Klara Min scheint nicht so leicht nervös zu werden. Das erfuhr ich, als ich bei einem Gespräch mit dem Aufnahmeproduzenten Leszek Wojcik aus Anlass der Veröffentlichung ihrer CD mit Chopin-Mazurkas, die Delos im nächsten Frühjahr herausbringen wird, zugegen war. Wojcik betreute Min seit 2011, als sie ihre erste Aufnahme koreanischer Komponisten auf dem Naxos Label machte. Beide CDs wurden im gleichen Studio an der ‘American Academy of Arts and Letters’ aufgenommen.
Als Wojcik beide Aufnahmen, die sich wahrhaftig auf entgegengesetzen Enden des Repertoires befinden, miteinander vergleicht, bringt er seine Überraschung zum Ausdruck, wie “westlich” die zuvor aufgenommenen koreanischen Kompositionen tatsächlich klingen. “Ich hatte eine große pentagonische Sache erwartet, ein Gefühl von folkloristischer Weisen. Stattdessen gab es da vielmehr eine Affinität zur zweiten Wiener Schule, Schönberg und Webern … und dennoch die Mazurkas hätten nicht in einem größerem Kontrast zur recht akademischen, komplexen und fast germanischen Struktur stehen können … Hier gibt es eine vollständige Veränderung des Temperaments,” meint er und fügt sich an Min wendend hinzu, ”Sie waren mutig, so ein Vorhaben in Angriff zu nehmen. Die Mazurkas sind solch bekannte Stücke, die jedem am Herzen liegen und sie werden so oft aufgezeichnet und dennoch können sie auf so viele unterschiedliche Weisen interpretiert werden.”
Min trifft bei ihren Aufnahmen ihre eigene Auswahl und scheint, was diese angeht, zuversichtlich zu sein. “Ich fühlte mich von Anfang an von den Mazurkas angezogen, als ich ein Kind war und den gesamten Band durchlas”, erzählt sie. Erst später hörte ich viele verschiedene Aufnahmen. Die Musik klingt so einfach, wenn es um das Spielen geht. Ihr Rhythmus muss auf natürliche Weise kommen; er kann nicht wirklich großartig studiert werden.” Jede Mazurka ist so individuell, idiosynkratisch, jede mit ihren eigenen Polophonien und komplexen Harmonien, jedoch kann man nicht endlos üben und planen – man muss irgendwie ihre Frische und Spontanität bewahren, um ihre wahren Charakterzüge zum Vorschein zu bringen.”
Wojcik, der ganz klar Gefallen daran hatte, Mins Spielen aufzunehmen, pflichtet ihr bei und fügt hinzu: ”Ja genau, genau darauf kommt es an. Sie sind höchst abstrakt, obwohl sie natürlich ein nationalistisches Thema haben und auf den drei Formen des Tanzes aufbauen: der Mazur, Oberek und dem Kujawiak aus Polen, aus verschiedenen Regionen in Polen. Sie sind nicht, wie oft gedacht wird, von Volksmusik inspiriert.“
Trotz einiger rhythmischer Ähnlichkeiten und vielleicht der Wiederholung der Motive, die von Chopin beibehalten werden, sind seine Mazurkas hoch stilisierte Salon-Versionen – mit komplexen Kompositionselementen. „…Und Sie haben völlig Recht; ihre Einfachheit erfordert einen gewissen natürlichen Gusto und die Balance direkt geradeaus zu spielen und unter der Verwendung des Rubatos. Und es gilt für den Auftretenden so viele Entscheidungen zu treffen, entsprechend seines persönlichen Geschmacks.”
