Prager Version der Wiener Klassik
Franz Xaver Dussek zählt zu jenen Komponisten, die ich kürzlich in einer Rezension einer Kammermusik-CD als diejenigen „Sterne“ beschrieben habe, die hinter den hell strahlenden „Sonnen“ Mozart und Haydn in den toten Winkel der musikhistorischen Wahrnehmung geraten sind.
Angesichts des überreichen Füllhorns, das uns Musikenthusiasten mit der Musik von Haydn und Mozart zur Verfügung steht, hatten Komponisten wie Dussek einfach das Nachsehen – obwohl er durchaus keine unwichtige Rolle im Musikbetrieb seiner Zeit gespielt hat und es sein Werk zudem mit rund 200 fertiggestellten Stücken zumindest quantitativ durchaus mit den großen Namen des 18. Jahrhunderts aufnehmen kann.
Aber das Problem für Dussek-Willige beginnt bereits bei der „Namensfindung“. Nicht nur gab es gleich zwei Komponistenfamilien namens Dussek (mit insgesamt vier komponierenden Vertretern), sondern sie werden auch oft auf ganz verschiedenartige Weise geschrieben: Dušek, Duschek, Dussek, Dusík, Dussik, Duscheck – bei kaum einem anderen Komponisten gibt es eine derart verwirrende Vielfalt in Sachen Namenstranskription!
Franz Xaver Dussek, von dem hier die Rede sein soll, wurde 1731 in Böhmen geboren. Obwohl ja laut Text eines bekannten Volkslieds „aus Böhmen die Musik kommen“ soll, war Franz Xaver Dussek als böhmischer Bauernsohn zunächst nicht unbedingt prädestiniert für eine Karriere als Komponist.
Stattdessen sollte er nach dem Willen seines Vaters eigentlich Priester werden. Doch durch einen fatalen Sturz erlitt Dussek eine körperliche Behinderung, die sich äußerlich durch einen Buckel bemerkbar machte. Das Priesterseminar duldete keine körperlichen Missbildungen bei seinen Novizen, und so musste ein anderes Studienfach gefunden werden. Dussek entschied sich für die Musik – und lag damit goldrichtig.
Einflussreiche Mäzene finanzierten dem jungen Dussek, der offenbar als besondere Begabung aufgefallen war, sein Studium in Prag.
Bei einem Hauptvertreter der Wiener Schule, Georg Christoph Wagenseil, vollendete Dussek seine Studien in Wien – etwa zu der Zeit, als auch Wolfgang Amadeus Mozart dort sein Glück versuchte.
Dussek blieb allerdings nicht in Wien, sondern kehrte, etwa um 1760 (wie die Musikwissenschaft heute annimmt), wieder nach Prag zurück, das seinerzeit ebenfalls eine wichtige Musikmetropole war.
In seiner Musik hatte Dussek zu diesem Zeitpunkt jedoch voll und ganz den Stil der Wiener Klassik verinnerlicht, wie die vollendet schöne Neuaufnahme von vier Sinfonien des Komponisten aus den 1760er- und 1770er-Jahren zeigt, die nun bei Naxos erschienen ist. Die neue Naxos-CD ist umso bemerkenswerter, als dass Dussek unter Wiener-Klassik-Fans vor allem als Komponist von Klaviermusik einen Namen hat, hier aber volltönend besetze Stücke für Sinfonieorchester vorgestellt werden. Dass die hier vorgestellten Stücke alle dreisätzig sind, zeugt hingegen nicht von einer etwaigen Rückständigkeit Dusseks, sondern ist wohl – wie uns der vorzügliche Booklet-Text dieser CD nahe legt – einer regionalen Präferenz des Prager Publikums geschuldet. Wir erinnern uns: Auch der späte Mozart hat mit seiner reifen „Prager“ Sinfonie dem Prager Publikum noch anno 1786 eine dreisätzige Werkform präsentiert. Offenbar war das einfach der Publikumsgeschmack im Prag jener Jahre.
Die reizvollen Stücke auf dieser CD atmen den ganzen Charme der frühen Wiener Klassik und sind Paradeexemplare des sogenannten galanten Stils. Vor allem in den langsamen Sätzen wissen sie zu begeistern, wenn Dussek mit irrsinnig schönen Melodien und harmonischen Wendungen aufwartet, die einen als Vergleich am ehesten an den reifen Johann Christian Bach denken lassen, aber auch schon viel von dem ahnen lassen, was Mozart einige Jahre später zur Vollendung führte: eine ganz eigenartig berührende musikalische Verquickung von Frohsinn und Melancholie – dafür steht also nicht nur der Name Mozart, dafür steht offenbar auch Dussek.
Das Helsinki Baroque Orchestra – von der Kölnischen Rundschau als „Skandinaviens Barockensemble Nr. 1“ gepriesen – bestätigt auf dieser neuen CD seinen hervorragenden Ruf, eines der besten „Originalklang“-Orchester Europas zu sein.
Die Musiker, die durchwegs auf historischen Instrumenten musizieren, zeigen sich auf dieser CD in der Welt der Wiener Klassik ebenso zuhause, wie sonst auf ihren viel gelobten Barockmusikveröffentlichungen. Ihr Dirigent Aapo Häkkinen wurde über Jahre von einer Legende der historischen Aufführungspraxis unterwiesen, nämlich von dem anfang dieses Jahres verstorbenen Dirigenten und Cembalisten Gustav Leonhardt.
Häkkinen treibt sein Orchester mit Verve durch die musikhistorisch vergessen geglaubten Partituren, dass es eine wahre Pracht ist. Keine Frage: So vorgetragen, kommt die schöne Musik Dusseks besonders prächtig zur Geltung und wird hoffentlich bald wieder den Platz in der Hörergunst erobern, der ihr unter objektiven Bedingungen eigentlich zustünde.
F. X. Dussek – Vier Sinfonien
Helsinki Baroque Orchestra – A. Häkkinen
(2012) Naxos Katalog-Nr.: 8.572683 / EAN: 747313268375
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