“Man kann nicht immer überzeugen“ meint der junge israelische Dirigent Noam Zur bei seinem nordamerikanischen Debüt, “aber jeder Auftritt muss aussagekräftigt sein.” Bekannt als ein wichtiges Bildungs- und Freizeitzentrum für die darstellenden Künste wie auch als Ort der Spiritualität, hatte Chautauqua seinen Ursprung in einer Sonntagsschule, und das ‘Chautauqua Symphony Orchestra’ (CSO) wurde im Jahre 1929 zu einem professionellen Auftrittsensemble. Chautauqua lockt vor allem seine langjährigen Mitglieder für eine Zeit von neun Wochen an, indem es sie mit einem intensiven Programm von 21 Konzerten bedient. Teile des Charmes von Chautauqua beim Musizieren liegt darin begründet, dass diese Shows ein vertrauliches gemeinschaftliches Erlebnis schaffen. Chautauquas einzigartige und bespielhafte pädagogische Rolle unterstützt eine endlose Vielzahl von Lernerfahrungen in einer angenehmen Atmosphäre. Zeitweilig wurden Chautauquas Auftritte auch einer breiteren Öffentlichkeit durch PBS und NPR, also den Übertragungen der öffentlichen Sender nähergebracht, indem sie das Neue, das Bemerkenswerte und das Außerordentliche zusammenbrachten und es auf all diejenigen projizierte, die gewillt waren zuzuhören. Noam Zurs übersprudelndes Auftreten und seine Fähigkeit, eine Beziehung sowohl zum Orchester als auch zum Publikum herzustellen, sorgte letzte Woche in Chautauqua für ein fantastisches Konzert, dass die Spielsaison beschloss. Zur eröffnete seine Show mit einem energiegeladenen, flotten Repertoire, das eine traditionelle Wiedergabe von “The Star-Spangled Banner” und der Fledermaus-Ouvertüre von Johann Strauss Sohn enthielt.
Die Show war die letzte in einer langen Reihe, und so war die technische Ausführung stellenweise alles andere als perfekt, aber trotzdem erreichte das Orchester in Momenten während des Ravel-Arrangements von Mussorgskys ‘Bilder einer Ausstellung’ nuancierte, perfekte Momente und so gelang es, mit Expertise die angedeuteten Klangwelten der Miniaturszenen herüberzubringen. Zurs Anforderungen sowohl an das Orchester als auch das Publikum wurden die ganze Zeit hindurch überzeugend artikuliert; sein unbeirrter Regieansatz gab vollends ein Beispiel für die Fähigkeit eines Dirigenten ab, zwischen den visuellen und den auditiven Ereignissen eine Verbindung herzustellen, die einem Live-Konzert die Energie verleihen.
Indem Daniil Trifonov zum zweiten Mal Chopins zweites Klavierkonzert unter der Leitung von Zur spielte, musste der russische Pianist gewaltige Erwartungen als Bezugspunkt dieses herausgestellen Stücks erfüllen. Trifonovs Ehren eilen ihm voraus, da er jüngst auf drei wichtigen internationalen Klavierwettbewerben mit Preisen ausgezeichnet wurde und seine Talente von den Superstars unter den Musikern gutgeheißen wurden, einschließlich von Martha Argerich, die meinte, dass sie “nie ein Berühren [der Tasten] wie bei ihm gehört hat. ” (Financial Times 2011). Was Zur und Trifonov in Chautauqua zusammenbrachte, sagt viel über die internationale Konzertkultur aus und darüber, wie sich in Wettbewerbskreisen Freundschaften bilden. Vize-Präsident und Programmdirektor Marty Merkley verwaltet den jährlichen Haushalt des Programmbüros von Chautauqua in Höhe von 8 Millionen Dollar. Diese großzügige finanzielle Ausstattung gibt dem Ensemble die Möglichkeit, angesehene und vielversprechende Gastkünstler einzuladen, einschließlich vieler junger Preisträger aus den internationalen Wettbewerbskreisen. Merkley, der verschiedentlich in große Projekte auf dem Musikmarkt involviert war, wie zum Beispiel Michael Tilson Thomas’ New World Symphony in Miami, ist dazu in der Lage, sich aktiv mit Wettbewerben und den Künstlern auseinanderzusetzen, die ihre Unterstützung erhalten.
