Londoner Bach auf dem Clavichord
Wer glaubt, die Sonaten Op. 5 von Johann Christian Bach nicht zu kennen, möge sich und sein CD-Regal noch einmal prüfen. Immerhin hat kein Geringerer als der kleine Wolfgang Amadeus Mozart im Rahmen einer Familienreise nach London drei der hier vorgestellten Klaviersonaten des Bach’schen Opus 5 zu den drei Mozart’schen Klavierkonzerten umgearbeitet, die zusammengefasst als KV 107 durchaus ein paar Reinkarnationen auch auf Schallplatte erlebt haben.
Im direkten Vergleich zwischen der „Bach-Solo-Version“ und der Mozart-Konzertfassung wird deutlich, wie konzertant diese Musik von Hause aus angelegt wurde. Es ist eine Musik, die Bach ohne Zweifel mit Augenmerk auf das seinerzeit frisch erfundene Fortepiano geschrieben hatte. Und so heißt der vollständige Titel der Sonaten Opus 5 auch „Sechs Sonaten für das Cembalo oder das Fortepiano, Op. 5“. Sie enthält einige sehr leise und einige sehr laute Passagen, die von Crescendi bzw. Descrescendi eingeleitet werden. All dies sind klare Hinweise darauf, dass Bach ein Fortepiano als Aufführungsinstrument für seine Sonaten wünschte und eventuelle andere Tasteninstrumente (damals sprach man ja prinzipiell von „Klavier“ als Bezeichnung für alles, was Tasten hatte) höchstens als Notlösung auch in Betracht zog.
Es bleibt daher ein Rätsel der vorliegenden Einspielung, warum die als renommierte Vertreterin der historischen Aufführungspraxis geltende New Yorkerin Susan Alexander-Max auf der CD ein Clavichord als Soloinstrument bevorzugt. Zwar versucht Frau Alexander-Max diesen Umstand im beiliegenden CD-Booklet eingehend und wortreich zu begründen, doch selbst ihr gelingt es nicht, einen validen Grund vorzubringen, warum man diese Musik mit einem Clavichord spielen sollte. Sie tut es trotzdem…
Und das ist ja auch gar nicht so schlecht, denn das Clavichord – häufig als Reise- und Übungsinstrument der Notensetzer und Organisten verunglimpft – hört man heutzutage nur selten einmal auf einer CD-Einspielung. Die vorliegende Aufnahme ist daher eine willkommene Gelegenheit, den zwischen Cembalo und Piano angelegten Klang des Clavichords zu „besichtigen“, der uns heute zunächst einmal etwas merkwürdig und „unrund“ anmutet. Das Instrument, das die Solistin auf der hier besprochenen Produktion nutzt, ist ein Nachbau eines Nürnberger Clavichords aus dem Jahr 1785. Der Aufnahmeklang ist von Tonmeister Phil Rowlands recht „nah“ und trocken eingefangen worden – was weniger überzeugend klingt, als z. B. das warme Raumklang-Timbre der kürzlich an dieser Stelle besprochenen CD mit Klaviermusik von Beethoven und seinen Lehrmeistern.
Ein weiterer Umstand kommt hinzu. Oft habe ich beim Hören dieser CD gefragt, warum die Solistin offenbar bei manchen Passagen Schwierigkeiten zu haben scheint, Töne in schneller Aufeinanderfolge oder manche Akkorde zu spielen. Es wurde mir klar, als ich in der MGG nachschlug und las, dass viele Clavichorde der Zeit gebunden waren, also ähnlich wie eine Gitarre mit „Bundstäben“ ausgestattet waren. Das erschwert es natürlich, bestimmte Akkorde und Notenfolgen zu spielen, weil die Einzelsaiten oft mehreren der kleinen Hämmerchen zugeordnet sind, die von den Tastenhebeln zu den Saiten geführt werden. Manche Notenkombinationen sind gar unmöglich auszuführen.
Es darf also weiter gerätselt werden: Was mag Susan Alexander-Max bewogen haben, Johann Christian Bachs Opus 5 auf dem Clavichord aufzuführen? Aber vielleicht ist das nicht die leitende Frage – denn sie führt ja auch zu keiner Antwort. Nehmen wir die Aufführungsfrage einfach als gegeben hin und widmen uns der Musik: Die ist häufig von ausgesuchter Schönheit und für ihre Zeit sehr originell. Wie bei vielen Stücken des zu seiner Zeit erfolgreichsten aller Bachs, der aufgrund seiner langjährigen Aufenthalte in England und Italien wahlweise als „Londoner Bach“ oder „Mailänder Bach“ tituliert wird, geben sich auch in den Sonaten Opus 5 barocke Üppigkeit und empfindsame Melodieführung „die Klinke in die Hand“. Die vorliegende CD ist also ein weiteres Zeugnis dafür, das die Musik dieses für mein Empfinden interessantesten aller Söhne des überhell strahlenden Stammvaters Johann Sebastian Bach, viel häufiger aufgeführt und immer wieder neu entdeckt werden sollte. Susan Alexander-Max trägt mit der unkonventionellen Idee, diese Sonaten auf einem Clavichord zu spielen, eben zu solchen höchst willkommenen „Entdeckungsreisen“ bei. Was aber am Ende einer solchen Reise steht, das muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich jedenfalls habe festgestellt, dass ich Opus 5 lieber auf dem Fortepiano gehört hätte. Doch ohne die Audio-Entdeckungsreise in die Welt des Clavichords hätte ich das wahrscheinlich nicht bemerkt.
Als Fazit bleibt: Die CD ist voll mit schöner Musik und der Klang des Clavichords ist für Entdeckungswillige eine interessante Option. „Mal was Anderes!“, könnte man wohl sagen…
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