Ein Staubsauger, der einen Violinbogen aufsaugt, trifft auf einen Flügel, der nur auf Kreditkartenzahlungen reagiert. Die Klingeltöne eines Handys treten gegen ein klassisches Geigenrepertoire an; ein Musiker führt einen Riverdance in Unterwäsche auf; auf Klaviertasten wird im Karatestil eingehauen – so überdreht das alles auch erscheint, es tönt fantastisch, was der in Russland geborene Geiger Aleksey Igudesman und der britisch-koreanische Pianist Richard Hyuang-ki Joo bieten.
Wer sind diese albernen und doch zum Denken anregenden Spaßvögel, die es wagen, die klassische Musik aus ihrem angestammten Terrain zu entführen?
Das klassisch geschulte Duo besuchte einige der besten europäischen Musikhochschulen, bevor die beiden 2004 ihre verschrobene Nummer lancierten. Als sie während einer Fragestunde im März 2010 ihre Show „A Little Nightmare Music“ beschreiben sollten, meinten sie: „Es ist nicht möglich, das in einem Satz zu sagen. Aber wenn es unbedingt sein muss, würden wir sagen: „Mozart trifft Monty Python“ … Unser Ziel ist eher, den Leuten die klassische Musik näher zu bringen als zu versuchen, anders zu sein. Für uns ist der Mix aus Musik, Komik und Theater eine eigene Kunstform. Wir versuchen diese drei Komponenten zu kombinieren, um eine eigene Synergie zu schaffen.
Diese Synergie wie auch ihre virtuose Darbietung haben beim europäischen Publikum zweifellos Anklang gefunden. „Sie füllen die Konzerträume immer“, sagt die deutsche Kritikerin Julia Gass über die Auftritte des Duos, wie es kürzlich auch in der Show „Museumsnacht“ im Deutschen Dortmund der Fall war.
Einige ihrer Ideen sind echte Glanzstücke geworden. Zum Beispiel die kultigen, maßgeschneiderten Holzblöcke, mit denen der kleinhändige Pianist Joo die Probleme beim Greifen von schwierigen Klavierakkorden und Passagen löst, in diesem Fall vom großhändigen Rachmaninow komponiert. Die Pointe? Joo ruft auf ihrem bereits berühmt gewordenen YouTube Videoclip: „Nur Hände sind klein!“
Viele ihrer ausgefallenen Auftritte führen ihre ernsteren Anliegen vor Augen, wie der Sketch über den Musiklehrer zeigt, der gegenüber seinem Studenten ausfällig wird und dessen Selbstvertrauen arg auf die Probe stellt. Oder der „Cyber-Dirigent“ der Show ermöglicht dem Publikum einen flüchtigen Blick in die Orchesterwelt und auf die Beziehung eines schwachen Dirigenten zu seinem ungehorsamen Orchester. Ersetzen wir den Dirigenten durch einen niederträchtigen Tyrannen, so haben wir einen Sketch über einen „Dirigenten-Schuft“, der wohl das Chaos vermeiden kann, aber einige der Flötisten bloßstellt, indem er sie in die Knie gehen lässt, während er sie anschreit – und nachher sogar das Publikum anschreit. Diese Nummer spielt sowohl auf die Probleme an, die aus der Hierarchie zwischen Dirigent und Orchester entstehen, als auch auf die Dynamik eines Orchesterkonzerts, und zwar im Gegensatz zu den gleichmäßigen, aber auch sterilen Klängen einer CD. Meisterhaftes musikalisches Können verwandelt die verschiedenen Instrumente, indem in einer geschickten Orchesterdemonstration der Schnellvorlauf einer Fernbedienung imitiert wird.
Über die Sketche hinaus geht es den beiden auch um die Dekonstruktion von populären klassischen Melodien, die ihren Weg in das heutige Pop-Repertoire gefunden haben. Denken wir an Celine Dions „All by myself“ und die Akkordfolgen aus Rachmaninows zweitem Klavierkonzert, oder an das Libiam-Thema aus Verdis „La Traviata“ und einen berühmten James Bond-Jingle, oder betrachten wir das „Love Story“-Thema in der Parodie „Mozart Bond“ des Duos: jede Musikkategorie wird aus ihren Schubladen, in denen sie säuberlich getrennt gelagert werden, hervorgeholt und mit andern musikalischen Juwelen konfrontiert, was ein echt virtuoses Gemisch ergibt, gewürzt mit einer Prise menschlicher Verrücktheit.
