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Oh so Goode! Und noch besser mit Musik!

 

Photo: Deborah Feingold

Alles am Pianisten Richard Goode strahlt Freundlichkeit, Höflichkeit, einen guten Sinn für Humor und Geduld aus. Vorallem aber, vermitteln seine lebendigen Augen eine Neugierde, die mit einer Vitalität und Jugendlichkeit leuchten, die einen leicht über sein Alter hinwegtäuschen — im letzten Sommer wurde er 68 Jahre alt.

Ich hatte die Chance, ihn bei zahlreichen Gelegenheiten spielen zu hören, nicht nur bei einem seiner zahlreichen Konzerte in der Carnegie Hall, wo er aus einer Handvoll herausragender Auftrittskünstler bei Carnegies jährlicher ‘Keyboard Virtuoso’ Reihe vorgestellt wird, sondern auch in intimeren Settings, wie dem ‘92nd Street Y’. Er schafft es immer wieder, das Publikum mit seinen Interpretationen voller Einsicht zu überzeugen. Die Financial Times nannte seine Aufnahme aller fünf Beethoven Konzerte, die er mit dem ‘Budapest Festival Orchestra’ unter der Leitung von Ivàn Fisher (herausgegeben von ‘Nonesuch Records’ im Jahre 2009) spielte, eine “richtungsweisende Aufnahme der Beethoven Konzerte”. Er ist ein Auftrittskünstler, der es schafft, sogar dem bekanntesten Repertoire einen persönlichen Stil und besondere Nuancen abzugewinnen.

Als ich seine Wohnung in der ‘Upper East Side’ betrete, wurde ich gebeten, bitte meine Schuhe auszuziehen und von seiner Frau, der Violinistin Marcia Weinfeld und dem ehrwürdigen Pianisten selbst begrüßt, der entscheidend dabei mitgeholfen hat, das hohe Niveau der internationalen Piano- Szene zu prägen. “Meine Frau unterrichtet ihre Schüler im anderen Wohnungsflügel,” sagt er und schließt die großen, schweren Türen zu seinem Studio, das mit gut gefüllten Bücherregalen ausgestattet ist, die Teile der berühmten Goode Buchsammlung, Aufnahmen und viele Musikpartituren, eine gemütliche Couch und natürlich seinen Klavierflügel beheimatet.

Wie viele zu dieser Zeit aus der Bronx Stammenden, kommt Goode aus einer jüdischen osteuropäischen Familie — beide seine Großmütter wanderten mit ihren Kindern direkt vor dem Krieg aus der Ukraine nach Amerika aus und es dauerte einige Jahre bis ihre Ehemänner ihren Familien nach New York folgen konnten. Goodes Großmutter mütterlicherseits war jüdisch-orthodox und strenggläubig, was seine Mutter rebellieren und einen recht sekulären, amerikanischen Lebenstil annehmen ließ. Goode beschreibt seinen Vater als sehr musikalisch, obwohl er nie eine Musikausbildung erhielt. Seit dem sich der talentierte Sohn ernsthaft dem Klavierstudium widmete, begann der Vater Klaviere zu stimmen, “was wirklich schwer ist — ich versuchte es, aber konnte es nicht machen” fügt Goode lächelnd hinzu.

Goodes erste Lehrerin, an dessen Hausbesuche er sich noch erinnert, entsprach nicht den Vorstellungen seinens Vaters. Einen passenderen Einfluss übte Elvira Szigety, eine Tante des gefeierten Violinisten Josef Szigety, aus und leitete den sechseinhalbjährigen Jungen für die nächsten drei Jahre weiter an.

Die berühmte Kunstmäzenin Rosalie Leventritt hatte auf Richard Goodes frühe Laufbahn den größten Einfluss. Die Leventritt Stiftung war landesweit maßgeblich daran beteiligt, die Musikerziehung zu fördern (siehe die Geschichte der Young Audiences unter http://www.youngaudiences.org ). Durch die Vermittlung von Leventritt wurde Goode dem Pianisten Rudolf Serkin vorgestellt, der zusammen mit Leventritt dem Vorstand der Young Audiences angehörte und willens war, dem jungen talentierten Jungen zuzuhören, wie er für ihn im Haus von Leventritt spielte.

