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Boris Giltburg · Royal Liverpool Philhamonic Orchestra, Vasily Petrenko: Shostakovich – Piano Concertos Nos. 1 and 2 · String Quartet No. 8 (arranged for piano by Boris Giltburg)

Von Fotothek_df_roe-neg_0002792_002_Portrait_Dmitri_Dmitrijewitsch_Schostakowitchs_im_Publikum_der_Bachfeier.jpg: Roger & Renate Rössing, credit Deutsche Fotothek.derivative work: Improvist (talk) - Fotothek_df_roe-neg_0002792_002_Portrait_Dmitri_Dmitrijewitsch_Schostakowitchs_im_Publikum_der_Bachfeier.jpg, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14401692Es ist noch gar nicht so lange her, zur Hoch-Zeit der analogen Tonträger in den 1960ern und 1970ern, da waren hochkarätig besetzte Neuaufnahmen der Werke Dmitri Schostakowitschs eine Seltenheit. Zum Glück hat sich das geändert. Eine neue Generation von Musikern hat die Klangwelt Dmitri Dmitrijewitschs für sich entdeckt. In den letzten Jahren sind zahlreiche spannende Neuaufnahmen erschienen. Auch bekanntes Repertoire wird neu und vorurteilsfrei betrachtet, etwa die beiden Klavierkonzerte der vorliegenden Veröffentlichung.

Boris Giltburg ist so etwas wie der neue Superstar unter den Pianisten, den noch zu wenige Hörer kennen. Der junge Israeli (russischer Abstammung) hat sich konsequent von der Klassik über die Romantik zur Spätromantik und jetzt zur Moderne vorgearbeitet. Seine Beethoven- und Schumann-Aufnahmen ließen Kenner und Publikum gleichermaßen aufhorchen. Spätestens mit seinem Rachmaninoff-Album belegte er, dass er mit seiner exzellenten Spieltechnik und seiner hohen Anschlagkultur in der Lage ist, das Repertoire sehr persönlich und dennoch stringent zu deuten. Gerade eben wurde beim US-amerikanischen NPR (National Public Radio, ein öffentlicher Verbund von nicht-kommerziellen Hörfunksendern) seine Interpretation der Étude-tableaux, op. 39, No. 3 Rachmaninoffs unter die Top 20 der besten Songs (!) des Jahres 2016 gewählt, einer Bestenliste, in der sich sonst Popstars wie Beyoncé, Rihanna und David Bowie tummeln.

Giltburg - Shostakovich - Piano Concertos 1 & 2, Naxos 8.573666Auch sein Schostakowitsch-Album überzeugt durch natürlich wirkenden Zugang zum Subtext der aufwühlend-intimen Werke: Neben den beiden Klavierkonzerten, die von der Anlage und von der Grundstimmung höchst unterschiedlich sind, hat er ein (selbst verfasstes) Klavierarrangement des berühmten achten Streichquartetts aufgenommen, außerdem eine Transkription des Walzers aus dem zweiten Streichquartett. Schostakowitsch in Reinform: psychologisierend, rhythmisch komplex, mit zahlreichen Meta-Ebenen versehen. Musik, die wirkt wie eine in Noten gefasste Matrjoschka.

Und Giltburgs Lesart der Musik hebt sich von den Neuaufnahmen der letzten Jahre ab: Während die meisten Pianisten Schostakowitschs schnelle Sätze der Klavierkonzerte mit ihrem satirischen Unterton rasend und hektisch nehmen, lassen sich Giltburg und Vasily Petrenko, der das hervorragende Royal Liverpool Philharmonic Orchestra leitet, auffallend mehr Zeit. Die absurd überdrehten Burlesken gelingen trotz (oder gerade wegen?) der gemäßigten Tempi sehr lebhaft. Der Dynamik der Musik tut dies keinen Abbruch. In den langsamen Sätzen legt Giltburg dann mithilfe seiner bemerkenswerten Anschlagtechnik die tiefe Verzweiflung frei, die diesen Werken innewohnt. Dabei erlaubt sich der Israeli hie und da ein Rubato, wie man es sonst nur von romantischen Konzerten gewohnt ist. So entsteht ein harmonischerer und ja, (spät-)romantischerer Gesamteindruck der Konzerte, als man ihn sonst gewohnt ist. Gerade das sonst so zerrissen wirkende zweite Klavierkonzert profitiert sehr davon.

Der Höhepunkt des Albums ist die Weltersteinspielung der Transkription des berühmten achten Streichquartetts in c-Moll, op. 110. Das polyphone Magnum Opus der Kammermusik Schostakowitschs hat Giltburg in seiner Bearbeitung so behutsam wie möglich aufs Klavier übertragen. Er begegnet der Intimität des Quartetts, gedacht als Musik zum eigenen, künftigen Begräbnis mit intimer Zurückhaltung (»Gewidmet dem Andenken des Komponisten dieses Quartetts« schrieb Schostakowitsch in einem Brief an seinen Vertrauten Isaak Glikman). Gerade in den drei Largos (!) des Quartetts offenbart Giltburg mit seinem pianissimo-Spiel die eine oder andere Nuance, die in der Streicherbesetzung nur flüchtig wahrgenommen wird.

Boris Giltburgs Deutungen der Klavierkonzerte sind ein hörenswerter neuer Ansatz für zwei (mittlerweile) alte Bekannte in den Konzertsälen und Diskografien. Seine Streichquartett-Bearbeitungen unterstreichen noch einmal seinen intuitiven Zugang zur Musik und seine besonderen kammermusikalischen Fähigkeiten.

Published inAlben vorgestellt

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