Als Empfänger des ersten Preises des Internationalen Arthur Rubinstein Klavier-Meisterwettbewerbs im Jahre 2011 wurden Daniil Trifonov mehrere Auftrittsmöglichkeiten von Uri Zur vom ArtPro-Management (dem Vater von Noam Zur) angeboten, der seit 2003 die Preisträger bei ihren Auftrittsmöglichkeiten betreut. Der Auftritt in Chautauqua im Jahre 2005 von Alexander (Sasha) Gavryluk, einem ehemaligen Empfänger des ersten Preises, ist immer noch in der Erinnerung seines musikliebenden Publikums. Es war ein besonderes Konzert wie dieses, das in Tel Ariv stattfand, das Trifonov im letzten September zum ersten Mal mit Noam Zur zusammen zum Kulturwald Festival in den Bayerischen Wald brachte. Noam Zur war der Hauptdirigent der Kammerphilharmonie Frankfurt geworden und dazu auserkoren worden, die Produktion der Zauberflöte beim Kulturwald Festival zu leiten. Für den Direktor des Festivals und Uri Zur dauerte es nicht lange zu realisieren, dass sich diese Dynamik einfach in einen Auftritt mit Trifonov, Zur und Orchester übertragen ließe.
Uri Zur, der einen langen beruflichen Weg in der Musikindustrie hinter sich hat, einschließlich der Leitung des Plattenvertriebs von Naxos in Israel und natürlich der Gründung der Künstlermanagement Agentur ArtPro, steht in Chautauqua immer in engem Kontakt zu Marty Merkley, aber hatte nicht vor, den eigenen Sohn für die Spielaison zu promoten. Trotzdem, als Trifonov sein Interesse an einem Auftritt in Chautauqua zu einer Zeit zum Ausdruck brachte, als CSO ohne einen Dirigenten war, gab es keinen Grund, bei der Besetzung dieser Funktion Noam nicht in Betracht zu ziehen, angesichts seiner beträchtlichen Verdienste als Dirigent. Der extrem chaotische Ablaufplan des Festivals gestattete Zur und Trifonov nur eine Probe vor ihrem Live-Auftritt, und so entschloss sich das Team, Chopins zweites Klavierkonzert zu wiederholen, um zu versuchen, den ergreifenden Auftritt, den Zur und Trifonov in Deutschland dargeboten hatten, neu erstehen zu lassen. Wenn er zu den Proben gefragt wird, kommentiert Noam Zur, dass “Dirigenten nie empfinden, die richtige Menge an Zeit zur Verfügung zu haben.” Er meint, “es ist entweder: ‘ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll und wie haben noch weitere drei Tage’ oder ‘es gibt noch so viel zu tun und wir haben nur noch drei Tage übrig!’ Besonders bei der Oper passiert es oft, dass man keine Proben bekommt.” Er sagt, dass manchmal Auftrittskünstler mit sehr wenig Proben auskommen müssen oder eben einfach ‘improvisieren: “Ich kenne das Stück, du kennst das Stück, treffen wir uns also am Abend.”
Noam Zur assistierte Pierre Boulez beim Akademie-Orchester des Lucerne Festivals von 2006 bis 2008. Von dem großartigen Stil des Meisters machte er sich eine ambitionierte und dennoch entspannte Einstellung zu Eigen. Er erinnert sich noch immer daran, in einer offenen Meisterklasse für Boulez in Luzern zu dirigieren. Als Zur in seinen Schuhen wackelte und der Schweiß tropfte, unterbrach ihn Boulez und sagte “das war sehr, sehr gut…nun tue es noch einmal und diesmal auf fantastische Art und Weise!” Zur erinnert sich an all die lebendigen Musikdiskussionen, die wir hatten und in denen er nicht ein einziges Mal versuchte, seine Meinungen aufzudrängen. Dennoch lernte ich anspruchsvoll und kritisch genug zu sein, um nicht Leute mit allem ungeschoren davonkommen zu lassen.” Als ehemaliger Posaunist schaut er, wie Zur meint, zuerst aus der Perspektive eines Orchestermusikers auf die Partitur. “Es ist keine Choreographie,” sagt er. “Von diesem Maßstab weiche ich nicht ab , es ist wichtig, wie es aussieht. Es sollte noch schön aussehen, aber nur deswegen, weil man einen besonderen Klang haben möchte. Die Bewegung gibt den Anstoß, der den Musikern die Bedeutung und die Ausdrucksweise angibt, die Philosophie dessen, wie es klingen sollte.”
