Eine zwiespältige Angelegenheit
Kurz vor Weihnachten erscheint auf dem finnischen Label „Ondine“ eine hochkarätig gehandelte CD-Novität, die sicher ihre Liebhaber und „Verschenker“ finden wird. Es handelt sich dabei um die Violinkonzerte Mendelssohn Bartholdys und Schumanns, die in Live-Darbietungen des Frankfurter Radiosinfonieorchesters des Hessischen Rundfunks eingefangen wurden, unter der Leitung des von der Kritik in den letzten Jahren mit geradezu überschwenglichem Lob bedachten Paavo Järvi – Sohn des estnischen Ausnahmedirigenten Neeme Järvi. Solist der vorliegenden Aufnahme ist Christian Tetzlaff, der nicht nur, aber gerade auch im laufenden Jahr ein paar geradezu sensationelle Einspielungen vorgelegt hat (…).
Paavo Järvi hingegen wurde in den letzten Jahren für seine Einspielungen mit der Deutschen Kammerphilharmonie aus Bremen (darunter eine viel beachtete neue Beethoven-Sinfonien-Gesamteinspielung, die Vielen als die neue Referenz gilt) mit Jubel geradezu überschüttet. Die hier vorgelegte Novität ist im Übrigen auch deswegen interessant, weil RCA classics gewissermaßen zeitgleich zu der hier besprochenen Aufnahme eine Neueinspielung von Schumanns Frühlings- und Rheinischer Sinfonie mit Järvi und seinen Bremern vorlegt.
Wie also schlägt sich das hier versammelte All-Star-Ensemble in diesen neuen Liveaufnahmen? Die kurze Version lautet: Mal so, mal so…
Schreiten wir also zur etwas längeren Fassung der Geschichte: Selten habe ich eine überzeugendere und sensiblere Deutung von Mendelssohn Bartholdys vom Publikum heiß geliebten Violinkonzert Op. 64 gehört, als die hier von Ondine neu herausgebrachte. Selbst absolute Referenzeinspielungen wie etwa die 1988er DECCA-Aufnahme von Joshua Bell mit der Academy of St. Martin-in-the-Fields unter Neville Marriner sehen da stellenweise ganz schön „alt“ aus. Das Verdienst liegt dabei allem voran bei Christian Tetzlaff, der eine geradezu unglaubliche Dynamik besitzt und vor allem bei den pianissimo-Passagen einen so herzergreifenden Ton an den Tag legt, dass man sich vor der heimischen Anlage niederknieen möchte. Auch die Frankfurter unter dem jungen Järvi machen ihre Sache beim Mendelssohn-Konzert mehr als gut, schaffen es gar, einen ähnlich hohen Grad von Sensibilität und schwungvoller Spielkultur an den Tag zu legen, wie der ausführende Solist.
Das nachfolgende Schumann-Konzert ist – erstaunlicherweise – eine ganz andere Angelegenheit: Immer wieder spielen Tetzlaff und die Frankfurter nur nebeneinander her, statt miteinander im Dialog zu stehen. Rhythmische Unsicherheiten beim Einsatz der Solopartien lassen mich vermuten, dass das Problem hierbei eher auf Seiten Tetzlaffs zu suchen ist. Diese Vermutung wird zusätzlich durch einen fiesen Geigen-“Kiekser“ bei Minute 1:31 des zweiten Satzes bestärkt. In dem gesamten Schumann-Konzert wirkt Tetzlaff nicht recht bei der Sache. Das Gesamtniveau des Vortrags bleibt jedoch trotz alledem noch hoch. Es gibt viel viel schlechtere Aufnahmen als diese. Dies gilt auch für den vielfach diskutierten und hier in Sachen Geschwindigkeit mustergültig gelösten dritten Satz, den Järvi und Tetzlaff in einem mäßigen, aber schwungvollen Tempo als „echt“ wirkenden Ländler interpretieren. Auch hier gibt es wieder ein paar Stellen, an denen die Bogenführung doch besser sein könnte und an denen die Violine wieder etwas „kiekst“. Es ist natürlich, gerade im dritten Satz, auch ein irrsinig schwieriger Solopart und eine Live-Aufnahme…
Trotzdem: Eine neue Referenzaufnahme des Schumann-Konzerts ist das hier beileibe nicht. Es gibt da noch ziemlich viel Platz nach „oben“.
Die Tontechnik wirkt, wie oft bei Ondine-Aufnahmen, zwar sehr körperreich und warm, aber auch etwas „dumpf“. Dabei weiß man eigentlich gar nicht so recht, woran es liegt: Die Auflösung ist recht ordentlich und auch die Tiefenstaffelung erlaubt ein sehr schönes „Hineinhören“ ins Orchester. Trotzdem hat man immer irgendwie den Drang, die „Höhen aufdrehen“ zu wollen – eine Funktion, die mein röhrenbestückter Verstärkerbolide leider nicht bietet.
Fazit: Diese Aufnahme zieht ihre unbestreitbaren Stärken aus dem Mendelssohn-Konzert, das selbst die besten Konkurrenztitel auszustechen vermag. Das Schumann-Konzert ist hier aufgrund einer ungewohnt unsicher wirkenden Solistendarbietung zwar nicht gerade ideal eingefangen, aber doch immer noch sehr gut. Järvi und das Frankfurter Radiosinfonieorchester erfinden beide Konzerte nicht neu, wirken eher routiniert – das aber auf äußerst hohem Niveau. Es ist eine zwiespältige Angelegenheit…
Als „Draufgabe“ gibt es noch die eher selten zu hörende Fantasie für Violine und Orchester Op. 131 von Robert Schumann zu hören, deren Gesamteindruck sich eher der glänzenden Darbietung des Mendelssohn-Konzerts annähert, als der durchwachsenen des Schumann-Violinkonzerts.
Katalog-Nr.: ODE 1195-2 / EAN: 0761195119525
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