Wie würde es wohl aussehen, wenn eine Plattenfirma Angst davor hat, dass sich eine CD besonders schwer verkaufen könnte? Die Plattenfirma würde das Booklet der CD zum Beispiel mit den Worten beginnen lassen, dass das Repertoire auf dieser Platte zwar schon ziemlich exotisch sei, dass der Hörer sich aber mal „keine Sorgen“ machen müsse, man habe schon darauf geachtet, dass das mit dem Exotismus hier nicht so ausartet. Ferner würde man vielleicht versuchen, die Produktionskosten durch so viele Sponsoren abzupuffern, dass auch dann nicht mehr viel Risiko bleibt, wenn die CD tatsächlich beim Publikum durchfällt. Dabei würde man nicht sonderlich auf die Profession der Sponsoren achten, sondern vom Versand für Naturkosmetik über ein großes Klavierhaus bis hin zu einem regionalen Tierarzt und Anbieter für „schamanische Heilreisen“ (!) alles nehmen, was Geld bringt. Dann würde man noch möglichst wenig Geld für das Coverartwork ausgeben wollen, also selbiges bei einer billigen Microstock-Bildagentur einkaufen, und vielleicht könnte man es dann wagen, die CD doch noch auf den Markt zu werfen.
So oder ähnlich, muss es wohl zugegangen sein, als die Planungen für die hier vorliegende CD „Voices of the Rainforest“ in die Realisierungsphase gingen, denn es grenzt in der Tat an Realsatire, wie viele Sponsoren (und aus welchen Branchen zumal) Mittel zu dieser Neuerscheinung aus dem Hause Profil (ein Label des ehemaligen Hänssler Classics-Chefs Günter Hänssler) beigesteuert haben. Da fragt sich der geneigte Kunde: „War das denn wirklich nötig?“ Was an dieser CD ist so schrecklich, dass sie sich nicht auch „ohne“ verkauft hätte? Und warum bitteschön sollte sich der Hörer „Sorgen“ machen, dass er die Musik nicht versteht, wie der Booklet-Text hier (allen Ernstes) ins Feld führt? Es ist doch davon auszugehen, dass die-/derjenige, die/der die CD erworben hat, dies mit Grund und Absicht getan hat und kaum durch Zufall.
Mein Interesse an dieser Neuveröffentlichung war jedenfalls unmittelbar und sofort geweckt, als ich den Namen von Libby Larsen auf dem Cover las. Libby Larsen ist eine der (zurecht) populärsten zeitgenössischen Komponistinnen, kommt aus den USA und schreibt schlicht und ergreifend ganz tolle Musik!
Bereits die vor ein paar Jahren bei Koch/Schwann erschienene CD mit Larsens Marimbakonzert und dem wunderbaren Stück „Deep Summer Music“ (Colorado Symphony Orchestra, Marin Alsop) hatte mich schlichtweg elektrisiert, und ich schwor mir, dass ich die weitere Laufbahn von Libby Larsen nun aufmerksam verfolgen würde, denn es passiert ja (leider) nicht so häufig, dass man gut gemachte zeitgenössische Musik hört, bei der man sofort den „mehr davon!“-Impuls verspürt.
Auf der hier vorliegenden CD gibt es jedoch sogar eine ganze Menge von eben solcher Musik, weswegen ich vorgreifend schon einmal sagen darf, dass ich nicht nur aufgrund des – wie erwartet – prachtvollen Larsen-Stücks auf dieser Neuveröffentlichung wirklich sehr begeistert bin und diesen Silberling allen an spannender Neuer Musik Interessierten so warm wie nur möglich ans Herz legen möchte.
Das Programm beginnt mit dem fünfsätzigen „Voices of the Rainforest“ der in Spanien geborenen und heute in Südkorea lebenden Komponistin Elisenda Fábregas. Die Spanierin bezog ihre Inspiration laut Booklet-Text aus einer CD mit Aufnahmen von Tierlauten aus dem Dschungel Papua-Neuguineas. Die fünf Sätze tragen programmatische Titel wie etwa „Awakening“, „Night Spirits“ oder „Evening Storm“. Wer nun aber Musik erwartet, die primär auf den vordergründigen Effekt abzielt und auszutesten versucht, wie viele Vogelarten man mit einer Querflöte imitieren kann, sieht sich aufs Angenehmste überrascht.
Fábregas bietet uns in der Art einer Suite fünf im erweiterten tonalen Spektrum komponierte Kabinettstückchen, die nur dann als programmatisch erkannt werden können, wenn man vorher die „Headline“ des jeweiligen Stückes kennt. Das ist sehr reizvolle Musik, die ich mir auch von jemandem wie zum Beispiel Heitor Villa-Lobos kaum besser hätte wünschen können. Das ist schon einmal ein äußerst gelungener Einstieg!