Obwohl Trifonov, nachdem er beim Internationalen Arthur Rubinstein Klavier-Meisterwettbewerbs 2011 Gold geholt hatte, viele Konzerte vor sich hatte, was ein bemerkenswerter Pianismus-Marathon und eine extrem anstrengende Erfahrung war, entschied er sich festzustellen, ob er seine Erfolgssträhne beim Tschaikowsky Wettbewerb fortsetzen könnte, da er dafür bereits eingeschrieben war. Uri Zur bemerkte, dass Trifonov ”nicht die höchsten Erwartungen hegte, als er soeben den Rubinstein [Wettbewerb] beendet hatte, aber es dennoch irgendwie versuchen wollte.” Mit seiner ausgezeichneten Darbietung von Tschaikowskys erstem Klavierkonzert in der letzten Runde des Wettbewerbs mit dem Mariinsky Orchester unter der Leitung des russischen Dirigenten Valery Gergiev erwarb Trifonov weiteres Gold. Gergiev zögerte nicht mit der Unterstützung seines jungen Landsmanns, dem er den ‘Grand Prix’ Preis des Wettbewerbs verliehen hatte. Gergiev brachte Trifonov für mehrere Konzertereignisse mit an Bord und er entführte Trifonov zeitweilig sogar von Auftritt zu Auftritt in seinem eigenen Jet über den Kontinent durch die Hemisphäre. “Einmal setzte er mich bei einer Auftrittsprobe ab, machte dann mit dem Dirigieren seines eigenen Konzertes weiter, um dann zu meinem Auftritt zurückzukommen. [Sie waren] in unterschiedlichen Ländern.” Trifonov lächelt bei dieser Erinnerung, dankbar für die großzügige Aufmerksamkeit, die der Künstler, den er als einen “der weltweit überragenden und vielbeschäftigsten Musiker” bezeichnet, ihm schenkte. Allein in der letzten Spielzeit trat Trifonov mit Meister Gergiev bei verschiedenen Konzerten auf und nahmen sie zusammen ein Repertoire in Angriff, das Prokofjews erstes Klavierkonzert, Gusonows zweites und Liszts erstes miteinschloss. Für die Spielzeit 2013 bereitet Trifonov sehr viel neues Repertoire für noch mehr Auftritte unter der Leitung von Gergiev vor, einschließlich von Rachmaninows drittem Klavierkonzert und Prokofjews zweiten. “Ich werde auch etwas von Scedrin lernen. Und, als Abwechselung, ist es modern. Ich interessiere mich sehr dafür, mehr modernes Repertoire zu erkunden, wozu ich bisher nicht allzu viel Gelegenheit hatte,” sagt der 21-jährige virtuose Pianist. “Die russische Schule legt den Schwerpunkt auf klassische Arbeiten, auch Bach und vor allem die Romantiker,” meint er. Zwei Tage vor seinem eigenen Auftritt in Tel-Aviv hatte Trifonov die Gelegenheit, der Darbietung von Chopins erstem Klavierkonzert mit dem ikonischen russischen Pianisten Evgeny Kissin unter der Leitung von Zubin Mehta, dem Musikdirektor auf Lebenszeit der israelischen Philhamonie, beizuwohnen. Trifonov war immer ein großer Bewunderer von Kissins künstlerischer Individualität gewesen. Beide Musiker hatten die berühmte Moskauer Gnessin Schule für begabte Kinder besucht, die er vor allem dadurch beschreibt, dass diese nicht die wunderbar ausgestatteten Übungsräume des ‘Cleveland Institute of Music’ besaß, die er hier nutzt, wo er nun mit dem vierten Jahr beginnen wird. “An der Gnessin-Schule spielte ich an einem aufrechten, alten, vergammelten Bechstein.” erinnert sich Trifonov. Zugang zu einem modernen, gut instandgehaltenen Steinway Konzertflügel zu haben, macht – folgt man Trifonov – einen fühlbaren Unterschied bezüglich des Übens und des Spielens, besonders wenn es darum geht, ein ‘großes’ Repertoire wie Rachmaninow zu erobern gilt, das er erst im letzten Jahr zu erkunden begann. Am ‘Cleveland Institute’ studiert Tifonov beim amerikanischen Pianisten und Dirigenten Sergej Babayan. Trifonovs Repertoire war schon immer Chopin-lastig, aber seine jüngsten Studien bei Babayan haben für ihn ein völlig neues Verständnis des idiosynkratischen Mikrokosmos eröffnet, der das Werk von Rachmaninow ausmacht.