Während die großen Orchesterwerke, insbesondere die Sinfonien Dmitri Schostakowitschs, unter besonderer Beobachtung der stalinistischen Kulturschergen standen, konnte sich der Komponist in seiner Kammermusik freier und ungezwungener ausdrücken. Und so sind seine Kammerwerke oft unmaskierter in ihrer Stimmung. Kein vordergründiger Optimismus, keine aufgezwungene Melodien-Seligkeit, stattdessen ein ungefilterter Schostakowitsch: ehrlich, melancholisch, düster, ironisch, sarkastisch, bitter und resigniert.
Schostakowitschs einzige Violinsonate entstand 1968 und gilt als eines seiner intensivsten und kryptischsten Werke: fragmentarisch im ersten Satz, schroff und dissonant im Mittelteil und beklommen im Schlusssatz. Gemeinsam mit der Cellosonate (aus dem Jahre 1934) und der Violasonate (sein Schwanengesang von 1975) gehört die Violinsonate zu einer Art losem Triptychon von Solo-Sonaten, in denen Schostakowitschs Klangsprache (und deren Wandel im Laufe der Jahre) am kompromisslosesten umgesetzt wurde.
Die „24 Präludien für Klavier solo“ op. 34 entstanden 1932/33 und waren ein moderater Erfolg für den gerade von der Prawda wegen seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ vernichtend kritisierten Schostakowitsch. Schon bald nach der Uraufführung (durch Schostakowitsch selbst, niemand wollte seine Musik spielen) begann der Violinist Dmitri Tsyganov 1937 erst vier, später (1961 und 1963) fast alle anderen Präludien für Violine und Klavier einzurichten. Tsyganov war Mitglied des Beethoven-Quartetts und stand der Musik Schostakowitschs sehr nahe: Sein Ensemble zeichnete sich für die Uraufführungen einiger Streichquartette verantwortlich. Die Komponistin und Pianistin Lera Auerbach vervollständigte den Zyklus für Klavier und Violine im Jahr 2000 und arrangierte die letzten fünf fehlenden Präludien. Zusammen mit der Violinsonate sind sie das einzige Schostakowitsch-Material, das für Geige und Klavier vorliegt.
Der Violinist Sergei Dogadin, Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs in Moskau 2011 und des Joseph-Joachim-Violinwettbewerbs in Hannover 2015 und der Pianist Nikolai Tokarev, Echo-Preisträger 2007 für sein Debütalbum „No. 1“, haben sich dieses auf der Bühne eher selten aufgeführten Repertoires angenommen. Dogadin hatte erst vor Jahresfrist bewiesen, dass er ein fähiger Schostakowitsch-Interpret ist: Er war einer der Solisten auf Alexander Sladkovskys exzellenter Gesamteinspielung der Konzerte Dmitri Dmitrijewitschs.
Und auch heuer beweist Dogadin, dass sein silbrig-feiner Violinklang ohne Sentimentalitäten und mit wenig Vibrato ein hervorragendes Vehikel für Schostakowitschs zwar beklommene, aber eben niemals larmoyante Klangsprache ist. Nikolai Tokarev, seit Jahren Duo-Partner Dogadins, belegt durch dosiertes und fein distinguiertes Klavierspiel sein bemerkenswertes Einfühlungsvermögen. Man muss schon lange in der (dann doch erstaunlich großen) Diskografie der Violinsonate suchen, um eine ähnlich engagierte und konzentrierte Einspielung zu finden: Oleg Kagans und Sviatoslav Richters Aufnahme bleibt hier sicher ewige Referenz, aber das ungleich unbekanntere (und jüngere) Duo Dogadin/Tokarev beweist, dass man auch im 21. Jahrhundert, zwei Generationen nach der Entstehungszeit des Werkes, mit derselben emotionalen Intensität und inneren Spannung die Violinsonate spielen kann. Und das ist mehr als beachtlich.
Was die „24 Präludien“ anbelangt, so gibt es derzeit nur zwei weitere vollständige Alternativen der Tsyganov-Bearbeitungen mit den Auerbach-Ergänzungen, und zwar von Tatiana Goncharova (p) und Grigory Kalinovsky (v) respektive Leticia Moreno (v) und Lauma Skride (p). Dogadins und Tokarevs Interpretationen bewegen sich im Vergleich auf höchstem Niveau und bieten insgesamt einen guten Kontrast zur sicherlich schwerer zugänglichen Violinsonate. Zu erwähnen bleibt überdies die exzellente Klangqualität der Aufnahmen, die im Jacobysaal der Musikhochschule Hannover entstanden.
Auf naxos.de findet man verschiedene empfehlenswerte digitale und physikalische Bezugsquellen.
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