“Serkin brachte mich zu Claude Frank,” sagt Goode, ”der ein Schüler von Schnabel war. Ich hatte Unterrichtsstunden in Leventritts Haus. Dann begann ich das ‘Mannes College’ zu besuchen, das zu dieser Zeit auf der ‘East Side’ beheimatet war. Ich hatte in meinem Leben das Glück, durch meine verschiedenen Lehrer vielen Einflüssen ausgesetzt gewesen zu sein, wie zum Beispiel meinem Theorielehrer Carl Schechter bei ‘Mannes’ und Nadja Reisenberg, die eine Assistentin von Hoffman war, und später, als ich zu Curtis ging, Mieczyslaw Horszowski und natürlich Serkin selbst. Lehrer prägen einen unweigerlich und dann möchte man ihnen entkommen,” gibt Goode zu Bedenken. Rudolf Serkin bleibt eine herausragende Persönlichkeit mit “seiner intensiven und dramatischen Art des Spielens, seiner vollständigen Hingabe an die Absichten des Komponisten und dessen besonderem Stil … er war eine sehr starke Persönlichkeit, die ich bewunderte und von der ich mich gleichzeitig absetzen musste. Ich bin eine ganz andere Person.” Der andere gewaltige Einfluß auf Goode – obwohl nur durch seine Aufnahmen übertragen – er hat ihn nie persönlich kenengelernt – war Schnabel selbst. “Stellte Serkin die Hitze da, war Schnabel das Licht”, meint er. Der österreichische Artur Schnabel war legendär für seine intellektuelle Beherrschung von Beethovens und Schuberts Musik und den Verzicht auf jegliches aufdringliches Prahlen mit der persönlichen bravourösen Technik.

“Es ist für mich eine Erleuchtung, der man folgen konnte, in Hinsicht darauf, wie er Musik sah und wie er intellektuell mit größter Klarheit seine Musik auswahl interpretierte. Jahre nachdem ich aufhörte bei Curtis zu studieren, gab Schnabels Sohn Karl Ulrich Meisterklassen bei ‘Mannes’”. Goode war voller Ehrfurcht solch enge Begegnungen mit dem Sohn seines Idols zu haben. “Und was für eine witzige und angenehme Person er war – und was für ein genauer Lehrer. Sein Unterricht dauerte stundenlang und er gab alles in so einer ungemein warmherzigen und großzügigen Art und Weise. Seine Unterrichtstunden hielten eingie Stunden an und er war danach erschöpft” erinnert er sich. “Ich besitze immer noch Partituren, die von ihm mit Notizen versehen sind.”

Goode übernahm zusammen mit der Pianistin Mitsuko Uchida, (András Schiff machte ursprünglich ebenfalls für einen kurze, anfängliche Zeitspanne mit) Rudolf Serkins historische, vierzig Jahre andauernde künstlerische Leitung des Marlboro Festival nach Serkins Tod im Jahre 1991. Goode begann im Alter von 14 mit dem Besuch von Marlboro, idyllisch im ländlichem Vermont gelegen – einer der Haupt – Nachwuchförderungsstätten der nächsten Generation großartiger Musiker an der Ostküste. Während neun aufeinanderfolgenden Sommern spielte er Kammermusik und lernte von Lehrern, die dafür bekannt sind, zu den Besten zu gehören.