In einem Interview am 15. September 2009 stellte John Stanton von den „Star News“ fest: „Vielleicht ist es eine Reaktion auf das, was oft als übermäßig formale Natur der klassischen Musik wahrgenommen wird, aber das Genre hat eine reiche Geschichte im Hervorbringen von komischen Nummern, in denen die Ernsthaftigkeit mit Humor ersetzt wird…“ Stanton fragt nach: „Was ist es denn an der klassischen Musik, das zur Satire führt?“ Und Igudesman & Joo – die übrigens auch komponieren, arrangieren, Aufnahmen machen und Kammermusik spielen –meinen dazu: „Es liegt nicht an der klassischen Musik selbst, dass sie sich zur Satire eignet. Es ist nur die Art, wie sie präsentiert oder gelehrt oder vermarktet wird, die zur Satire führt. Wir möchten dies gerne ändern, weil wir glauben, dass klassische Musik eine enorme Kraft und Schönheit besitzt.“
Ist es dieses gewisse Anmaßende der muffigen Rituale und der antiquierten Haltung, die die klassische Musik umgibt, über die sie sich lustig machen und die sie letzten Endes auch in Frage stellen? Versuchen sie mit ihren komischen Programmen die Essenz der klassischen Musik zu retten? Das Duo ist in guter Gesellschaft, wenn es sich diese Fragen stellt, denn von London bis New York findet eine anhaltende Diskussion über den Stellenwert von klassischer Musik in der modernen Gesellschaft statt.
Laura Silberman zum Beispiel plädiert in ihrem Artikel in der New York Times vom 4. März 2010 vor allem für das Über- und Umdenken und Analysieren jeden erdenklichen Aspekts, der mit einem Konzerterlebnis verbunden ist.
Vom Pianisten Emanuel Ax und seinen Überlegungen über das Publikums Applausverhalten bis zu den Kommentaren des New Yorker Musikkritiker Alex Ross, von der britischen Musikkritikerin Jessica Duchen, die die unterschätzte Rolle der Umblätterer bedenkt bis zur Klage des Musikwissenschaftlers Greg Sandow über die Zukunft der klassischen Konzertliteratur – die Sockel, auf denen die klassische Musik ruht, weisen ernsthafte Risse auf. Und ein Wechsel bahnt sich bereits an: Bemühungen, das Erleben klassischer Musik zu fördern, haben zu Initiativen geführt, die klassische Aufführungen in das Programm von alternativen Veranstaltungen aufnehmen, zum Beispiel in Eventlokalen, die der Rock- und Popkultur nahe stehen. Ein erfolgreiches Beispiel für diesen „Infusions-Ansatz“ ist „Le Poisson Rouge“ in New York unter der künstlerischen Leitung von Ronen Givony.
Leider ist eine gewisse Verunsicherung in allen Bereichen der klassischen Musik zu spüren, die tiefer geht als die gegenwärtigen Budgetkürzungen. Man kann sich geradezu einen Cartoon im New Yorker vorstellen unter dem Titel „Das Konzert geht zum Psychiater“, in dem der berühmte Musikkritiker Alex Ross von einem seiner Patienten – dem Konzert – gefragt wird: „Ach, Dr. Ross, was kann ich tun, um mein Selbstvertrauen zu stärken?“ Igudesman & Joo haben bereits ein wirksames Mittel gefunden – LOL (Laughing Out Loud) dürfte genau das sein, was der Doktor den klassischen Musikaufführungen verschrieben hat.
