Olivier Messiaen (1908-1992) gilt heute als einer der bedeutendsten Komponisten seiner Epoche, dessen Œuvre vor allem die Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusste. Als Professor am Conservatoire de Paris war er zwischen 1941 und 1977 unter anderem Lehrer von Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis. Als Organist der Église de la Sainte-Trinité in Paris, eine Position, die er ab 1931 55 Jahre lang innehatte, widmete er sich immer wieder der Orgel und ihren Ausdrucksmöglichkeiten. Sein Orgelwerk ist folgerichtig, neben seinen beiden bedeutenderen Instrumentalwerken „Quatuor pour la fin du temps“ und „Turangalîla-Symphonie“, von zentraler Bedeutung für seine einzigartige Klangsprache. In dieser spielen der Natur (speziell die Vogelwelt: Messiaen war auch Ornithologe) und mystische Religionserfahrungen (er war tief im katholischen Glauben verwurzelt) eine besondere Rolle.
Colin Andrews, ein in Großbritannien geborener, weltweit renommierter Konzertorganist und Universitätsprofessor, gehört zu den wenigen Musikern, die sich Messiaens vollständigem Orgelwerk in den letzten Jahren gewidmet haben. Für das audiophile Label Loft Recordings nahm er zwischen 2007 und 2013 sämtliche Kompositionen Messiaens für Orgel in sechs Volumen (insgesamt acht CDs) auf. Dabei spielte er auf zwei von den renommierten Orgelbauern der C. B. Fisk Company erbauten großen Instrumenten: der Orgel in der St. Paul’s Episcopal Church in Greenville, North Carolina und der Orgel in der Auer Hall im Simon Music Center der Indiana University in Bloomington, an der Andrews auch unterrichtete.
Die Einzelveröffentlichungen wurden nun erstmalig zu einer Sammel-Box „The Complete Organ Works of Olivier Messiaen“ zusammengefasst. Sie enthält die sechs ursprünglichen Alben im Jewel Case, selbstverständlich mit den ausführlich betexteten Booklets.
Colin Andrews gelangen schlüssige und gut ausbalancierte Interpretationen, die sowohl das improvisatorische Moment der Musik Messiaens als auch die innere Logik, die „Mathematik“ der Werke herausarbeiten. Die tiefe Spiritualität der Kompositionen, die sich in den meisten Fällen inhaltlich und namentlich („Le Banquet céleste“ – Das himmlische Gastmahl, „La Nativité du Seigneur“ – Die Geburt des Herrn, „L’Ascension“ – Christi Himmelfahrt) um eine mystizistische Verklärung Gottes drehen, sind sicher die größte Herausforderung, der sich der Interpret stellen muss. Andrews gelingt es, sich Messiaens sehr persönlichen Kontemplationen der Welt in wohlüberlegten Deutungen anzueignen. Sein Spiel ist klanglich großflächig angelegt und folgt den Partituren mit Präzision. Wo andere sich in der Gedankenwelt Messiaens verlieren, steuert sein Spiel sicher durch die Rätsel und Wunder der entrückten Musik. Der religiösen Ekstase begegnet er mit analytischem Spiel und wird so zum uneitel Ausführenden, nicht zum „Interpreten“. Das Ergebnis ist eine stringente und durchhörbare Gesamtaufnahme, die dem Hörer einen Zugang in die komplexe Weltsicht Messiaens ermöglicht.
Der hervorragende Klang der Aufnahmen ist ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Plus dieser Produktionen. Orgelmusik aufzunehmen gehört zu den größten Herausforderungen der Tontechnik. Wer einmal eine Orgel live erlebt hat, wird sich immer wieder wundern, wie flach und gleichförmig die meisten Orgeln „aus der Konserve“ klingen. Nicht so bei den vorliegenden Mitschnitten: Sie geben ein plastisches und facettenreiches Klangbild wieder, das die Aufnahmen auch „technisch“ zu einem echten Erlebnis macht.
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