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Pianist Elisha Abas – Scriabin in den Genen

Jetzt ist es endlich offiziell: Der berühmte Dirigent Gustavo Dudamel hat den israelischen Pianisten Elisha Abas höchstpersönlich eingeladen, im Juli 2013 mit dem Simon Bolivar Orchestra in Caracas aufzutreten. “Wir haben einen sehr guten Rapport und ich fühle geradezu Dudamels ansteckende Energie”, meint Abas. Dudamel hatte Abas schon einmal eingeladen, mit ihm aufzutreten. Das war im Jahre 2011, kurz nachdem er Abas bei einem Auftritt in Israel gehört hatte. Aber dann änderte sich die Planung für das Konzert in letzter Minute, und der venezuelanische Dirigent Eduardo Marturet übernahm den Abend.  Was Abas an seiner ersten Begegnung mit den Mitgliedern des Youth Orchestras am meisten beeindruckt hatte, war deren Begeisterungsfähigkeit – eine Qualität, die er auch an Dudamel besonders schätzt.

Für den Sommer 2013 in Venezuela steht Brahms’  erstes Klavierkonzert auf dem Programm, und nicht wie vielleicht erwartet Scriabin, auf dessen hundertsten Geburtstag sich Abas gerade intensiv vorbereitet. Vor allem in Russland wird die musikalische Nähe zwischen Abas und dessen Ururgrossvater Scriabin immer wieder hervor gehoben, und man erwartet von ihm, dass er sich dem Werk seines berühmten Vorfahrs ganz besonders widmet. Dazu der Pianist: “Ich hatte natürlich immer Zugang zu seinen [Scriabins] Werken, und gerade in letzter Zeit habe ich eine sehr spezielle Beziehung zu seiner Musik entwickelt. Es ist fast so, als ob es eine spirituelle Verbindung gäbe, eine Art tiefer Verbundenheit, die sich nur schwer erklären lässt. Als mich meine Mutter kürzlich fragte, warum ich nicht mehr Scriabin spielen würde, wurde mir klar, dass ich längst an einem Projekt arbeitete, in dessen Mittelpunkt diese mystische Person steht. Der Kreis schliesst sich für mich: Scriabins hundertster Geburtstag und meine Hinwendung zu ihm und seiner Musik. … Wenn ich seine Stücke spiele, bahnen sich meine Finger fast wie von selbst durch die einzelnen Passagen … Im Gegensatz zu den Werken anderer Komponisten scheint alles so einfach, so selbstverständlich, so als ob ich die Musik bereits von ganz tief innen her kenne.”

Abas’ Auseinandersetzung mit dem Werk Scriabins ist auch Teil eines Comebacks des bereits in seiner Kindheit gefeierten Pianisten. Damals war vor allem sein Vater Shlomo, heute selbst ein bekannter Erzähler und Autor diverser Kinderbücher, dem die Entwicklung seines begabten Sohnes am Herzen gelegen hatte. Dieser aber rebellierte erst einmal gegen die strikte Disziplin des Vaters. Inzwsichen haben sich die beiden längst ausgesöhnt und Abas hat verstanden, dass der Ehrgeiz des Vaters einzig und allein der Förderung seines Ausnahmetalentes gegolten hatte. Dieses Talent hatte auch der legendäre Pianist Arthur Rubinstein erkannt, der dem kleinen Abas eine goldene Rolex mit der Inschrift: ‘Für Elisha. Arthur Rubinstein. Viel Glück’ schenkte. Abas trägt sie heute noch. Abas schmunzelt, als er sich an diese Begebenheit erinnert: Als Rubinstein dem damals 12-jährigen Abas die geschenkverpackte Uhr überreichte, hatte der eigentlich auf Schokolade getippt …

Doch weder Rubinsteins Bewunderung für sein aussergewöhnliches Talent, noch die vielen Wettbewerbe, die er gewann, konnten den jungen Abas davon abhalten, dem Druck der Musikwelt entgehen zu wollen: Mit 14 verabschiedete er sich von seiner  Karriere als Pianist. Den ständigen Kampf zwischen einem ‘normalen’ Leben und der Existenz als bewunderter Musiker hatte der Teenager mit einem zu grossen Ausmass an Stress und vielleicht sogar Neurosen bezahlt – ein Preis, der ihm eindeutig zu hoch war. Heute, mit 41, sagt er: “Die Entscheidung mit 14 aufzuhören erlaubte mir, andere Aspekte meiner Persönlichkeit zu entwickeln. Ich wuchs in einer sehr einfachen Umgebung auf. Bereits die Ausbildung zum Konzertpianisten war weit weg von der Norm …. Und dann die vielen Reisen, der Druck, immer ‘Wunderkind’ sein zu müssen und vorgezeigt zu werden, die Konzerte in aller Welt … manchen mag das ja Spass machen, aber für mich stimmte das alles nicht. Für mich gab es andere Schlachten zu schlagen, zumindest empfand ich das damals so.” Doch obwohl er die Musikwelt hinter sich gelassen hatte und Profi-Fussballer geworden war (Abas spielte für alle Top-Vereine Israels), blieb ihm der Respekt für die Musik und ein Gefühl der Dankbarkeit dem Vater und seinen Lehrern gegenüber erhalten.

