Kaum einer anderen Violinistin gelingt derzeit das virtuose, temperamentvolle Repertoire so überzeugend, wie der in Deutschland lebenden Chinesin Tianwa Yang. Mit zahlreichen renommierten Preisen bedacht (darunter der Jahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik und gleich zweimal der ECHO Klassik), beweist die charismatische Geigerin seit Jahren, dass sie technisches Können, interpretatorische Reife und Esprit miteinander auf einzigartige Weise verbinden kann.
Tianwa Yang entführt den Hörer auf ihrem aktuellen Album in die Klanglandschaften Spaniens. Mit gleich zwei Konzerten evoziert die Violinistin die Melodien und Rhythmen der iberischen Halbinsel. Die “Symphonie espagnole” Édouard Lalos ist, trotz des etwas irreführenden Titels, das zweite von insgesamt vier Violinkonzerten des Franzosen. Es gehört seit seiner Uraufführung 1875 durch seinen Freund und Widmungsträger Pablo de Sarasate zu den populärsten Violinkonzerten des 19. Jahrhunderts. Die musikalische Nähe zu Sarasate kommt Tianwa Yang, der unbestrittenen Sarasate-Referenz unserer Tage, äußerst gelegen. Ihr gelingt es, diesem “Schlachtross der romantischen Violin-Literatur” mit Verve und atemberaubender, gleichzeitig spielerisch leicht wirkender technischer Brillanz zu begegnen. Das wohlbekannte Konzert verwandelt sich so in ein aufregendes, mitreißendes Werk voll virtuoser Details, das in lebendigen Farben gestaltet wird. Das Orchestra Simfónica de Barcelona i National de Catalunya unter der Leitung von Darrell Ang erweist sich dabei (wie auf dem gesamten Album) als engagierter und sachkundiger Klangkörper, der Yangs filigranen Stil bestmöglich unterstreicht und das spanische Timbre stilsicher umsetzen kann. Viele Interpreten neigen bei Musik mit stark nationalen, volkstümlichen Komponenten zu einer klischeebeladenen Überzeichnung. Tianwa Yangs Spiel hingegen bleibt idiomatisch; das spanische Kolorit des Konzerts wirkt in ihrer Interpretation völlig authentisch.
Obwohl es bisher sträflich vernachlässigt wurde, erweist sich Joan Manéns erstes Violinkonzert op. A-7, das “Concierto español”, als ideale und gleichwertige Ergänzung zu Lalos Werk. Die beiden Uraufführungen trennen keine 25 Jahre: Manéns Concierto wurde 1897 in Barcelona erstmalig aufgeführt und ist das frühe Werk eines 16-Jährigen. Dennoch besitzt es eine erstaunliche Reife und musikalische Kühnheit. Statt archetypischer, hochromantischer Hispanismen wie bei der “Symphonie espagnole” enthält Manéns “Concierto español” impressionistische Klangfarben, die weniger die Melodien und mehr die Landschaften seiner Heimat heraufzubeschwören scheinen. Im “Adagio ma non troppo” meint man fast, Ravels traumhaftes Spanien wiedererkennen zu können. Tianwa Yang begeht nicht den Fehler, Lalos und Manéns thematisch verwandte Werke auf die gleiche Weise spielen zu wollen. So temperamentvoll sie bei der Symphonie zu Werke geht, so einfühlsam und nuancenreich gestaltet sie das Concierto. Man fragt sich unwillkürlich, warum ein Konzert solcher Güte bisher nahezu unbekannt geblieben ist. Diese Aufnahme – eine der wenigen, die derzeit erhältlich sind – ist auf jeden Fall das bestmögliche Plädoyer für das Werk und den Komponisten.
Zwei fantastische Konzerte in mustergültigen Deutungen: Die makellose Orchesterleistung und Tianwa Yangs einzigartige Spielkultur wissen vollends zu überzeugen. Die exzellente Aufnahmetechnik des Albums rundet diesen “mediterranen Hörgenuss” ideal ab.
Schreibe den ersten Kommentar