“ Er zeigte mir einen völlig anderen Ansatz, als den, den ich in Russland gelernt hatte. Obwohl sich letztendlich jeder zurück auf Neuhaus bezieht, gibt es darin sehr unterschiedliche, verschiedene Ansätze. Babayan öffnete mir meine Seele, ohne mir das wegzunehmen, was ich vorher besaß. Bei ihm geht es immer um den richtigen Touch! Er hat meinem Spielen eine enorme Dimension hinzugefügt,” sagt Trifonov. Auf die Frage hin, wie er gelernt hat, die Tasten in einem jenseitigen Piannissimo zu berühren, was klingt, als käme es aus dem Jenseits, beschreibt Trifonov, wie die Studenten in der Bemühung, während der Babayan Studio-Auftritte seine unmöglich leisen Töne zu hören, den Atem anhalten. Es scheint, dass es eine Kombination aus der russischen Schule und der himmlischen und dennoch ausgeprägten Weise ist, die Tasten zu berühren, dass das Pianissimo dieser Pianisten in die nächste Dimension bringt. Ich persönlich habe Babayans Auftritten zugehört und es ist wahr – man hört in einer persönlich verarbeiteten Natur das Echo des Meisters.
Der junge Künstler sagt, dass er, obwohl er nur 15 Prozent seiner Zeit dem Studium widmen kann, weiterhin für ein Künstlerdiplom mit Babayan zu studieren beabsichtigt, da er findet, dass er noch viel lernen kann. Trifonov realisiert, dass er die Musik eines jeden neuen Komponisten entsprechend seines eigenen Zeitrahmens lernen muss. Er kann sich vorstellen, zu einem späteren Zeitpunkt sich an Beethoven zu machen. “Selbst Schubert war eine Herausforderung für mich, gibt Trifonov bescheiden zu, als er Schuberts letzte Sonate in b-Moll spielt, obwohl es die Mozart Konzerte waren, die immer ein besonderes Erlebnis für mich waren.” Die Zusammenarbeit zwischen Noam Zur und Trifinov war ein durchschlagender Erfolg. “Am Ende war es ein faszinierendes und furchterregendes Erlebnis. Das Publikum wagte es nicht, sich zu bewegen, um ja keinen Ton in der fantastischen ‘Chopin in der Scheune’-Atmosphäre zu verpassen,“ erinnert sich Zur. “Wir waren wirklich nicht nur musikalisch gesehen miteinander verbunden. Zweifellos wurden wir Freunde. Ich schätze mich glücklich, in diesem Jahr wieder mit Daniil zusammen zu sein und ich bin ihm wirklich für dieses hier zu Dank verpflichtet.” Zur Überraschung von niemanden brachte Tridonov reine, lyrische Klarheit in sein Klavierspiel und Zur unterstützte mit Expertise selbst das delikateste Pianissimo, das Tridonov seinem Klavier mit seiner delikaten, fast magischen Zärtlichkeit entlockte. Ihre Synergie war nie offensichtlicher als im auffallend poetischen und extrem ergreifenden Larghetto-Satz. Zur und Trifonov schafften es, einige der magischen Momente ihres ersten Auftrittes wieder aufleben zu lassen. Dank der Auftrittsmöglichkeiten bei Festivals wie Chautauqua können junge Talente, wie Trifonov und Noam Zur es sind, damit beginnen, dem Publikum eine sich fortwährend ausweitende Sensibilität gegenüber der Schönheit der Musik wie des Lebens beizubringen und eine anhaltende Talenttradition fortzusetzen, die die internationale Konzertszene durchdringt. Während es sich bei diesem Konzert um das nordamerikanische Debüt von Noam Zur handelte, war es ebenfalls ein rührendes ‘Vor-den-Vorhang-treten’ des führenden CSO-Cellisten Chaim Zemach, der die Bühne bei Chautauqua nach 45 Konzertsaisons in einem offenbarendem Gemütszustand verließ. Wie sich Chautauqua entwickelt, so bin ich mir sicher, dass man weiterhin hervorragende Leistung und Innovation auf dieser Bühne erwarten.
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