Von allen Lehrern hatte wohl Pnina Salzman den wichtigsten Einfluss auf Abas’ musikalische Entwicklung, und das nicht nur, weil sie den sechsjährigen Abas unter ihre Fittiche genommen hatte. Viel entscheidender war die Wiederbegegnung der beiden. In den Jahren fernab des Musikbetriebs hatte Abas viel Verschiedenes ausprobiert, und er hatte auch eine Familie gegründet. Ein spontaner Anruf bei Salzman sollte alles ändern. “Ich fühlte mich fast gefühllos damals”, reflektiert er heute. “Ich konnte meinen Emotionen keinen Ausdruck verleihen.” Seinem Anruf bei Salzman war eine merkwürdige Begebenheit voran gegangen: “Mein Auto war gestohlen worden, und ich bekam drei Wochen lang einen Leihwagen von meiner Versicherungsgesellschaft”, erzählt Abas. “Der Leihwagen hatte nur einen altmodischen Kassettenrekorder, keinen CD-Player, und meine ganzen alten Kassetten waren voll von klassischer Musik. Ich schob das Zweite Konzert von Brahms ein, und da ich sehr viel Auto fuhr, spielte ich die Kassette immer und immer wieder. Und da merkte ich, dass mir ‘meine Musik’ fehlte im Leben. Ich war damals 30, hatte bereits zwei Kinder und eine Familie, und plötzlich wurde mir klar, dass meine ‘innere Stimme’ zu mir sprach: Ich musste einfach wieder auftreten.”

Ihm war klar geworden, dass er dem Piano nicht entkommen konnte, und so kontaktierte er Salzman: “Zuerst hielt sie mich für einen ganz anderen ‘Abas’, einen Klavierstimmer; als sie dann aber begriff, dass ich es war, sagte sie ‘Komm’ gleich her’. Und das tat ich dann auch. Es war 11 Uhr nachts, und ich war mit Zigaretten und Schokolade auf dem Weg zu ihr.” Salzman hatte schon vor Jahren das Rauchen aufgegeben, und legte die Zigaretten erstmal zur Seite. Am nächsten Tag jedoch konnte sie ihrer unterdrückten Begierde nicht länger widerstehen und machte genau da weiter, wo sie aufgehört hatte, genau wie Abas es mit seinem Klavierspiel tat. Die beiden arbeiteten daraufhin bis zu Salzmans Tod im Jahre 2006 vier Jahre lang zusammen.

Abas’ Drang, wieder auftreten zu müssen, spricht Bände über die Synergie zwischen öffentlicher Darbietung, kreativer Spontanität und dem, was Abas ‘den betörenden Geruch des Musikbetriebs’ nennt – dieses ganz Besondere, das man einfach nicht genau beschreiben kann, und schon gar nicht erlernen. “Für einen Künstler gibt es diese schmale Gratwanderung zwischen Kontrolle und Freiheit”, meint er. “Es ist ein ständiger Seiltanz, und nur wenige schaffen es, weder die Balance zu verlieren noch sich allzu sehr in eine Richtung zu lehnen.

“Meine Klavierlehrerin [Pnina Salzman] versuchte nie, mir Dinge zu zeigen oder mir spezifische Instruktionen zu geben. Sie wollte immer der Bedeutung [eines Musikstücks] nahe kommen. Als ich zum Beispiel das Zweite Klavierkonzert von Brahms mit ihr erarbeitete, wurde ich im ersten Teil plötzlich sehr emotional, weil ich mit dieser Musik gross geworden war. Aber genau an dieser Stelle sollte das Klavier lediglich die Stimme des Orchesters begleiten, und meine Emotionalität war völlig fehl am Platz. Salzman schrieb daraufhin die Zahl ‘38’ auf ein Stück Papier. “38 Grad Celsius – das brauchen wir hier”, sagte sie, “keine 40 Grad.” Und das genau war die Quintessenz ihres Ansatzes: sie wollte mir helfen, meinen eigenen Stil und meine Emotionen im Rahmen der Vision des jeweiligen Komponisten zu entwickeln.“

