Gustav Mahlers Sinfonien gelten heute, neben dem klassischen Beethoven-Zyklus, als sublime Höhepunkte der Gattung. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum Mahler-Einspielungen so kontrovers unter Musikfreunden besprochen werden. Schaut man in die einschlägigen Klassikforen, so findet man dort heiß diskutierte, ellenlange Threads über die besten Mahler-Aufnahmen aller Zeiten. Es gibt zahlreiche Bücher über Gustav Mahlers Klangwelt und eine schier unüberschaubare Diskografie an Studio-, Live-, und Radio-Aufnahmen, angefangen von den frühesten Aufnahmen mit Willem Mengelberg und Bruno Walter bis hin zu den aktuellen Neueinspielungen von beispielsweise Jonathan Nott, David Ziman, Markus Stenz, Valery Gergiev und – last but not least – Mariss Jansons.
Seit 2003 ist der gebürtige Lette (und polyglotte Weltenbürger) Mariss Jansons der Chefdirigent des Symphonieorchesters und des Chors des Bayerischen Rundfunks. Das ohnehin schon hochklassige Ensemble formte er zu einem der besten Klangkörper der Welt. Jansons’ Aufnahmen auf dem hauseigenen BR-Klassik-Label sind eigentlich immer weltweit beachtete Veröffentlichungen, so auch die vorliegende Einspielung der letzten vollendeten Mahler-Sinfonie Nr. 9.
Wie bereits auf seinen zahlreichen zuvor veröffentlichten Mahler-Aufnahmen (etwa mit dem Concertgebouworkest oder den Oslo Philharmonikern), versteht es Mariss Jansons (auch und in besonderem Maße) mit „seinen Münchenern“ die biografisch geprägte, philosophische Ästhetik, die der Musik innewohnt, freizulegen. Sorgsam arbeitet Jansons die vielen kleinen Details mit der Erfahrung und Übersicht eines Mahler-Spezialisten heraus.
Der erste Satz der Sinfonie fällt kontrastreich und äußerst widersprüchlich aus. Transzendente Entrückung und brodelnde Ausbrüche eines unbeugsamen Lebenswillens stehen unmittelbar nebeneinander, Leben und Tod ringen förmlich miteinander. Jansons leuchtet dafür die Extreme der Partitur voll aus, achtet allerdings darauf, dass sie nicht überzeichnet werden und somit verwischen. Der zweite Satz ist ein zunehmend bizarr werdender Totentanz; das Rondo im dritten Satz verknüpft barocke Kontrapunktik mit moderner Dissonanz, die sich zum Ende hin überschlägt. Auch hier gelingt es Jansons, dass die Musik bei allem gewollten Chaos und Nebeneinander nicht im Klangbrei endet. Der Kontrast zum abschließenden Satz könnte kaum größer sein. Hier wird das Adagio mit seiner Todesahnung, ach was schreib ich, mit seiner unausweichlichen Todes-Gewissheit, mit viel Gefühl und Feinsinnigkeit gestaltet. Der Kampf ist vorüber, der Tod wird angenommen wie eine Erlösung. Die Klangfarben, die Jansons dem Symphonieorchester des BR dabei entlockt, sind dabei nichts weniger als pure Magie. Diese gelingt, weil das bayrische Orchester zu einer ganz besonderen Klangschönheit in der Lage ist. Es ist ein ganz besonderer Verdienst Jansons und seiner Mitstreiter, dass die emotionale Spannung, die Mahler im ersten Satz umgehend aufbaut, auch in den introvertierten, kontemplativen Passagen des Finales erhalten bleibt.
Wie bei den BR-Klassik-Aufnahmen üblich, spielt die überragende Tontechnik einen entscheidende Rolle bei der Qualität der Aufnahmen, sei es in puncto Transparenz des Klangbildes, sei es in Sachen Dynamik. Zusammen mit Jansons’ überlegenem (und überlegten) Dirigat und dem wundervollen Ensemble ist dies eine Veröffentlichung, die nicht nur eingefleischten Mahler-Fans, sondern allen symphonisch interessierten Klassikfreunden größte Freude bereiten wird.
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