Von Johann Sebastian Bach sind weit über 1000 Werke bekannt. Ergibt es da wirklich Sinn, Bearbeitungen aufzunehmen oder gar neue zu erstellen? Die überraschende Antwort lautet: ja, sicher! Man verstehe mich nicht falsch: Natürlich gibt es jede Menge völlig sinnfreier, schlechter oder zumindest mittelmäßiger Bearbeitungen und Transkriptionen, die offenbar keinen anderen Sinn haben, als die Eitelkeit des Bearbeiters zu befriedigen (oder eines Interpreten, der unbedingt Bach auf seinem Instrument spielen will). Das bedeutet aber im Umkehrschluss nicht, dass es nicht überaus wertvolle und aufregend spannende neue (und historische) Bearbeitungen gibt, die es wirklich wert sind, entdeckt zu werden und die Bachs Œuvre durchaus bereichern.
Die lettisch-amerikanische Pianistin Eleonor Bindman hat eine neue Fassung der Brandenburgischen Konzerte zu vier Händen geschrieben, weil sie mit der von Max Reger erstellten nicht zufrieden war. Bei Reger besteht eine Diskrepanz zwischen dem hohen Primo-Part und dem tiefen Secondo-Part, der weite Teile der Polyphonie der Werke regelrecht verschluckt. Bindmans oberstes Ziel bei ihrer Transkription war es, eine Balance zwischen den beiden Parts herzustellen und somit Bachs polyphone Kontrapunktik klar und transparent abzubilden. Sie schreibt dazu im Booklet: »Mein Hauptziel war eine Übertragung, die die Polyphonie betonte. Dabei versuchte ich mir vorzustellen, wie Bach wohl die Partitur aufgeteilt hätte, wenn er vierstimmige Inventionen hätte arrangieren wollen.«
Das Ergebnis sind sechs „Brandenburgische Duette“, die Eleonor Bindman gemeinsam mit der in Taiwan geborenen (und in Österreich aufgewachsenen) amerikanischen Pianistin Jenny Lin aufgenommen hat. „Klassenziel voll erreicht“ möchte man sagen und mehr noch: Bindman schuf nicht nur sehr gut ausbalancierte Fassungen der Konzerte für Klavier zu vier Händen, ihr gelang es auch mit ihrer musikalischen Partnerin die vorzüglichen Bearbeitungen mit Leben und Spielfreude zu füllen, ohne die luftige Transparenz der Musik auch nur einen Augenblick aufzugeben. Im Gegensatz zu Regers Versuch, bei dem »der eine Pianist sich bemühen [muss], den verwickelten Diskant zu durchforsten, während der andere durch den ereignislosen Bass trottet« sind die „Brandenburgischen Duette“ echte, gleichberechtigte Duette, die keine der Stimmen spieltechnisch über- oder unterfordern. Bindman und Lin, die sich die verschiedenen Primo- und Secondo-Parts teilen, spielen bei dieser exzellenten Produktion präzise miteinander und geradezu verschmolzen in den Tutti-Parts. Dennoch sind die (transkribierten) Solostimmen der Hörner, Trompeten, Blockflöten, Bratschen usw. sehr gut identifizierbar.
Fazit: Die „Brandenburgischen Duette“ sind eine wunderbare,hoch erfreuliche Bereicherung der großen Bach- und der Brandenburgische-Konzerte-Diskografie. In ihrer Frische und Originalität können sich Bindmans Bearbeitungen durchaus an einem Großteil der Einspielungen der Originalkonzerte messen. Bach lebt mehr in diesen liebevollen und durchdachten Bearbeitungen als im angestaubten Bach-Klischee, das immer noch viel zu oft in Einspielungen der Bachschen Originalwerke durchschimmert.
Auf naxos.de findet man verschiedene empfehlenswerte digitale und physikalische Bezugsquellen.
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