. Hier nun integriert sich das Soloinstrument kongenial in den Orchesterklang. Dieses unter dem Namen „Tout un monde lointain …“ („Ganze, weit entfernte Welt …“) geschriebene Konzert ist typisch für die Arbeitsweise von Dutilleux, der geradezu besessen von einer Detailliebe war, die dazu führte, dass er lange an seinen Werken arbeitete und entsprechend wenige in seinem langen Leben fertigstellen konnte. Auch in diesem Cellokonzert zeigt sich diese Detailarbeit. In der Dynamik ebenso wie in den Phrasierungsangaben. Und auch hier kann sich Johannes Moser brillant in die Bilder- und Emotionswelt des Komponisten eindenken, kann es – selbst fasziniert von den Möglichkeiten, die ihm dieses Werk da offenbart – mit so viel Verve und agogischer Raffinesse zum Leben erwecken, dass man meint, er habe dieses Konzert selbst erdacht. Das macht überhaupt die Interpretationskunst des deutschen Cellisten aus: Er verinnerlicht die Werke, die er spielt, er vermag sich so stark in die Musik einzudenken und mit ihr zu identifizieren, dass man als Zuhörer meint, diese Musik zum ersten Mal zu hören. Und diese Brillanz, die Freude am Spiel und der Musik überträgt sich hier gleichbedeutend auf das passgenau agierende Rundfunk-Sinfonierorchester Berlin unter der Leitung des dänischen Dirigenten Thomas Søndergård.
Mit dieser Einspielung hat Johannes Moser nicht nur ein ganz persönliches Abenteuer in seiner Biografie durchlebt, denn beide Werke hat er vielfach im Konzert gespielt, sondern er liefert eine Reverenzaufnahme, an der sich andere Cellisten nach ihm messen lassen müssen.
Auf naxos.de findet man verschiedene Bezugsquellen für das Album.
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