Nach einem belebenden Sommer, der mit Konzerten beim Verbier Musik Festival angefüllt war, einigen Vorbereitungen für die Renovierung seines Londoner Appartements und natürlich intensivem Üben in seiner Wohnung in Paris und auf seinem Zwischenstopp in Los Angeles dehnt Kissin seine musikalische Reichweite bis nach Australien aus.
Nachdem er von konstanten Terminänderungen aufgrund des Hurrikans Irene und “extracurricularen” Ablenkungen recht aus dem Konzept gebracht worden war, brannte es ihm unter den Nägeln, an das Klavier zurückzukehren und sich auf dieses Ereigniss vorzubereiten. Nur einmal war er willens, sich mit mir unbeschwert über den bevorstehenden Trip zu unterhalten und nur, nachdem er gute ununterbrochene sieben Stunden in der Disney Hall in Los Angeles, die in der unmittelbaren Nähe seines Hotels lag, geübt hatte.
Kissin freute sich auf diesen Trip, aber nicht alles gestaltete sich so wie geplant. Und bei diesem Künstler bleibt nichts dem Zufall überlassen. Viele Überlegungen, wie die Wetterlage – Kissin mag keine extreme Hitze – , Übungsmöglichkeiten, Reiseentfernungen, etc., man tritt ungefähr zwei Jahre bevor die Tournee tatsächlich beginnt in die Planungphase einer Konzerttournee ein. Viele Sachen können zwischen der Planung und dem letztendlichen Ergebnis passieren und Edna Landau, seine ehemalige Managerin bei IMG Artists, die noch mit ihm in Kontakt steht, hat immer die Wichtigkeit seiner Besonderheiten verstanden. Sie äußerte mir gegenüber ihre Begeisterung über die Nachricht seiner Australien-Tournee: ”Ich bin recht fasziniert zu erfahren, dass Zhenya nach Australien geht. Als ich mit ihm zusammenarbeitete, verwehrte er sich, über eine solche Tour auch nur nachzudenken… ich frage mich, was hier die ausschlaggebende Rolle gespielt hat.”
Was auch immer die Gründe für sein ursprüngliches Zögern waren, sie scheinen nun alle vergessen. Vor allen Dingen spricht dies von einer offeneren und leichteren Disposition, was einer Veränderung seiner selbst gleichkommt. Es ist ein sicheres Zeichen davon, dass er einige Beweglichkeit entwickelt, eine Begierde, sich auszudehnen und den Kokon auszuweiten, den diesen Künstler seit seinen Tagen als Wunderkind so eng eingehüllt hat.
“Mir gefällt es, sich geographisch in alle Richtungen hin auszuweiten– mit Ausnahme nicht-demokratischer Staaten. Das war der entscheidende Grund für Australien; in einem Land zu spielen, in dem ich noch nie gespielt habe,” meint Kissin. Als ich ihn frage, ob er sich auch die Sehenswürdigkeiten anschauen würde, während er dort wäre, meint er, dass zu diesem Zeitpunkt noch nichts Konkretes geplant sei, “ich hoffe jedoch, dass uns jemand alles zeigen wird. Ich mag das immer sehr und es wird Zeit dafür geben.”
Evgeny Kissin bei der Probe Foto: Ilona Oltuski
Die Tournee ist eine Kombination von Kissins Teilnahme am Brisbane Festival am ‘Queensland Performing Arts Centre’, zusammen mit drei Auftritten in der Konzerthalle des Opernhauses von Sydney, die einer Einladung von Vladimir Ashkenazy an der ‘Sydney Symphony’ folgen. Ashkenazy hat gerade seinen Posten als Chefdirigent und künstlerischer Leiter des Orchesters bis 2013 verlängert. Er ist dort seit 2009.
In einem Limelight Interview mit dem Maestro im April erläuterte Ashkenazy, :“Wie seine Auftrittsgeschichte mit dem Orchester mehr als 40 Jahre auf das Jahr 1969 zurückgeht, als er zum ersten Mal in Australien auf Tournee war und Rachmaninow Piano Concerto Nr. 3 mit den Sydney, Melbourne, Adelaide und Tasmanian Symphonie-Orchestern spielte…Nun, im Jahre 2011, während sich das ‘Sydney Symphony’ Orchester seinem 80. Geburtstag nähert und Ashkenazy seinem 75. gibt es ein wahres Gefühl dafür, dass das Orchester gereift ist.”
