Nicht nur in der Popmusik genießen schwedische Produktionen einen exzellenten Ruf, auch im Jazz hat sich das nordeuropäische Land mit zahlreichen international erfolgreichen Künstlern einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Schon früh und zunächst nicht ohne Hilfe der US-amerikanischen Künstler, die in den 1950er und 1960er Jahren gerne in Europa gastierten, entwickelte sich die schwedische (oder eigentlich die skandinavische) Szene kontinuierlich. Spätestens seit den 1980er Jahren verzeichnete sie durch einen eigenen, technisch brillanten Sound auch international Erfolge: Nils Landgren, Viktoria Tolstoy, Lars Danielsson, Ida Sand und der viel zu früh verstorbene Esbjörn Svensson gehören zu den wichtigsten und erfolgreichsten Motoren des modernen Jazz. Ihre Wirkung reicht weit über die Landesgrenzen hinaus.
Moment einmal: Jazz im Naxos-Blog? Aber selbstverständlich! Naxos hat nicht nur zahllose Klassik-Plattenfirmen im Vertrieb, sondern einige hochinteressante Jazz-Labels, so zum Beispiel Ladybird, »a Swedish independent record company« aus Stockholm. In ihrem kleinen, aber feinen Katalog finden sich ausschließlich schwedische Künstlerinnen und Künstler mit hochwertigem Jazz-, aber auch Folk- und Klassik-Repertoire. Zu ihren (international) interessantesten Veröffentlichungen gehören die drei Alben der Sängerin Isabella Lundgren.
Auf ihrem dritten Album „Where is home“ präsentiert sich die junge aus Karlstad stammende Sängerin als gereifte Interpretin ihrer eigenen Songs, die sie zum Großteil mit ihrem angestammten Pianisten Carl Bagge geschrieben hat. Nachdem sie sich auf ihren ersten beiden Alben „It Had to be You“ (2013) und „Somehow Life Got in the Way“ (2014) auf Jazz-Standards und die Klassiker des Great American Songbooks konzentriert hat, enthält „Where is home“ außer dem Traditional „Sometimes I Feel Like A Motherless Child“ zehn Eigenkompositionen. Isabella Lundgren dankt in den Anmerkungen explizit Bessie Smith und Judy Garland, in deren Spannungsfeld zwischen Jazz, Blues und Musical sie sich musikalisch bewegt und Bob Dylan und Joni Mitchell, denen sie als Autorin nacheifert. Die Arrangements sind zumeist akustisch (Klavier, Bass, Drums) und rücken die bluesig-gefühlvolle Stimme Lundgrens in den Vordergrund, ohne sie aufdringlich wirken zu lassen. Nur selten experimentiert die Sängerin mit Samples (etwa beim Opener „Anomie“), ungewöhnlichen Rhythmen („Penitential Rite“) und Formen („Where is home“). Die Grundhaltung ist melancholisch, aber weniger unterkühlt, als man es gemeinhin den skandinavischen Sängern und Sängerinnen unterstellt.
Obwohl die Besetzung eher konservativ gehalten ist, klingt das Album deutlich moderner und zeitgemäßer als die beiden Vorgänger. Lundgren löst sich hörbar vom übergroßen Erbe des Vocal-Jazz. Bessie Smith und Judy Garland mögen noch immer stimmlich große Vorbilder für die junge Sängerin (Jahrgang 1987) sein, auf „Where is home“ rückt Isabella Lundgren jedoch zum ersten Mal ihre eigene Persönlichkeit in den Mittelpunkt. Und das steht ihrer Musik gut zu Gesicht, pardon, zur Stimme. Lundgren singt ihre schwermütigen Texte um enttäuschte Erwartungen, unerfüllte Sehnsüchte, ungleiches Lieben, Missbrauch von Macht und Verlust von Freiheit trotz ihrer Jugend mit der Überzeugungskraft einer alten Seele. Ihre Band begleitet sie sicher, zumeist unaufdringlich und nutzt dezent die Freiräume, die zwischen den oft fragmentarisch wirkenden Strophen bleiben.
Mit „Where is home“ ist Isabella Lundgren ein Album gelungen, das in bester schwedischer Tradition höchste technische Qualitätskriterien erfüllt und das gleichzeitig von authentischer Originalität zeugt. Mit diesem Album im Gepäck sollte Isabella Lundgren auch jenseits des Öresunds bald mehr als nur ein Geheimtipp für Jazz-Aficionados sein.
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