Das Insekten- oder Bienensterben ist ein ernsthaftes Problem, das zunehmend unsere Natur und unsere Landwirtschaft bedroht. »In den vergangenen 27 Jahren nahm die Gesamtmasse der Insekten laut Studie um mehr als 75 Prozent ab, berichten Wissenschaftler im Fachmagazin „PLOS ONE”. Die Analyse bestätigt erste, im Sommer vorgestellte Ergebnisse« (Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger, „Deutlich weniger Vögel und Insekten in Deutschland“, © 2017).
Zwar hat Albert Einstein den berühmten Ausspruch »Wenn die Bienen verschwinden, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben …« mit großer Wahrscheinlichkeit nie so (oder auch ähnlich) formuliert (s. → Wikipedia), aber der Kern der unterstellten Aussage ist dennoch nicht von der Hand zu weisen: Ein Aussterben der Bienen hätte fatale Folgen für die Natur in unseren Breitengraden, die von der Bestäubungsarbeit durch Insekten abhängig ist.
Der norwegische Komponist Bjørn Bolstad Skjelbred (*1970) beschäftigt sich in seiner Musik mit der Welt, die uns umgibt, den schönen, wie den tragischen Seiten. Mit den „Bee Madrigals“ hat er eine Art sechsteilige Suite aus Chorkompositionen geschaffen, die das Phänomen des Bienensterbens und unseren Umgang damit aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Es beginnt in „The Warning“ mit dem „Summen“ einer einzigen Stimme und steigert sich dann in einen mehrstimmigen Chor, der durch Oberton-Gesang eine zusätzliche mystische Nuance erhält. „Spring Without Voices“ imitiert die erwachende Natur mit ihren vielfältigen Lauten, die dann plötzlich verstummen zu einem „Frühling ohne Stimmen“. Es folgt die schamanische Vision aus dem Innern des Bienenstocks („I Was No Alien“) als Introspektion; ihr gegenübergestellt ist die Außenschau der hektischen Diskussion im Internet über das Bienensterben („It Adds Up/The Blog“) während die Natur stirbt („Colony Collapse“). „Still in Silence“ ist schließlich eine Art Requiem für eine stille Natur, in der die Insekten verstummt und verschwunden sind. „Still in Silence“ eröffnet das Album auch in einer Fassung, bei der der Jazztrompeter Nils Petter Molvær das eigentliche Werk mit einem kurzen Vorspiel eröffnet und später über den mehrstimmigen Gesang improvisiert.
Molvær mag der große, auffällige Name auf dem Plattencover sein (zumindest für jene, die sich üblicherweise außerhalb der klassischen Musik bewegen), aber die eigentliche Hauptrolle des Albums spielt das sensationelle Vokalsextett Nordic Voices. Das 1996 gegründete Ensemble aus Oslo hat in den letzten Jahren einen exzellenten Ruf erworben, sowohl als Interpret Alter Musik, etwa der polyphonen Werke von Tomás Luis de Victoria, als auch als engagierte Fürsprecher der Neuen Musik. So überzeugten Nordic Voices als technisch versierte Sänger in Gisle Kverndokks „Fuge der Zeit“ (Aurora ACD5077). Beide Klangwelten, die archaische de Victorias und die moderne Kverndokks finden sich in Skjelbreds Madrigal-Requiem wieder. Die Nordic Voices glänzen mit flirrenden Obertönen („The Warning“), folkloristischen Anklängen (in „Spring without Voices“), die die samische Gesangstradition des Joik zitieren, präzisem homoophonen Gesang („I Was No Alien“), experimentellen und modernen Sprechsequenzen („The Blog“) und hypnotisierender Polyphonie („Still in Silence“). Zusammen mit einer fantastischen, plastischen Klangregie und einem stimmigen Artwork ist „The Bee Madrigals“ eine der spannendsten europäischen Neue-Musik-Produktionen des Jahres.
Auf naxos.de findet man verschiedene empfehlenswerte digitale und physische Bezugsquellen.
Fotocredit: Biene in Blüte, mit freundlicher Genehmigung von Petra Schulten, © 2017
Schreibe den ersten Kommentar