Auf die Frage, wie das Duo auf den einzigartigen Mix von klassischer Musik und Pop mit Komik gekommen sei, erinnern sie sich: „Schon damals, in der Yehudi Menuhin-Schule in England, wo wir uns als Zwölfjährige getroffen haben, haben wir immer auch große Komiker gesehen und gehört, neben den großen Künstlern. Wir wurden von Leuten beeinflusst, die sowohl wunderbare Musiker waren wie auch einen großartigen Sinn für Humor besaßen, wie zum Beispiel Victor Borge, Dudley Moore oder sogar Glenn Gould, der einige Sketches für das kanadische Fernsehen gemacht hat, die nicht viele Leute kennen. Sogar der große Geiger Yehudi Menuhin selbst, bei dem Aleksey das Glück hatte, Unterricht zu haben, ließ verlauten, dass er für alles offen sei, nicht nur für die klassische Musik… Wir beide haben Projekte auf und hinter der Bühne gemacht, Musik für Bühne und Film geschrieben und sind in Shows und Theaterstücken aufgetreten.“
Die New York Times zitierte in ihrem Nachruf auf Victor Borge im Dezember 2000 den verstorbenen Komiker und klassischen Pianisten, dessen Parodien einen starken Eindruck auf das Duo gemacht haben: „Ich habe immer für zwei verschiedene Zielgruppen gleichzeitig gearbeitet. Das eine war das gebildete, das andere das nicht musikorientierte Publikum. Ich habe bemerkt, dass die Profis am meisten lachen, wenn ich zum Beispiel meine Nummer mit Orchestern mache. Aber meine Witze müssen von jedermann verstanden werden, und niemand soll sich langweilen. Es ist eine Gratwanderung.“
Im Interview mit John Stanton stellen Igudesman & Joo fest, dass sie dasselbe Konzept verfolgen: „Wir versuchen immer, auf verschiedenen Ebenen zu schreiben. Ein Achtjähriger soll ebenso etwas zu lachen haben wie ein Kenner klassischer Musik oder jemand, der noch nie eine Note klassischer Musik gehört hat.“
Neben Borge hat eine ganze Reihe von Komikern die Kreativität des Duos befruchtet – von den Marx Brothers bis zu Monty Python. Terry Jones, Komiker und Regisseur von Monty Python, sagt über „A Little Nightmare Music“: „Es bringt Surrealismus in die Konzertsäle und lässt die Hosen runter!“
Andere Meilensteine auf dem Weg zum Ruhm sind das Kammermusik- und Comedyfestival in Kroatien, die „Cinema & Comedy“-Premiere 2008 mit Gidon Kremer und den Kremerata Baltica sowie eine Tour durch Deutschland, Holland und Belgien als Teil der „Night of the Proms“ 2009, bei der sie vor einer halben Million Leuten auftraten und die Bühne mit Rocklegenden wie Simple Minds, 10cc und Ultravox teilten. Ihr jüngstes Projekt ist ein „Mockumentary“, das „Everthing You Always Wanted to Know About Classical Music“ heisst und anfangs Juni 2010 in Europa auf 3Sat ausgestrahlt wird. Dieses „Mockumentary“ schließt Gastauftritte der Geiger Julian Rachlin und Janine Jansen, des Cellisten Mischa Maisky, des Pianisten Lang Lang sowie von vielen Gästen aus der Popwelt, zum Beispiel den „Tears of Fears“ mit ein.
Laut meinen Facebook- und Emailgesprächen mit dem Duo fand ihr erster Auftritt im Musikverein in Wien, Oesterreich statt. „Das war am 18. September 2000. Wir hatten einige Sketches auf YouTube geladen und der Rest ergab sich einfach“, sagte Aleksey Igudesman. Der „Rest“ ist eine beeindruckende Erfolgsstory, die in großem Maße auf der weltweiten Verbreitung ihres urkomischen YouTube-Videoclips beruht. Und was ist leichter zu vermarkten als Lachen?
