Es wundert einen doch, dass die CD-Serie mit Orchestermusik „von Claude Debussy“ — wie das Plattenlabel gern betont — bei Naxos nun schon in die sechste Runde geht; schließlich hat Claude Debussy gar nicht so viel Orchestermusik geschrieben. Das meiste aus seiner Feder entstand für sein bevorzugtes Instrument: Das Klavier. Einige seiner wegweisenden Kompositionen, die nicht weniger als den musikalischen Impressionismus begründeten, wurden aber von Debussys Zeitgenossen auch für Sinfoniekonzerte orchestriert, weswegen das Paradox vorliegt, dass Debussys wohl bekanntestes Stück — „Clair de lune“ — in der Orchesterfassung, die gar nicht vom Komponisten selbst stammt, noch beliebter und bekannter wurde als in der ursprünglichen Fassung für Piano.
Just dieses Stück musizieren mdr-Sinfonieorchesterchef Jun Märkl und dessen „zweites“ Orchester, das Orchestre National de Lyon, dermaßen leidenschaftslos und unterkühlt, dass man sich fragt, ob man es hier vielleicht gerade mit den „Gymnopedies“ von Erik Satie zu tun haben könnte; doch nein: Es ist „Clair de lune“ aus der berühmten „Suite bergamasque“, die laut Debussy selbst von einem Gedicht des Lyrikers Paul Verlaine inspiriert wurde, in welchem von „erlesener Landschaft, in der charmante Masken und Bergamasken Laute spielen und tanzen…“ die Rede ist. Jun Märkls Interpretation vermag das mystische, tänzerische, geheimnisvolle der „Suite Bergamasque“ leider zu keiner Zeit wirklich zum Leben zu erwecken. Gerade im direkten Vergleich mit deutlich besseren Einspielungen (wie z. B. dem Ulster Orchestra unter Yan Pascal Tortelier auf chandos records), bemerkt man, wie viel Raffinesse und delikate Mondsüchtigkeit dieses Stück ausstrahlen könnte. Doch leider entscheiden sich Märkl und seine Mitstreiter für eine hoch auflösende, glasklare aber emotionslose Deutung, in der so etwas wie Rubato absolut gar keinen Platz hat.
Das hat zweifellos auch seine Vorteile: Hifi-Fans kommen bei der erneut glänzenden Aufnahmetechnik des Naxos-Labels und seinem Haus- und Hof-Tonmeister Tim Handley voll auf ihre Kosten. Man hat nicht nur das Gefühl, die einzelnen Instrumentengruppen wie mit dem Messer getrennt serviert zu bekommen, sondern selbst innerhalb der Instrumentensektionen vermeint man einzelne Violinen, einzelne Bläser, usw. trennscharf ausmachen zu können. Die Harfen wurden hierbei besonders enthusiastisch nach vorne gemischt, was den Effekt zur Folge hat, dass im Verlauf der gesamten CD die Harfentöne wie Perlen aus den Lautsprechern kullern. Das vermag zweifellos zu faszinieren, kann jedoch die Eiseskälte von Märkls nächtlichem Maskentanz nicht wiedergutmachen.
Neben der „Suite bergamasque“ findet sich auf der CD noch eine weitere (normalerweise für Klavier) bekannte Suite, nämlich das Stück „Printemps“, hier in der Orchestrierung von Henri Büsser. Büsser orchestrierte des Weiteren die „Petite Suite“, die ebenso auf der vorliegenden Einspielung enthalten ist, wie zwei Raritäten: „En blanc et noir“ (Erst vor wenigen Jahren im Auftrag des San Francisco Symphony Orchestra orchestriert) sowie eine von Tony Finno fertiggestellte Aufführungsfassung des Fragments von Debussys einzigem Versuch in Sachen Sinfonie, den er in jugendlichen Jahren unternam. Später sollte er bekanntlich ein entschiedener Gegner der Fortführung der klassischen Sinfonieform werden und bleiben. Besonders die Sinfonie ist deswegen schon spannend, doch was hat man davon, wenn man hier das Fragment eines elfminütigen Sinfonie-Allegros zu hören bekommt, das Debussy wohl als Startsatz für seine Sinfonie geplant hatte? Richtig: Nix!
Als Fazit bleibt ein gemischter Eindruck von einer mit faszinierender Aufnahmetechnik gesegneten, jedoch emotional sparsam eingespielten Deutung zwei bekannter und dreier unbekannter Werke Debussys, jeweils in Orchestrierungen von Anderen. Angesichts der Lobeshymnen verschiedener, zum Teil hoch angesehener Magazine, Radiosender und Internetseiten bin ich von der nun vorliegenden sechsten Folge des Debussy-Zyklus Jun Märkls doch etwas enttäuscht.
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