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Brasil Guitar Duo · Delaware Symphony Orchestra, David Amado: Leo Brouwer – The Book of Signs · Paulo Bellinati – Concerto Caboclo

Das 20. Jahrhundert war (in gewisser Weise) das Jahrhundert der Gitarre in der klassischen Musik (in der populären Musik, spätestens ab den 1960ern sowieso). Ausgelöst durch die charismatische Wirkung Andrés Segovias wandten sich viele zeitgenössische Komponisten der Gitarre zu. Nach Segovia folgten weitere Gitarristen (Julian Bream, John Williams, Los Romeros und Narciso Yepes, um einige der populärsten Namen zu erwähnen), die Komponisten zu neuen Werken inspirierten oder diese gar direkt damit beauftragten.

Dieser Trend hat sich auch im frühen 21. Jahrhundert fortgesetzt. Neue Gitarrenkonzerte von namhaften Komponisten sind keine Seltenheit mehr. Zwei der interessantesten aktuellen Beiträge zur Gattung kommen (wie so viele) aus Lateinamerika, namentlich „The Book of Signs“ des Kubaners Leo Brouwer (*1939) und das „Concerto Caboclo“ des Brasilianers Paulo Bellinati (*1950). Bei beiden handelt es sich um Konzerte für zwei Gitarren und Orchester. Während Brouwer weltweit als einer der wichtigsten lebenden Komponisten für Gitarrenmusik gilt, ist Bellinati außerhalb seiner Heimat eher ein Geheimtipp, zumindest unter der Nicht-Gitarren-affinen. Sowohl Brouwer als auch Bellinati sind selbst virtuose Gitarristen. Das Brasil Guitar Duo, bestehend aus João Luiz und Douglas Lora, hat die beiden Konzerte als Weltersteinspielung gemeinsam mit dem Delaware Symphony Orchestra unter David Amado eingespielt.

„The Book of Signs“ ist Brouwers zehntes Gitarrenkonzert, allerdings sein erstes für zwei Gitarren und Orchester. Mit rund 45 Minuten Spielzeit ist es bemerkenswert umfangreich. Während der erste Satz („The Signs of Memory“) sich direkt auf Beethoven bezieht – es beinhaltet 18 eigene Variationen des Themas der „32 Variationen über ein eigenes Thema in c-Moll“ WoO 80 Beethovens – behandeln der zweite („Variaciones sobre un tema sentimental“) und dritte Satz („Allegro“) eigene und folkloristische Melodien und Metren. Musikalisch ist das Konzert geprägt von Brouwers zahlreichen harmonischen und rhythmischen Einfällen. Das Brasil Guitar Duo meistert sowohl die technisch komplizierten schnellen dialogartigen Passagen des ersten und dritten Satzes als auch die ausgeprägt melancholischen Duopassagen des Mittelsatzes. Die blitzsaubere Technik Luiz’ und Loras, speziell ihre hohe Anschlagkultur und ihre präzise Grifftechnik, machen aus der Konzertaufnahme, auch dank des aufmerksamen Orchesters, einen regelrechten Klangrausch. Die zentralen Gitarrenparts erfordern ein Höchstmaß an Präzision und intuitivem Verständnis. Das Brasil Guitar Duo legt hier die ganze Erfahrung seiner 20-jährigen Karriere in die Waagschale.

Bellinatis „Concerto Caboclo“ ist eine Hommage an die Folklore seiner Heimatregion São Paulo, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Brasiliens mit seiner ausgeprägt eigenen Identität. Diese hat nur sehr wenig mit den Klischees zu tun, die Europäer gemeinhin von Brasilien und brasilianischer Kultur (oder gar Musik) haben. Das Concerto verbindet üppige, bisweilen fast cineastische Orchester-Harmonien mit den einfachen Rhythmen der „Caboclo“ (eine Bezeichnung für Brasilianer mit gemischter Abstammung mit europäischen und indianischen Vorfahren) und ihrer zurückhaltenden, leise poetischen Volksmusik, der „Música caipira“. Das Brasil Guitar Duo stammt wie Bellinati aus São Paulo. Die kulturelle Vertrautheit zur Música caipira ihrer Heimat und die Fähigkeit selbst die virtuosesten Passagen leicht und unaufdringlich zu gestalten, machen das (im besten Sinne) schlichte „Concerto Caboclo“ zu einer idealen Ergänzung zu Brouwers ausladendem Konzert.

Wie so oft in der zeitgenössischen Gitarrenmusik überwinden die beiden Konzerte die imaginäre Grenze zwischen Kunstmusik und folkloristischer Musik auf höchst originelle und individuelle Weise. Sowohl kompositorisch als auch musikalisch ein Highlight, das nicht übersehen werden sollte.

Auf naxos.de findet man verschiedene empfehlenswerte digitale und physikalische Bezugsquellen.

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