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Das Leben erfordert Zweifel – Hamlet am Schauspielhaus Bochum mit Sandra Hüller in der Titelrolle als DVD-Album

Hamlet, der Prinz von Dänemark – wer kennt ihn nicht. Wer ist nicht vertraut mit den unzähligen Zitaten aus dem berühmten Shakespeare-Stück, die, längst losgelöst aus dem Ursprungstext, zu geflügelten Worten unseres Alltags geworden sind.

„Etwas ist faul im Staate Dänemark.“ – „Bereit sein ist alles.“ – „An sich ist nichts entweder gut oder böse, sondern das Denken erst macht es dazu.“ – „Der Rest ist Schweigen.“

Und natürlich das berühmteste aller Zitate „Sein oder nicht sein; das ist hier die Frage.“

Johan Simons, der Regisseur von „Hamlet“ am Schauspielhaus Bochum meint dazu: „Für mich ist „To be, or not to be“ der Ansatzpunkt des Stückes. Ich liebe Dinge, von denen man nicht weiß, ob sie etwas sind oder nicht: das Nicht-Vollkommene, das Halb-Fertige. In dieser Inszenierung wird der Übergangsbereich zwischen der Bühne und den Zuschauersitzen oft bespielt. Ich nenne diesen Teil der Bühne den „To be, or not to be“-Bereich. Es ist ein Zwischenreich. Hier befinden sich die Schauspieler*innen zwischen Figur und sich selbst, zwischen Darstellen und Zuschauen. Die Grenze zwischen Leben und Tod ist dünn und durchlässig. Der Tod ist immer da.“

Das Leben ist, trotz aller Wissenschaften, nie in Gänze erklärbar. Sind Gedanken Wirklichkeit? Ist etwas, das wir nicht sehen können auch nicht real? „Du meinst, etwas zu verstehen, aber im nächsten Moment ist alles wieder anders“, meint Johan Simons „Das Leben ist komplex und ungreifbar. Es erfordert Zweifel. Unsicherheit hilft einem weiterzumachen.“

Shakespeares „Hamlet“ wurde im Jahr 1602 fertiggestellt. Es wurde also in einer Zeit uraufgeführt, in der das Drama noch eng verbunden war mit anderen Traditionen des Theaters wie den Zirkuskünsten und der Volkskomödie. Der Dramaturg Jeroen Versteele schreibt dazu: „Es sind Elemente aus einer karnevalesken Tradition, die Grenzen auf lustig-bedrohliche Weise verschwimmen lässt. Grenzen nicht nur zwischen Realismus und Groteske, sondern auch zwischen Zivilisation und Kreatürlichkeit, zwischen Spiel und Wirklichkeit.“

Hamlet, der junge dänische Prinz, verliert seinen Vater. Die Welt gerät für den Jugendlichen aus den Fugen. Dies noch mehr, als ihm sein geliebter Vater als Geist erscheint. Hamlet weiß nicht mehr, was er denken und glauben soll. Der Geist seines Vaters erzählt ihm, dass er von seinem eigenen Bruder Claudius ermordet worden ist und verlangt von Hamlet, diesen Mord zu rächen. Hamlet will dem Wunsch seines Vaters gerecht werden. Um an Informationen zu kommen, stellt der überaus intelligente Hamlet sich in gewisser Weise verrückt. Er spricht von nun an eine zweideutige Sprache, er gibt nichts mehr von sich Preis, handelt und entscheidet für sich allein, vertraut niemandem mehr. „Rein psychologisch ist Hamlet bei Shakespeare nicht schlüssig zu interpretieren“, meint Versteele, „Sehen wir ihn aber in einer Theatertradition, in der der Umgang mit Teufeln und Gespenstern zur Kultur der Zeit gehörte, erscheinen plötzlich Möglichkeiten, Hamlet als eine phantastische Figur zu sehen, die Grenzen zwischen Realitäten sprengt. Hamlet lehnt Konventionen ab, lebt in einer multiplen Welt, in der Phantasmen, Zustände von Trance und Einsicht, Wahnsinn und Wut mit der Wirklichkeit verschmelzen.“

Der Hamlet, den Sandra Hüller am Schauspielhaus Bochum so genial darstellt, ist ein Hamlet, der das Alleingelassenwerden in der Welt mit voller Wucht spürt. Auf die Frage, wie sie sich auf die äußerst komplexe Figur Hamlet einlässt, antwortet die Schauspielerin: „Der einzige Weg, den ich gehen kann, ist zu versuchen, empathisch zu sein und den Kern von Hamlets Gefühlen zu verstehen.“ Dieser Kern ist Trauer. „Wahrscheinlich hatte sein Vater für ihn eine große Bedeutung, und er leidet unter dessen Abwesenheit. Seine Mutter scheint eine nicht sonderlich gefestigte Person zu sein, sie bietet ihm keinen Halt. Hamlets Trauer rührt auch daher, nicht gesehen zu werden am Hof. Er fühlt sich allein und nicht ernst genommen. Auch seine Vertrauten brechen ihm weg. Rosencrantz und Guildenstern sind nicht mehr die Freunde von früher. Laertes haut lieber nach Frankreich ab, als dem Hof die Stirn zu bieten. Ophelia wird von ihrem Vater instrumentalisiert. All das macht Hamlet noch einsamer, als er es ohnehin schon ist. Gedanklich ist er allen überlegen, das weiß er auch, und trotzdem sucht er permanent nach Möglichkeiten, sich über seine Sorgen und Emotionen auszutauschen. Hamlet will einfach, dass alle sich ins Gesicht schauen, die Wahrheit anerkennen, die eigenen Fehler zugeben, sich gegebenenfalls entschuldigen. Ich möchte einen Hamlet spielen, der versuchen sollte, die anderen Menschen wirklich zu erreichen und sie zu Ehrlichkeit und Fairness zu bewegen. Wenn das gelingen würde, dann wäre Hamlet ein wirklich edelmütiger, ein echter Prinz.“

Die Einladung dieser Inszenierung zum Berliner Theatertreffen und die hervorragenden Besprechungen spiegeln eindeutig wider, dass Sandra Hüllers Hamlet ein überzeugender ist, dass diese Produktion auf ganzer Linie eine glaubwürdige ist.

„Hamlet“ / William Shakespeare / Regie: Johan Simons / Schauspielhaus Bochum

mit: Sandra Hüller als Hamlet, Stefan Hunstein, Mercy Dorcas Otieno, Bernd Rademacher, Dominik Dos-Reis, Gina Haller, Konstantin Bühler, Ulvi Teke, Mourade Zeguendi, Jing Xiang, Ann Göbel / Musiker*in: Mieko Suzuki und Lukas Tobiassen


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