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Sergej Prokoffjew – Sinfonie Nr. 5, Op. 100 / “Das Jahr 1941”, Op. 90

Erstklassiker Prokoffjew aus dem mittleren Osten Brasiliens

Eine von diesen Sachen, die man gar nicht so recht glauben mag, bevor man einmal nachrecherchiert, ist die relative Geringschätzung der Sinfonien mancher namhafter Komponisten vonseiten der Klassiklabels.
So sind zum Beispiel von Sergej Prokoffjews Sinfonien – die zum Teil zu den bedeutendsten Beiträgen zur Gattung im 20. Jahrhundert gehören – derzeit gerade einmal eine Hand voll – zum Teil auch noch uralte – Gesamteinspielungen erhältlich.
Meistens greifen Prokoffjew-Liebhaber wohl zu der hinlänglich etablierten (und zugegebenermaßen recht guten) Einspielung Seiji Ozawas, die Anfang der 1990er-Jahre auf Deutsche Grammophon erschienen ist. Zudem stehen derzeit noch Einspielungen unter der Leitung von Gennadij Roshdestvenskij, Valerie Gergiev, Walter Weller und Neeme Järvi zur Auswahl. Nur eine einzige von ihnen (Gergiev) stammt aus unserem Jahrhundert. Sie kam 2004 auf den Markt.

Ein Geheimtipp (der zurzeit allerdings nicht erhältlich ist) war von jeher die qualitativ hervorragende, wenngleich klanglich nicht völlig überzeugende Gesamteinspielunge des Nationalen Sinfonieorchesters der Ukraine unter der Leitung des hochbegabten und wohl ewig unterschätzt bleibenden Dirigenten Theodore Kuchar aus den 1980er- und frühen 1990er-Jahren, die seinerzeit bei Naxos erschien.
Eben dieses Label schickt sich nun an, in einem aufsehenerregenden Großprojekt sämtliche Prokoffiew-Sinfonien in hoch auflösendem Digitalsound neu einspielen zu lassen.

Naxos neuer Prokoffiew-Zyklus kommt ausgerechnet aus São Paulo in Brasilien!

Dort ist Marin Alsop – US-Stardirigentin von internationalem Format, Ex-Bernstein-Schülerin und ausgewiesener Star des Naxos-Labels – zur Chefdirigentin ernannt worden.
Und warum auch nicht? Wenn das schwedische Qualitätslabel BIS mit dem inzwischen hochgradig renommierten São Paulo Symphony Orchestra von der Kritik hoch gepriesene Hindemith-CDs einspielen lässt, warum sollten die Brasilianer nicht auch einen Prokoffjew-Zyklus vorzüglich hinbekommen?

Das das Konzept aufzugehen scheint, zeigen bereits die ersten Takte der fünften Sinfonie, mit der Marin Alsop ihre Prokoffjew-Retrospektive auf Naxos eröffnet. Ihr Orchester aus São Paulo frisst ihr förmlich aus der Hand, erweist sich als enorm rhythmisch, kraftvoll, manchmal kaum zu bremsen, versteht sich aber auch auf feinste dynamische Abstufungen und spielt zudem enorm präzise. Insgesamt kann festgestellt werden, dass diese Prokoffjew-CD ein unglaublich hohes Niveau der beteiligten Orchestermusiker widerspiegelt. Man mag kaum glauben, dass es sich hier um ein (noch) relativ wenig bekanntes Sinfonieorchester aus Brasilien handelt.
Man darf vielleicht aber nicht vergessen, dass erstens auch in São Paulo inzwischen – dem internationalen Star-Fußball nicht unähnlich – die Musiker international „eingekauft“ werden und somit alle Positionen – wenn das Geld denn da ist – mit Spitzenleuten besetzt werden können. Zum anderen ist São Paulo eine der am dichtesten besiedelten Metropolregionen der Erde. Aus diesem Millionenmoloch wird sich wohl auch einiges an brasilianischem Talent ziehen lassen.

Abschließend vergessen wir nicht, dass Heitor Villa Lobos – einer der bis heute bedeutendsten Komponisten der klassischen Musikmoderne – aus Brasilien stammte. Es gibt dort also auch eine hochgradig qualitätvolle Tradition des Komponierens.

Marin Alsop liefert auf ihrem Prokoffjew-Erstling für Naxos eine äußerst überzeugende Darbietung einer der beliebtesten und wichtigsten Sinfonien dieses Komponisten. Mit enormer Verve treibt sie ihr Orchester zu einer rhythmisch schmissigen und in ihren leiseren Momenten auch sehr innigen Darbietung, die keinen Vergleich mit den „großen“ Namen der Szene zu scheuen braucht.

Tonmeister Ulrich Schneider (bislang vor allem für Sony Music und EMI aktiv; dies ist – so weit ich das überblicke – sein erstes Engagement für Naxos) hat für einen Sound gesorgt, bei dem unmittelbar die Augenbrauen nach oben schnellen: Sehr schön durchhörbar, mit ordentlich „Wumms“ in den Bassregistern, durchwegs klasse abgestimmt und durchaus HiFi-tauglich kommt dieser Prokoffjew aus São Paulo daher. Er wird damit auch zur ersten Wahl für HiFi-Afficionados.
Zwar ist der Sound in meinen Ohren eine Winzigkeit zu hallig ausgefallen, doch steht das der „großformatigen“ Sinfonik Sergej Prokoffjews gar nicht schlecht zu Gesicht.

Es sind in diesen Tagen zwar auch CDs bei Naxos erschienen, die noch ein klein wenig besser klingen und damit ein fast schon unüberbietbar günstig zu habendes HiFi-Niveau erreichen (Rezensionen folgen in Kürze), doch auch diese Einspielung wird in die Hand versprochen niemanden enttäuschen, der auf erstklassigen Klang gesteigerten Wert legt.

Abschließend sollte nicht verschwiegen werden, dass man auf der hier vorgestellten CD auch die vergleichsweise selten zu hörende sinfonische Suite „Das Jahr 1941“ (Op. 90) wiederfindet, die ein willkommenes Bonmot ist und musikalisch deutlich besser, als der zuweilen zweifelhafte Ruf sowjetrussischer Propagandamusik erwarten ließe.

Das www.the-listener.de-Fazit beschränkt sich auf fünf einfache Worte:

Höchstwertung! Kaufen! Bitte mehr davon!

S. Prokoffjew – Sinfonie Nr. 5 / “Das Jahr 1941”
São Paulo Symphony Orchestra – Marin Alsop

(2012) Naxos Katalog-Nr.: 8.573029 / EAN: 747313302970

Weitere Rezensionen finden Sie bei:

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Published inThe-Listener

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