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Christian Thielemann im Interview über Bruckner

Christian Thielemann brachte mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden alle neun Sinfonien Bruckners zur Aufführung – diese Aufnahmen erschienen vor kurzem als Blu-ray-Box. Mit Christian Thielemann sprach Verena Fischer-Zernin für das Magazin Crescendo. Hier lesen Sie Auszüge aus dem Interview.

CRESCENDO: Herr Thielemann, Sie bringen gerade einen Zyklus von Bruckner-Sinfonien mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden heraus. Wie katholisch muss man sein, um Bruckner zu begreifen?

CHRISTIAN THIELEMANN: Überhaupt nicht. Ob Sie Buddhist sind, Jude, evangelisch oder katholisch oder vielleicht sogar Atheist, Sie müssen eine Art von kontemplativer Seite haben. Bruckner taugt für alle.

CRESCENDO: Wenn man sich die Mythen anschaut, die sich um dieses Œuvre ranken, wenn man an Sergiu Celibidache denkt oder an Günter Wand: Erdrückt einen die Rezeptionsgeschichte?

CHRISTIAN THIELEMANN: Nein, bei mir war das ganz unprätentiös. Als ich Bruckner das erste Mal in meiner Jugend hörte, hat es mich sofort gepackt. Ich kann mich erinnern, wie Karajan in der Berliner Philharmonie die Fünfte dirigierte und ich nach dem Konzert auf dem Parkplatz taumelte, ganz benebelt von dem Choral. Daraufhin habe ich die anderen Sinfonien gehört und sie mir langsam erarbeitet.

CRESCENDO: Ohne zu viel Ehrfurcht.

CHRISTIAN THIELEMANN: Die hat man in meinem Beruf eigentlich nie. Nennen Sie es lieber Respekt. Die erste Bruckner-Sinfonie, die ich dirigiert habe, war die Vierte. Da war ich Anfang 20. Sie ist mir damals nicht gut gelungen. Ich musste mir eingestehen, dass es doch schwieriger war, als ich es mir vorgestellt hatte.

CRESCENDO: Nämlich?

CHRISTIAN THIELEMANN: Das will ich Ihnen sagen! Wenn Sie zu langsam sind, dann wird die Musik breiig und ereignislos. Wir müssen bei Bruckner an die Architektur denken und an die große Linie. Wo sind die großen Höhepunkte, wo muss man ein bisschen weniger geben, wo muss man das Tempo modifizieren. Und dann hat Bruckner natürlich auch einen bestimmten Klang, der von der Orgel kommt. Als kleiner Junge wollte ich Organist werden…

CRESCENDO: Das sind Sie in gewissem Sinne ja auch geworden… 

CHRISTIAN THIELEMANN: Das ist vielleicht der Grund, weshalb mich Bruckner so fasziniert hat. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Sie müssen eine Bruckner-Sinfonie gut strukturieren.   

CRESCENDO: Und nicht zu gefühlig sein, nehme ich an? 

CHRISTIAN THIELEMANN: Doch, auch. Aber eben nicht immer. Herz und Kopf, beides. Wenn Sie zu sehr analysieren und etwas überprobieren, dann wird es zu zerebral.

CRESCENDO: Was ist denn das Geheimnis einer guten Probe? Wie bekommen Sie von den Musikern, was Sie wollen?

CHRISTIAN THIELEMANN: Gute Frage. Ich würde sagen: das Grundsätzliche klar probieren, genau im Detail sein und dann die „Zügel“ wieder lockerlassen. Die Spielfreude erhalten, die Musiker nicht knebeln. Es hat alles mit Vertrauen zu tun. Das kriegen Sie nur in einer längeren Beziehung.

CRESCENDO: Haben Sie bewusst an Ihrer Zeichengebung gearbeitet? 

CHRISTIAN THIELEMANN: Das ist eigentlich von selbst gekommen. In heißen Sommern in Bayreuth denken Sie darüber nach. Ich habe aber festgestellt, dass es eine andere Aufmerksamkeit gibt, wenn man kleiner dirigiert. Nicht zu viel rumfuchteln! Aber wenn man jünger ist, neigt man eher dazu.

CRESCENDO: Kontrollieren Sie auch die optische Wirkung?

CHRISTIAN THIELEMANN: Mir wird oft gesagt, ich sähe beim Dirigieren nicht besonders elegant aus. Das kann sein. Mir ist das immer egal gewesen. Ich habe darauf geachtet, dass musikalisch das herauskam, was mir vorschwebte.

CRESCENDO: Sich selbst zu sehen, das ist wie die eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter.

CHRISTIAN THIELEMANN: Grau-en-voll! Furchtbar! Wenn ich ein Video abnehmen muss und mir anschaue, wie ich auftrete, dann ist das manchmal eine Qual.

CRESCENDO: Haben Sie Lampenfieber?

CHRISTIAN THIELEMANN: Und wie.

CRESCENDO: Haben Sie Rituale, um damit zurechtzukommen?

CHRISTIAN THIELEMANN: Naja, wie ich mir meine Manschettenknöpfe anstecke und wie ich mich anziehe.

CRESCENDO: Entwickeln Sie Ihr Repertoire aus der Beziehung mit einem Klangkörper heraus? Sie könnten sich ja sagen, das und das habe ich schon mit einem anderen Orchester gemacht.

CHRISTIAN THIELEMANN: Meine Erfahrung ist: Je besser Sie ein Orchester kennen, also die Orchester mich und ich die Orchester, desto mehr kommt dabei heraus. Deshalb habe ich in den letzten Jahren sehr wenig gastiert. Ich habe eine sehr glückliche Beziehung mit der Staatskapelle. Wenn man sich so gut kennt, ist das wie im Privaten. Da merken Sie beim anderen schon am Telefon, naa, was ist denn da los? Und das spüre ich doch bei meinem Orchester auch.

CRESCENDO: Wenn die Verhältnisse auf absehbare Zeit so blieben wie jetzt, was wäre Ihr Plan B? Nur noch Mendelssohn Streichersinfonien dirigieren?

CHRISTIAN THIELEMANN: Sie sind gut. Das wäre furchtbar. Ich mache mir viel mehr Gedanken um die jungen Leute und alle auf dem freien Markt. Vielleicht sagen sich jetzt einige, den Beruf ergreife ich gar nicht mehr. Wenn das Orchester nicht spielen darf, wieso soll ich dann Horn üben? Das sind schlimme Entwicklungen, deren Folgen sich erst in einigen Jahren zeigen werden.

Veröffentlichung des Interviews auf blog.naxos.de mit freundlicher Genehmigung von Crescendo – Das Magazin für klassische Musik & Lebensart.

Das vollständige Interview lesen Sie HIER.


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