Selten sind sie geworden, die kleinen Überraschungen des Musikalltags. Im Falle meiner jüngsten Begegnung mit der Musik des Komponisten und Autors Ned Rorem kann man die Überraschung schon als außergewöhnlich heftig beschreiben. Ned Rorem, wer ist das eigentlich? Nie zuvor gehört… Wenn es Ihnen auch so geht, dann lesen Sie doch weiter und lassen Sie sich so überraschen, wie die Person Ned Rorem und seine Musik mich überrascht hat.
Alles begann mit einer Neuveröffentlichung in der qualitativ stets fabelhaft ausgestatteten Reihe „American Classics“ des allseits bekannten NAXOS-Labels: „Three Symphonies“ von Ned Rorem. Wieder einmal eine Entdeckung auf NAXOS, dieses begrüßenswert günstige Label, welches einen ja immer mal zum Probieren auch von bisher Unerkanntem einlädt. Ned Rorem war mir bisher eher schlecht als recht als Komponist von Liedern und Chorwerken bekannt. Ich hatte bisher noch keine Musik von Ihm gehört, der Name war jedoch geläufig. Um so erstaunter war ich, eine CD mit Orchesterwerken von Rorem vor mir zu haben, noch dazu Symphonien!
Nun mag es ja vielleicht ein wenig albern erscheinen, doch ist die Symphonie an sich für meinen privaten musikalischen Geschmack nach wie vor immer so etwas wie die „Königsetappe“ für jeden Komponisten. Bereits seit Beethovens 9 Symphonien, spätestens aber seit Bruckner und Mahler wissen wir, dass die Symphonie die breiteste Palette an Ausdrucksmöglichkeiten für einen Komponisten bietet. Die Symphonie als Zenit des musikalischen Schaffens!? Sicher kann man das bei vielen Komponisten eindeutig bejahen. Komponisten wie Gustav Mahler, Ludwig van Beethoven, Anton Bruckner, Franz Schubert, Johannes Brahms, nicht zuletzt aber auch modernere Vertreter wie z.B. Charles Ives, Ralph Vaughan Williams und Takashi Yoshimatsu haben eindeutig die Symphonie in den Mittelpunkt ihres Schaffens gerückt. Der Reiz eine CD eines modernen amerikanischen Komponisten mit drei seiner Symphonien zu erwerben, war für mich daher sehr groß, zumal ich die Symphonien von anderen Amerikanern wie Ives und Copland sehr schätze.
Rorem’s Musik ist in gewissem Sinne unausgewogen, eine wilde Stilmischung von berauschender Extravaganz, hat aber zweifellos Klasse. Die 1. Symphonie beginnt mit einem an Janacek’s „Sinfonietta“ gemahnenden Bläsermotiv. Im abschließenden Allegro wird dieses Element wieder aufgegriffen ohne jedoch das Thema des ersten Satzes zu bemühen. Die „Symphony No.1“ aus den Jahren 1948-1950 wirkt über weite Strecken noch so, als habe sich der Komponist nicht ganz entscheiden können wohin er gehört, denn der französische Einfluss, der Rorem bereits seinen Jugendjahren nie mehr losgelassen hat, zeigt sich deutlich in einigen musikalischen Parts, die auch aus der Feder eines Francis Poulenc hätten stammen können.
Interessant ist, dass Rorem diesen starken französischen Einfluss nie verleugnete. Sein Klavierlehrer brachte ihm schon in früher Jugend die Musik von Ravel und Debussy nahe. Rorem: „It changed my life forever“. So sehr, dass Rorem selbst für lange Jahre nach Frankreich auswanderte, sich seinem musikalischen Haupteinfluss bewusst stellte, statt ihn zu verleugnen, so wie es vielleicht manch anderer amerikanische Komponist seines Alters gemacht hätte. Sicherlich liegt hier auch die Wurzel zu Rorems kompromisslosen Bekenntnis zur Tonalität, die er nie in seiner Karriere, zugunsten von avantgardistischen Experimenten etwa, verließ.
In Rorems Biographie gibt es viele „Aha“-Momente. So studierte Rorem z.B. bei dem bekannten amerikanischen Kompnisten Virgil Thomson, von dem er die Tricks und Kniffe des richtigen Instrumentierens lernte, eine hohe Kunst, die unter Klassik-Hörern oft kaum geschätzt oder überhaupt in Betracht gezogen wird. Rorem schrieb sogar die Partituren von Thomson ins Reine, so dass er dadurch noch einmal mehr Übung in der Kunst der Instrumentierung bekam. Eine freiwillige Leistung, für die Thomson zweifellos seine Leute gehabt hätte, die aber den unbändigen Willen Rorems zu Qualität zeigt, seinen Willen zu handwerklich tadellos gemachter Musik.