Aber Min kennt hier anscheinend kein Zögern. “Mir gefällt die Verwendung des Rubatos, da es die Elastizität der Musik erzeugt …” und dann ergreift Wojcik das Wort, ”Die Mazurkas stecken sicherlich voller Einladungen ein Rubato zu verwenden.” Das Gleichgewicht findet Min in “ihrer” Mazurka Version eines Rubatos, wie ich finde, hat sie die Fähigkeit, vieles zum Ausgleich zu bringen, denn ich habe sie spielen sehen und kann bezeugen, wie sie zur gleichen Zeit mal diesen, mal jenen Hut aufsetzt, in verschiedene Rollen schlüpft und unterschiedliche Aufgaben übernimmt.
Zunächst einmal ist sie die Begründerin der NYCA – ‘New York Concert Artists’, die seit ihrem Bestehen vielen jungen Künstlern Auftrittsmöglichkeiten gegeben haben. In der Stadt, die nie einen Taktstock auslässt, sind Musikauftritte klassischen Repertoires, für das sich Min bis jetzt eingesetzt hat, nicht schwer zu finden. Dennoch hat sie es geschafft, noch eine weitere Reihe mit Erfolg herauszubringen, in der sie selbst auftritt. Mit einem Orchester aufzutreten, ist, was die NYCA ihren Klavier-Solisten anbieten. Zusätzlich zu den Orchesterauftritten stellen die NYCA ihren Gewinner auch das Carnegie Hall Debüt-Konzert vor. Die Vorauswahl findet in London, Paris, New York und Seoul statt.
“Manchmal fühle ich mich wirklich so, als ob ich unterschiedliche Persönlichkeiten hätte. Im Jahre 2006 organisierte ich viele Konzerte in Zusammenarbeit mit den Yamaha Artists Services, die in ihrem Ausstellungsraum und der Shepherd Church stattfanden. NYCA erwuchs aus meinen Erfahrungen, die ich im Jahr 2008 gesammelt hatte. Es war so eine Art, es auf ein höheres Niveau zu bringen. Ich verstehe es als eine Zusammenarbeit unter Künstlern – wie bei “Davidsbündler” sollen die künstlerischen Entscheidungen von den Künstlern und nicht von den Firmen getroffen werden. Pianisten sind es gewohnt, vornehmlich allein zu arbeiten. Es gibt einen wirklichen Bedarf, Vertrauen und Beziehungen aufzubauen, um zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig zu helfen. Ich hatte die Vision, genau das auf kontinuierlicher Basis zu tun und sobald sich diese Zielvorstellung klar abzeichnete, entwickelten sich die Ideen, wie das auf die Beine zu stellen sei”, sagt Min.
Und da sie risikofreundlich ist und sich nicht scheut, um Hilfe zu bitten, wenn es um ihre Herausforderungen geht, ist es ihr gelungen, eine echte Anhängerschaft aufzubauen. “Ich klopfe immer an die Türen von kulturellen Stiftungen, Konsulaten und von Individuen, die die Bedeutung von Kunst in der Gesellschaft zu schätzen wissen. Als Künstler haben wir eine wirklich wichtige Rolle zu spielen, wir sind die Hoffnung für die Gesellschaft.” Sie erläutert: ”Wenn es um das Spenden geht, wenden sich die Leute gern an die entferntesten Orte auf der Welt um zu helfen – ich jedoch möchte etwas in meiner Stadt machen, meiner Gemeinde, wo ich bin.” Und ich habe sie in Aktion gesehen – sie kennt jeden und streckt ihre Hand aus – um anderen dabei zu helfen, ihre Ziele in der Welt der Musik zu erreichen, einer Welt, die sie aus tiefem Herzen liebt und wo sie das Gefühl hat, dass sie viel geben kann.