Was als Musiknummer im Wiener Musikverein begann, ist nun zu einer gefeierten festen Größe der populären wie auch der klassischen Musikkultur geworden. Das Duo ist sowohl bei dem Publikum beliebt, das wenig oder gar keinen klassischen Musikhintergrund hat, wie auch bei der Menge der eingefleischten Klassikfans; professionelle Musiker bewundern die beiden, weil sie für ihren Humor eine besondere Vorliebe haben.Eine andere Fangemeinde findet sich in Musik- und Kunsthochschulen, wo die Studenten gewöhnt sind, per YouTube-Clips in Kontakt zu sein. Die „Students for Igudesman & Joo to Come Perform in the US“ Facebook-Fanseite, die von dem Collegestudenten und klassischen Musiker Kevin Hwang ins Leben gerufen wurde, hat sich mit großem Enthusiasmus seit 2007 für US-Auftritte des Komikerduos stark gemacht. Die über 1000 Fans dieser Seite (die offizielle Facebook-Seite des Duos zählt über 5000 Mitglieder) waren frustriert, weil es in den USA keine Live-Auftritte gab, weshalb sie sich entschlossen, aktiv zu werden. Ihre Anstrengungen wurden belohnt: 2009 traten Igudesman & Joo schließlich in den USA auf, auch wenn ihre Auftritte eher sporadisch und über Collegestädte und Musikfestivals verstreut waren, wie ihre Auftritte im März 2009 in Warren und Eire, Pennsylvania sowie am South-West Festival in Austin, Texas zeigen. Im Sommer 2009 kehrten sie für einen Auftritt im Saratoga Arts Performing Center und am Cooperstown Kammermusikfestival zurück, ebenso für Auftritte in der Thalian Hall am Louisburg College und dem Carolina Theater in North Carolina. Einen Monat später waren sie in Chico, Kalifornien zu sehen sowie an der California State University. Facebook-Kommentare berichten von Fans, die sechs Stunden und mehr an Reisezeit auf sich nehmen, um an einem der wenigen, über das ganze Land verstreuten Live-Auftritte dabei sein zu können.
In einem Interview im März 2010 mit Notes on the Road erzählt der Komiker, Pianist und Arrangeur Joo, auch bekannt als die „Jooische“ Hälfte des dynamischen Komikerduos, von seinem persönlichen Zugang zur klassischen Musik: „Ich bin und war schon immer verrückt nach klassischer Musik, und schon früh habe ich gespürt, dass dieses Ding, in das ich so verliebt war, in Gefahr ist, entweder ein Dinosaurier zu werden oder etwas, wozu es nicht gedacht war. Ich spürte irgendwie …, dass die Welt der klassischen Musik sehr wenig mit dem Geist zu tun hatte, in dem sie geschaffen wurde…. So sehr ich es liebte, Aufführungen der berühmten Stücke von großen Künstlern unserer Zeit zu sehen, so spürte ich doch, dass das ganze Zeremoniell, das die klassische Musik umgibt, aufgeblasen und elitär war…. Ich wusste schon immer, dass klassische Musik eine große Wirkung auf Kinder und junge Leute hat – sie wirkt auf jedermann! – aber wenn sie weiterhin so präsentiert wird, in diesem so genannt traditionellen Setting, dann ist es unvermeidlich, dass schließlich das Publikum wegbleibt …“
Jungen Musikern empfiehlt er: „Ich weiß, dass es viel zu tun gibt, dass man viel üben muss. Viele von ihnen sind ehrgeizig, aber manchmal beschränken sie ihr Leben auf den Übungsraum. Ja, man muss an seiner Kunst arbeiten und das Handwerk perfektionieren, aber wenn man nicht offen ist für die Erfahrungen des Lebens … (denn das ist es, was)einem die Erfahrung geben wird, das Gefühl und die Fantasie, um hinauszugehen ins Leben und das zu machen, wozu man bestimmt ist.“ Es ist keine Überraschung, dass Joo es genießt, Workshops für junge Musiker zu leiten, die sie ermuntern sollen, aus dem Kästchendenken auszubrechen.
Wenn man die beiden fragt, ob es einen Ort gibt, wo sie am liebsten aufgetreten sind, dann sind sich Igudesman & Joo einig: „Die USA sind der Ort, wo wir immer auftreten wollten, da so vieles unserer Inspiration von amerikanischen Sitcoms und Komikern stammt! Das Publikum in den USA ist auch extrem aufgeschlossen, dankbar und sehr herzlich – eine echt fabelhafte Kombination!“
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