Dieser Wille fruchtete zweifellos, wie man auch der „Symphony No.2“ anhört, ein ambitioniertes, weniger zugängliches, im Vergleich zur 1. Symphonie geradezu düsteres Werk. Laut Angaben des Komponisten wurde es bis zum Erscheinen der vorliegenden CD inklusive der Uraufführung nur zwei Mal seit seinem Erscheinen im Jahr 1956 zur Aufführung gebracht. Dies verwundert nicht, ist die 2. Symphonie doch deutlich sperriger als ihr Vorgänger und ihr Nachfolger. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass Rorem mit der 2. Symphonie aber auch in Punkto Stilsicherheit Gewinne verbuchen kann. Rorem klingt in dieser Symphonie wesentlich amerikanischer, manchmal wie Ives, oft wie die Exilkompositionen von Paul Hindemith (Ich weiß nicht warum, aber Teile dieser Symphonie erinnern mich vom Klangcharakter her stark an Hindemiths Requiem „As Lilacs Last In The Dooryard Bloome’d“). Der französische Eindruck steht deutlich zurück, kommt noch am Ehesten im langsamen zweiten Satz des dreisätzigen Werkes zum Ausdruck, könnte hier aber auch eine Reminiszens an Copland sein.
Insbesondere die Holzbläser tun viel für den frankophilen Charakter den Rorems Musik zeitweise versprüht. Interessant ist auch, dass seine Musik zwar auf den ersten Blick antiquiert klingen mag (schließlich hatten Amerikaner wie Ives, Hanson, Copland oder auch Thomson die Klangbereiche in denen sich Rorem im Wesentlichen bewegt bereits schon Jahrzehnte zuvor weit kühner ausgelotet), gleichzeitig ertappt man sich beim Hören von Rorems erster und dritter Symphonie oft bei dem Gedanken an Musik von Neuerern wie Philip Glass, Michael Nyman oder auch an einen frühen Arvo Pärt. Augenblicke nur, und trotzdem sind sie da. Lange bevor ein Michael Nyman überhaupt ans Komponieren dachte, gibt es hier plötzlich Ähnlichkeiten. Erstaunlich!
Insgesamt ist und bleibt Ned Rorem eine erstaunliche Person. Eine Person, die offensichtlich viel Geld und Aufwand auf Promotionaktivitäten wie Pressefotos und eine fabelhaft gestaltete und geführte Homepage () verwendet. Eine Komponistenpersönlichkeit, die trotz musikalisch einwandfreier Leistungen als Autor von Büchern (den in Amerika sehr berühmten „Diaries“ sehr viel erfolgreicher war als als Komponist und Musiker. Ein Mann, der im Alter von stolzen achtzig Jahren die Erstaufnahme seiner 1. und 2. Symphonie miterleben darf (die Dritte erlangte kurzzeitige Berühmtheit, weil sich Leonard Bernstein für das Werk stark gemacht hatte und erfuhr eine Veröffentlichung auf LP durch das Utah State Symphony Orchestra unter der Leitung des legendären Maurice Abravanel). Eine erstaunliche Musikerpersönlichkeit, von der beim NAXOS-Label nunmehr schon drei CDs vorliegen (Eine Mit Chorwerken, eine mit Kammermusik und nun die drei Symphonien) und für deren Veröffentlichung man dem renommierten Klassiklabel kaum genug danken kann!
Darüber Hinaus ist auch an der Einspielung nichts auszusetzen: Der unwahrscheinlich schöne Raumklang (Ein Aspekt den man leider viel zu selten auf klassischen Aufnahmen in das klangliche Konzept mit einbezieht) des Lighthouse in Poole (hier wurde die CD aufgenommen) lässt den Atem stocken. Und das erfahrene Bournemouth Symphony Orchestra (von dem u.a. schon großartige 1970-er Jahre Aufnahmen von Vaughan Williams-Werken bei CHANDOS vorliegen) erfährt unter der Leitung des nicht minder erfahrenen Komponisten und Dirigenten José Serebrier einen Energieschub sondersgleichen. Kein Zweifel: Eine weitere Perle im hervorragenden Katalog für Neue Musik des NAXOS-Labels und ein großer Gewinn für jeden Fan moderner amerikanischer Klassik!
NAXOS, Best.-Nr. 8.559149
EAN: 636943914922
UVP: 5,99 €
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