Ich fragte ihn, ob sich unter seiner Leitung das Leben in Marlboro verändert hätte. Er antwortete ein wenig zögernd: ”Der Ton mag sich ein bisschen verändert haben, aber die grundsätzliche Idee blieb bemerkenswerterweise die gleiche. Wir bekommen das Talent, bieten einen Platz zum arbeiten und natürlich eine gute Anleitung und der Geist all dessen schafft eine gute Atmosphäre, wo man auch Spaß haben kann. Wir errichten die Strukturen für Disziplin und Freiheit und dann überlassen wir alles sich selbst. Eine große Veränderung von den alten Weisen ist eine harmonischere, akzeptierendere Haltung gegenüber Musikern, die es einem erlaubt, sich nicht so zu fühlen, als wäre man auf Bewährung hier. Leute hatten früher mehr davor Angst beurteilt zu werden – nun ist alles ein bisschen legerer. Generell haben wir viele Streichinstrumentalisten, aber unglücklicherweise sind wir, was Pianisten betrifft, an der Zahl beschränkt. Wir haben ‘auditions’ und 4-5 der älteren kommen normalerweise für 3 Jahre. Das lässt den Raum für ungefähr 5-6 Newcomer zu. Alles in allem gibt es jeden Sommer 10 Pianisten vor Ort. Alle Teilnehmer proben ausgiebig zusammen und, wenn alles gut geht, hat man schließlich viele Auftritte.” Aber vielleicht ist für alle vielbeschäftigten Musiker hier in Marlboro der wichtigste Faktor das bemerkeswert Einfache und dennoch Erfrischende, das heutzutage in der schnelllebigen, geschäftigen Welt fehlt, die keine Zeit lässt: “Es ist ein Ort, an dem man Zeit hat!”

Photo:Matthew Murphy for the NYTimes

Darüberhinaus bietet Marlboro nicht nur ein sehr willkommenes Lernerlebnis, sondern auch viel Spaß mit anderen jungen Musikern; es ist ebenfalls eine großartige Gelegenheit, sich als aufstrebender Musiker einen Namen zu machen. Viele Pianisten haben dies, als Musicians from Marlboro, mit einer Vielzahl von Auftrittsmöglichkeiten über das Festival hinaus erricht, wie zum Beispiel durch eine, dem Festival angeschlossene Tournee bei der Kammermusikreihe des New York Metropolitan Museums. Unter den weithin bewunderten Teilnehmern des Festivals sind die Marlboro-Asolventen Jeremy Denk und Jonathan Biss, ein Freund von Denk, der im Februar 2010 zusammen mit Richard Goode ein außerordentliches Duo Konzert beim ‘92nd Y’ gab.

Hinsichtlich der anscheinend anwachsenden Menge unermäßlichen musikalischen Talents hat Goode Folgendes zu sagen:”Die immerwährende Fähigkeit zur Musik hat sich gewandelt; es ist bemerkenswert, was für einen Unterschied das Internet uns gebracht hat. Ich selber bin immer noch bei diesem Prozess hinterher,” gibt er lachend zu. “Ich habe bei Marlboro über die letzten 10 Jahre solche Finesse bemerkt. Leute bauen auf dem auf, dem sie ausgesetzt waren, das was sie hören und sie entwickeln eine größere Fähigkeit und Affinität. Gute technische Beherrschung war immer schon weit verbreitet. Technische Herausforderungen werden immer irgendwie überwunden werden. Ein großes Ziel vor Augen zu haben, ist aufregend und Musiker stellen sich den Herausforderungen. Aber das Niveau von musikalischem Können hat sich definitiv erhöht. Ich sehe, dass Musik im klassischen Stil zu machen, viel schwerer für die jüngere Generation zu meistern ist als vielleicht ein Werk aus dem späten 19ten oder frühen 20ten Jahrhundert. Grundsätzliche Elemente liegen viel mehr offen – jede Note zählt und Beziehungen sind vielleicht subtiler. Musiker brauchen die Öffentlichkeit, mehr Interaktion mit anderen Musikern anderer Disziplinen und mehr Kommunikation. Wir haben einige Innovationen mit bei Marlboro einbezogen, zum Beispiel ein wundervolles Programm für Vokalisten, die zuvor ein bisschen wie Bürger zweiter Wahl behandelt worden waren. Wir bieten nun einen Opern- ‘Workshop’, der von Ken Noda von der ‘Metropolitan Opera’ eingerichtet wurde, wie auch ein Programm für begabte Nachwuchs-Künstler.“

Goode unterrichtet auch am ‘Mannes College’ und gibt Meisterklassen mit Ursula Oppens am City College. “Es wurde mir zunehmend klar, dass das Unterrichten und das Spielen nur verschiedene Aspekte der selben Sache sind – ein Musiker zu sein, sich in die Musik hineinzuversetzen und, wie es Horszowski ausdrückte, das Lesen der Partitur mit einzuschließen und zu sehen, was es darin gibt!” Und er fügt hinzu, “die Sache, die ich bei Serkin gelernt habe, dass es das Resultat am Ende ist, das zu entdecken, was versteckt ist; aber um das zu tun, muss man erst die Partitur auskundschaften und darüber Bescheid wissen, was es darin gibt!”

