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Amar Quartet: Paul Hindemith – Complete String Quartets

Paul Hindemith (1895–1963) gilt heute als einer der herausragendsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts, auch wenn seine Musik, zumindest hierzulande, sich erst langsam bei einem breiteren Publikum durchsetzen kann. Es mag daran liegen, dass es in Hindemiths Œuvre an dem einen „Signatur-Werk“ mangelt, einer Komposition also, die allgemein bekannt ist und die immer wieder zum Anlass genommen wird, das restliche Schaffen zu erkunden. Es mag daran liegen, dass Hindemiths (im besten Sinne!) eklektizistische Musik schwer zu fassen ist: Sie vereint Elemente des Expressionismus, des Neoklassizismus und sogar des Jazz. Hindemith setzte sich aber quasi zwischen alle Stühle. Zum einen löste er mit der “Freien Tonalität” die traditionelle Dur-Moll-Tonalität auf, zum anderen lehnte er die (atonale) Zwölfton-Musik der Zweiten Wiener Schule ab. Was den Zeitgenossen schon „zu modern“ oder „nicht modern genug“ war, ist aus heutiger Sicht freilich ein einzigartiger Individualstil, der zeitlos aktuell geblieben ist.

Gerade seine Kammermusik ist ein gutes Beispiel für seinen unkonventionellen Ansatz. Hindemith experimentierte gerne mit verschiedenen Stilrichtungen und Ausdrucksformen. Dabei war er dem Streichquartett eng verbunden, nicht nur als Komponist, sondern auch als Musiker: Als Bratschist des historischen Frankfurter Amar Quartetts spielte Paul Hindemith in den 1920er Jahren seine eigenen, aber auch andere zeitgenössische Kompositionen. Seine sieben Streichquartette entstanden zwischen 1914 und 1945.

Das zeitgenössische Zürcher Amar Quartett trägt den historischen Namen nicht von ungefähr: Anlässlich des 100. Geburtstag Paul Hindemiths wurde dem Ensemble 1995 vom Hindemith-Institut in Frankfurt offiziell der Name Amar Quartett übertragen. Das Schweizer Ensemble hatte sich seit seiner Gründung intensiv mit der Musik Hindemiths beschäftigt. Zwischen Februar 2009 und April 2010 nahm das Amar Quartett Hindemiths Streichquartette im großen Saal des Radiostudios Zürich der Schweizer Radioanstalt DRS auf. Die Aufnahmen, die zwischen 2011 und 2015 zunächst auf drei Einzel-CDs veröffentlicht wurden, erhielten von der Kritik bedeutende Schallplattenpreise, darunter den Supersonic Award bei pizzicato.lu und den renommierten Diapason d’or. Die vorliegende 3-CD-Box fasst die drei Einzelveröffentlichungen in ihren Jewel-Cases und originalen Booklets preiswert (noch preiswerter!) zusammen.

Dem Amar Quartett gelingt es, die bisweilen spröden und nüchtern wirkenden Werke Hindemiths mit Intimität und leiser Poesie zu beleben, ohne dabei aufdringlich oder verfälschend zu werden. Anna Brunner und Igor Keller (Violinen), Hannes Bärtschi (Viola) und Péter Somodari (Cello) lassen die Musik natürlich atmen, agieren dabei mit angemessener Zurückhaltung und bemerkenswerter technischer Präzision. Ihr transparente Ensembleklang kommt dem Verständnis der Musik sehr zugute.

Es lag stets in Hindemiths Intention, Musik „unakademisch“ und sachlich, gleichzeitig entmystifiziert und menschlich aufzufassen. Hindemith schrieb Musik für Menschen, nicht für ein hehres Kunstideal. Den romantisierten Künstlerbegriff lehnte er für sich ab und sah sich selbst als „Handwerker“. In diesem Sinne sind die Aufnahmen des Amar Quartetts beste Handwerkskunst (sic!), frei von überfrachteten Deutungen und unterstellten Intentionen.

Dies sind unbestritten die Referenzeinspielungen der sieben Streichquartette, und das nicht nur in Ermangelung adäquater Konkurrenz: Derzeit ist lediglich eine weitere Gesamteinspielung auf dem Markt. Das Schweizer Quartett hat Hindemiths komplexe und auf den ersten Blick widersprüchliche Klangsprache (die sachlich und dennoch zutiefst human ist) verinnerlicht, wie kein zweites Ensemble. Das Amar Quartett verfügt über die technischen Mittel und die spielerische Erfahrung, um Hindemiths Musik mustergültig umzusetzen.

Published inAlben vorgestellt

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