Es folgt das rund achtminütige Stück namens „Alapana“ von Kate Waring, einer Komponistin aus Louisiana, die lange Zeit in Deutschland lebte. Warings Stück entstand bereits 1978 und wurde von altindischer Musik inspiriert.
Mich erinnert das Ganze etwas an die an Gamelan-Klängen orientierten Kompositionen von Colin McPhee. Auch „Alapana“ konnte mich mit seinen warmen, mystischen Klangflächen und seiner komplexen Harmonik, die zwischen archaisch wirkenden „Indizismen“ und polyharmonischer „Freigeist-Musik“ hin und her pendelt, vom Fleck weg überzeugen.
Es folgt das ersehnte Stück von Libby Larsen, das den Titel „Slow Structures“ trägt. Es wurde 2004 für das hier ausführende Meininger-Trio geschrieben, das ihm einen spektakulären Auftritt verpasst. Spätestens jetzt befinden wir uns nicht mehr im „Einzugsbereich“ des Regenwalds, sondern lauschen nun eiskalten nordamerikanischen Blizzards und den Schönheiten und Unbilden des dortigen Winters. Die Komponistin, die in Minnesota an der Grenze zu Kanada lebt, dürfte die in ihrem viersätzigen Stück vorgebrachten „Wetterphänomene“ selbst zu Genüge erlebt haben. Obwohl ihre Satztitel abstrakter sind als die der „Regenwald-Suite“ von Fábregas und Namen tragen, wie etwa „Silent Syllables“ oder „Snow-melting Time“ sind die musikalischen Inhalte im engeren Sinne programmatischer. Hier hört man nun tatsächlich tropfende Eiszapfen, die auf dem Klavier monoton vor sich hinplätschern und aneinander herknarzende Eisschollen, auf die sich das Violoncello gut versteht. Larsens Musik ist bezüglich des erweiterten tonalen Spektrums deutlich anspruchsvoller als die beiden vorangegangenen Werke und verlangt dem ungeübten Hörer durchaus einiges ab. Wer sich aber auf die Tonsprache Larsens einlässt, die der Atonalität häufig näher ist als der Tonalität, wird belohnt: Erneut zeigt sich, dass in den USA zurzeit eine glänzende Riege zeitgenössischer Komponist(inn)en bereit steht, um hoffentlich noch viele Werkaufträge bearbeiten zu können.
Die CD wird durch das Stück „Night Thoughts“ der Chinesin Chen Yi stilvoll abgerundet. Chen Yis Musik ist noch einmal eine Spur abstrakter als die Larsens, und wir befinden uns nun ganz im Bereich der atonalen Musik. Die chinesische Komponistin bezieht sich bei dem Titel ihres Werks auf ein altchinesisches Gedicht aus dem achten Jahrhundert. Ihre Musik wirkt zart und zerbrechlich, gelegentlich aber auch etwas spröde.
Das Meininger-Trio musiziert (wie man aus den bisherigen Ausführungen sicher schon herauslesen konnte) in der Besetzung Flöte, Klavier und Violoncello. Sämtliche Stücke dieser CD spielt es in einer Präzision, die beachtlich ist, jedoch an Emotionalität und Wärme ebenfalls nichts vermissen lässt. Es ist diese beeindruckende Kombination, welche die hier versammelten Darbietungen wirklich zu etwas ganz Besonderem machen. Die Aufnahme wird durch einen annähernd perfekt eingefangenen Sound abgerundet, der endlich (!) auch mal zeigt, wie tief in den Basskeller ein Klavier hinabreicht. Bei vielen CDs der letzten Zeit hatte ich oft den Eindruck, der Tonmeister hätte ein Frequenzloch im Bassbereich gehabt. Carsten Vollmer, der im Rahmen einer Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk diese Aufnahmen abgemischt hat, hatte das glücklicherweise nicht und holt aus allen Instrumenten das Optimum an Auflösung und den vollen Frequenzumfang heraus. Diese CD ist also nicht nur voll mit schöner Musik, sondern zudem noch ein echter Geheimtipp für Hifi-Afficionados.
Die Plattenfirma sollte stolz darauf sein, dieses kammermusikalische Juwel veröffentlichen zu dürfen! Für mich ist das jedenfalls schon jetzt ein heißer Anwärter auf die CD des Monats, auch wenn wir eine solche Kategorie auf unserer website ja nicht haben. 🙂
Ach, noch etwas: Zwei Euro pro verkaufter CD werden an die Regenwaldstiftung Orverde gespendet. Noch ein Grund, um zu Kaufen!
Meininger-Trio
(2011) Profil Edition Günter Hänssler
Best.-Nr.: PH11039 / EAN: 881488110395
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