Photo: Sasha Gusov

Und da wir über die Partitur sprechen, erzählte ich ihm von meiner Liebe für das Schumann Konzert. Er berichtet mir von einer wunderbaren Überraschung, die er eines Abends nach der Aufführung meines Lieblingskonzertes erlebte:” Nach meinem Auftritt kommt Richard Roe, der Musikexperte von Sothebys, hinter die Bühne und fragt mich, ob ich die Orginalpartitur von Schumann Konzerts sehen möchte. Ich brannte vor Freude und Neugierde und meinte, ‘natürlich, wann kann ich kommen, um sie zu sehen – vielleicht morgen?’ Und da war sie, die Orginalpartitur, direkt bei Sothebys, voll von Überarbeitungen in Schumannns sorgsamer Handschrift.” Und damit gingen wir hinüber zu seinem Bücherregal, suchten ein bisschen und kamen dann mit einer gedruckten naturgetreuen Kopie der Originalversion zurück, die so klar Schumanns Bemühungen aufzeigt, beim Übergang vom zweiten zum dritten Satz eine von vier Versionen auszuwählen. Am Anfang stand ein anderer Anbeginn, mit dem Klavier anfangend und dem Orchester den dritten Takt gebend. Goode erzählte mir von einem Auftritt, der dessen Publikum erstaunte, dem Spielen der ursprünglich ersten Version der Partitur in der ‘Carnegie Hall’ von dem Pianisten Malcom Freger, der ein Schüler von Karl Friedberg war, der seinerseits bei Clara Schumann studiert hatte. Traditionen verpflichten und die Partitur ist ein Kapitel für sich. Um dieses zu bezeugen, erzählt mir Goode, dass er sich dazu entschlossen hat, öfter mit der Partitur aufzutreten. Für ihn ist es so, dass das Auswendiglernen den Prozess des Hervorbringens von Musik beschneidet: “Besser, ich spiele entsprechend der Musik. Vieles in meinem Spielen (in der Kammermusik) liegt in der Musik selbst. Warum soll man drei Haydn Sonaten auswendig lernen, wenn man mit der Partitur vorliegend 15 spielen könnte? Ich empfinde ein großes Maß an Freiheit und weniger von der Angst, vor einem Erinnerungsfehler eingeschüchtert zu werden. Solange man die Musik verinnerlicht, macht es nichts aus, dass sie vor einem steht, es sollte so sein, wie es für einen jeden Auftrittskünstler am besten ist, das auszudrücken, wovon man denkt, das es den richtigen Klang vermittelt. ”

Es ist an der Zeit, dass sich jemand von dem emanzipiert, was zu einem ungeschriebenen Gesetz der Spielpraxis geworden ist. Zu guter Letzt geht es darum, wie gut man der Musik Gehör veschafft.

Richard Goodes nächste Auftritte in New York City:

24. April 2012 – Carnegie Hall, Isaac Stern Auditorium, New York, NY.

Während der Tournee

12. Februar 2012 – Royal Festival Hall, South Bank Centre, London

2. März, 2012 – University of Buffalo Lippes Concert Hall, Buffalo, NY.

4. März, 2012 – Chicago Symphony Center, Chicago, IL.

5. März 2012 – Lutkin Hall, Northwestern University, Evanston, IL.

9. März 2012 – Kauffman Center for the Performing Arts, Kansas City, MO.

18. März 2012 – Shriver Hall, Baltimore, MD.

20. März 2012 – SOPAC, South Orange, NJ.

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