Die japanische Perkussionistin Kuniko (ihren Nachnamen Kato führt sie als „Stagename“ nicht) gehört zu einer neuen Generation von Künstlern und Künstlerinnen, die Musik außerhalb der gängigen Schubladen begreifen und sich sowohl dem Gehalt der Musik verpflichtet sehen, wie der Möglichkeiten der künstlerischen Umdeutung und Umformung. Ihr Instrument, die Marimba, ist keines, für das es ein großes klassisches Werk gäbe. Die Notwendigkeit sich ein eigenes Repertoire zu schaffen, sprich zu transkribieren, ist also fast immer der Ausgangspunkt im schöpferischen Prozess der Japanerin.
Nach Alben mit zeitgenössischen Werken von Reich, Pärt und Xenakis hat sich Kuniko nun erstmalig (auf einem Album) der „alten Musik“ Johann Sebastian Bachs zugewandt. In ihren Live-Programmen war die Musik Bachs stets präsent. Transkriptionen der Cellosuiten Nr. 1, 3 und 5 und der Violinsonaten Nr. 1–3 stehen im Zentrum des neuen Doppelalbums. So ungewöhnlich die Wahl des Instruments, eben die Marimba, so nonkonformistisch sind auch ihre Bearbeitungen, ihre Wahl der Tempi und ihre Interpretationen. Dies vorab: Für Puristen ist dies sicher kein empfehlenswertes Album. Sie werden entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und Kunikos Musik als „Sakrileg“ brandmarken. Sicher: historisch-informiert auf Originalinstrumenten kann Bach auf der Marimba eben nicht sein. Aber bedeutet das, dass man Bach nur so spielen darf, wie wir heute glauben, dass er zur Entstehungszeit gespielt wurde (auch wenn sich diese Auffassung ständig verändert)?
Kuniko nimmt sich ausdrücklich die Freiheit, „ihren“ Bach zu spielen (»This music has become my Bach, and I will continue to perform it.«) und wer ihrem Weg folgt, der entdeckt durch ihre Deutungen einen ganz neuen Bach: Ihr Spiel ist (naturgemäß) perkussiv, gleichzeitig sehr nuanciert, sanft und bemerkenswert non-legato, wie es Glenn Gould sicher erfreut hätte. In ihren gemäßigten Tempi erlaubt sie sich Modulationen und Synkopierungen; nicht Schnelligkeit ist Trumpf, sondern der Klang jeder einzelnen Note wird zum Gegenstand der Betrachtung. Bachs Streicherwerke werden auf der Marimba zum plastischen Objekt, dessen Kontrapunkt quasi dreidimensional wahrgenommen werden kann. Was in den Originalen für die Streichinstrumente naturgemäß fließt, schreitet in Kunikos Marimba-Fassungen unwiderstehlich voran. Das macht aus den wohlbekannten Stücken fast neue Bach-Werke, die gleichsam fremd und doch vertraut sind. Ein direkter Vergleich mit den „Originalen“ auf Cello bzw. Violine ist nicht zwingend notwendig. Kunikos Bearbeitungen sind auch ohne Vergleich mit der Referenz purer Bach, die vor allem Hörer ansprechen werden, die neben den mathematisch-architektonischen Meisterwerken des Thomaskantors auch ein Faible für die neuen Ausdrucksformen der zeitgenössischen Musik haben.
Die perfekte Klangqualität der Aufnahmen (sie entstanden in der Jaani Kirik im estnischen Tartu), und die lesenswerten persönlichen Anmerkungen im Booklet runden das sehr positive Bild einer äußerst ungewöhnlichen Veröffentlichung ab.
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