In Japan als Koreanerin aufgewachsen und dann im Jahre 1989 zurück nach Südkorea gezogen, wo sie zur konkurrenzbetonten“Seoul Arts High School” ging, ist Min daran gewohnt, sich auf neue Situationen, unterschiedliche Leute und Mentalitäten einzustellen. “Ich musste lernen sensibel zu sein und mich im frühen Alter an eine andere Kultur anzupassen. Der starke Einfluss der unterstützenden Rolle meiner Mutter hat mich in all meinen Anstrengungen sehr ermutigt. Anders als bei vielen anderen jungen Pianisten, die immer von ihren Eltern angetrieben worden waren, hat mich niemals jemand angestoßen,” erinnert sie sich. Die frühzeitige Anerkennung ihrer Unabhängigkeit durch ihre Eltern hat ihr das Selbstvertrauen gegeben, selbst eigene Verantwortung zu übernehmen. “Anders als bei vielen anderen Koreanern, haben meine Eltern mich nicht kontrolliert und ich hatte, als ich aufwuchs, viel Freiheit.” Sie beschreibt besonders ihre Mutter als eine Seelenverwandte, die – selber Musikerin – wusste, wie schwer es ist, eine Auftrittskünstlerin zu werden. Ihre Mutter fragte sie, “ist das wirklich, was du willst?” Aber sie hat sie immer darin bestärkt, ihrem Traum zu folgen.
Aus Seoul kam sie nach New York City und setzte ihre Klavierstudien bei Solomon Mikowsky an der Manhattan School of Music fort. Ihre Unabhängigkeit wurde für Min noch akuter, als eine finanzielle Krise zuhause sie dazu zwang, auf ihre eigene Findigkeit zu vertrauen. “Ich hatte gerade mein Studium mit einem Bachelor Abschluss beendet und war für eine kurze Zeit nach Korea zurückgekehrt, um Geld zu sparen und wieder finanziell auf meine Füße zu kommen, indem ich auftrat und unterrichtete. Das befähigte mich meinen ‘Master’- Abschluss schnell zu beenden, nachdem ich mich bei Sara Davis Buechner und Byron Janis eingeschrieben hatte”, fährt Min fort. “Ich mochte immer Lehrer, die selbst auftreten. Ich war so begeistert, dass ich alle meine Kurse in einem Jahr abschloss und im dritten Semester mich ausgiebig auf die Lehrstunden konzentrieren konnte.” Min setzte ihr Studium in Lübeck bei James Tocco fort, den sie sowohl wegen seines Unterrichts als auch seiner Persönlichkeit bewunderte.
Im Jahre 2002 gab sie ihr Carnegie Hall-Debüt mit einem Konzert von Weill und der Weltpremiere von Unsuk Chins Piano Etudes, was kennzeichnend für die Zeit war, in der sie damit begann, ihr Repertoire zu erweitern, um sich für gegenwärtige klassische Musik einzusetzen. Sie spielte bei diesem Konzert John Corigilianos Musik und dann im Jahre 2008 sein Klavier-Konzert mit den NYCA unter seiner Anwesenheit.
Min hat in jüngster Zeit die Charakterstücke des amerikanischen Komponisten Henry Martin in Auftrag gegeben und wird diese bald aufnehmen; diese basieren auf den Liedern des amerikanischen Songwriters Steven Foster. Ihre erste Aufnahme mit dem Namen “Ripples on Water” (herausgegeben von Naxos), die die Werke fünf zeitgenössischer koreanischer Komponisten vorstellte, brachte ihr viele herrliche Kritiken für ihren Auftritt ein. ‘New York Concert Review’ schrieb, dass Klara Min “einen wunderbaren, nuancierten Klang, wirkliche Ausdruckskraft..exzellente Technik, Ausgelassenheit und Vitalität” besitzt.”
Min wird bei ihrem bevorstehenden Konzert in der Alice Tully Hall am 8. November ein Präludium uraufführen, das für sie von Uzong Choe komponiert wurde, dem jüngsten der koreanischen Komponisten, die gemeinsam auf der CD vorgestellt werden. Bei diesem Konzert werden ebenfalls Werke von Schumann, Chopin und Messiaen vorgestellt und es wird natürlich auch einige der in Ehren gehaltenen Mazurkas beinhalten.
Ilona Oltuski: Grenzüberschreitend
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