Wenn Abas heute auf sein Leben mit all seinen verschiedenen Facetten zurückblickt, ist er sehr stolz auf sich: der Schulabbruch, die Tätigkeit im Verlagswesen, die relativ lange Karriere als Fussballer, dann die Rückkehr ins akademische Leben und der Abschluss in Rechtswissenschaften, seine Ehe und die zwei Kinder –  alles wurde  letztendlich zur Inspiration für sein Leben.

“Inspiration kommt immer auch durch persönlichen Austausch, und nicht durch eine Partitur”, reflektiert er. “Der Übungsraum ist eben nichts alles.” Und er fährt fort: “Man kann einen Künstler oder eine Künstlerin nicht von seiner oder ihrer Persönlichkeit trennen. Die bleibt immer sichtbar, sei es in kleinen Gesten und Manierismen oder in Bewegungen. So sitze ich zum Beispiel am Klavier gern auf einem Stuhl mit Rückenlehne, genauso wie zu Hause, wenn ich übe; ich sitze ganz still und erlaube meinen Finger das zu tun, was notwendig ist. Auf diese Weise braucht man sehr viel weniger Energie; der Körper muss nicht arbeiten, nur die Finger …. “

In den letzten Jahren hat sich Abas einen Terminkalender geschaffen, der ihm, wie er sagt, genug zu tun gibt. Zudem hat ihm seine Zusammenarbeit mit der dynamischen Simona DeFeo Zugang zum New Yorker Musikmarkt und zu Veranstaltungen wie der ‘Concert Meister Series’ verschafft. Trotzdem: Es kann nicht ganz einfach sein, sich in dem Wissen auf die Bühne zu begeben, dass andere Pianisten im Zuge ihrer Karriere längst eine eigene Fangemeinde aufgebaut haben, und man selbst eine Menge aufzuholen hat. Aber vielleicht zeigt sich genau an diesem Punkt der Mut und die Entschiedenheit eines leidenschaftlichen Künstlers. „Als Künstler muss man Risiken eingehen und Neues, Erfrischendes bieten. Doch wie soll man das jeden Abend hinbekommen, und immer mit dem selben Repertoire, auch wenn die Städte jeden Abend andere sind?“, fragt sich Abas.

„Es ist schon richtig, dass man von sich selbst und seinem Privatleben weitgehenst Abstand nehmen muss. Klar, ich kann lächeln, auch wenn ich traurig bin, aber inwieweit man den Menschen wirklich vom Künstler trennen kann, oder inwieweit ich das überhaupt will, darüber bin ich mir nicht ganz im Klaren.“

Einige der Fragen, die Abas mit sich herum trägt, scheinen sich, wenn man der Publikumreaktion bei seinen Auftritten trauen möchte, von allein zu beantworten. Kritiker berichteten anlässlich Abas’ letztem Auftritt in Kassel unter dem jungen Dirigenten Yoel Gamzou mit dessen Mahler-Orchester im November diesen Jahres vom Gänsehautfaktor’, von Überlegenheit am Klavier und einer euphorischen Rezeption. Und Gamzou selbst äussert sich:“Abas ist einer der aussergewöhnlichsten Musiker, der mir begegnet ist. Er ist ein unbeschreiblich musikalisches Genie mit einem druchdringenden menschlich und künstlerischen Durchblick. Unsere Zusammenarbeit hat mich tief bewegt und mein Verständis von Musik geprägt.“ Ähnlich lauteten die Wertungen, die Ururgrossvater Scriabin berühmt gemacht hatten. Vielleicht fällt der Apfel in der Tat nicht weit vom Baum? Abas’ neueste CD, soeben unter dem Urlicht Label erschienen, stellt Werke von Chopin(Waltzer und Mazurkas), denen Ronn Yedidias (Walzer) gegenüber.

Dieser Artikel wurde im wesentlichen, unter dem gleichen Titel im deutschen PianoNews des Staccato-Verlags veröffentlicht.  (1. März 2013) In diesem Format finden sich kleinere Veränderungen des Authors Ilona Oltuski wieder, wie die Nennnung der inzwischen erschienen Aufnahme Abas’ letzter CD. Alle Photos wurden von Elisha Abas zur Verfügung gestellt.

 

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