Ashkenazy und Kissin haben auch schon eine lange gemeinsame Geschichte und haben sehr viel verschiedenes Repertoire zusammen gespielt, wie Beethovens Drittes, Viertes und Fünftes Klavierkonzert, Brahms Erstes und Zweites Konzert, Rachmaninows Zweites Konzert wie auch Prokofjews Zweites und Drittes Klavierkonzert. Kissin erinnert sich klar daran, als er zum ersten Mal diesen sechsmaligen Grammy Preisträger kennenlernte. “Wir trafen uns zum ersten Mal im November 1989 in Moskau, als Ashkenazy zum ersten Mal nach seiner Emigration in die Sowjetunion zurückreiste. Wenige Wochen später gingen wir beide nach Japan und traten bei einem Abendessen – einem chinesischem Abendessen – miteinander in Verbindung. “
Im Jahre 2010 erhielt ihre Zweite und Dritte Prokofiew Piano-Konzertaufnahme ebenfalls den begehrten Grammy Preis. Kissin bewundert seinen russischen Landsmann und sieht ihn als den hervorragenden Musiker, der er ist: ”Selber ein großer Pianist, ist er ein ausgezeichneter Begleiter.” 24 Jahre älter als Kissin, nahm Ashkenazy im Jahre 1972 die isländische Staatsbürgerschaft an und ist derzeit in der Schweiz ansässig.
Ashkenazy beschreibt Kissin als einen fantastisch begabten Musiker mit einer merklich persönlichen Stimme am Keyboard:”Er besitzt eine enorm natürliche Gabe, die jenseits jeglicher Beschreibung ist. Seine erstaunliche Beherrschung des Instruments ist mehr als nur eine wirkungsvolle Technik und ein freizügiger Ton – wenn Kissin spielt, ist das Klavier seine Stimme, die einen in die Musik hineinzieht.” Und Peter Czornyi, der Direktor für künstlerische Planung am ‘Sydney Symphony’, fügt hinzu: ”Für Kissin ist Musik Sprache und beim Auftritt geht es darum, Bedeutungsinhalte zu kommunizieren. Er kann eine Vorstellungswelt beschwören – reflektierend and voller Einsicht – selbst wenn er mit seiner erstaunlichen Beherrschung des Instruments schillert.”
Am 11. September trat Kissin im Queensland Performing Arts Center in Brisbane als Teil einer Vielzahl von Premierenereignissen auf, einschließlich einer nächtlichen Lasershow, die über dem Künstlerviertel auf Brisbanes South Bank erleuchtete. Kissin spielte sein viel bewundertes Liszt Programm, einschließlich der Werke, die sehr viel abverlangen, wie Ricordanza von den Transzendentalen Etüden und Liszts monumentaler Sonate in b-Moll, die John Rhein, den Kritiker der Chicago Tribune, veranlasste, über Kissins rapide zunehmende Großartigkeit und vorzüglichste Fusion von Virtuosität und Poesie” in Verzückung zu geraten, als Kissin mit seinem ausschließlich aus Werken von Liszt bestehendem Programm während der Konzertsaison 2010/11 auf Tournee war.
Von Noel Staunton, dem künstlerischen Leiter des Festivals, wird laut Katherine Feeney von der Brisbane Times, die Verpflichtung von Kissin als ein “wirklicher Coup” für die Stadt beschrieben. Andere “Erste Male” umfassten hier mehr zeitgenössisch ausgerichtete Kost, wie die Premiere von Elena Kats-Chernins Symphonia Eluvim (Symphonie der Fluten), entstanden unter dem Einfluß der großen Fluten, die vor acht Monaten auf Brisbane niederkamen, wie Variations without a Theme des israelischen Komponisten Avner Dorman und Grand Pianola Music des Pulitzerpreisträgers und amerikanischen Komponisten John Adams, die alle vom ‘Queensland Symphony Orchestra’ unter der Leitung des amerikanischen Dirginenten Asher Fish aufgeführt wurden.
“Kissins erstmaliges Kommen nach Australien wird von der örtlichen Pianistengemeinde seit langem erwartet und stellt ein sehr aufregendes Ereignis dar,” sagt die Pianistin Therese Milanovic aus Brisbane. Als anfänglich nur die Sydney Auftritte angekündigt wurden, hatte sie überlegt, die lange Reise dorthin anzutreten, um ihn spielen zu hören. Man kann sich vorstellen, wie begeistert sie war, als sie erfuhr, dass er ein Solokonzert als Teil des Brisbane Festivals geben würde. “Jeder ernsthafte Pianist, Klavierlehrer und Liebhaber von Klaviermusik wird dort sein, berichtete sie noch vor dem Konzert und auch, dass Kissin großzügigerweise angeboten hatte, sich mit Studenten informell am Konservatorium in Brisbane zu treffen.”
Sydney Operhaus Foto: Haymarket News
Das Publikum in Sydney hatte dann die Gelegenheit , dem ausschließlich aus Werken von Liszt bestehenden Solo -Programm von Kissin am 15. September in der Konzerthalle des Sydney Opernhauses beizuwohnen, dem Kissins Auftritte mit Griegs temperamentvollem Konzert in A-Moll mit dem ‘Sydney Symphony Orchestra’ unter Vladimir Ashkenazy am 22. September und dann am 24. Folgen werden, wenn die zwei Meister ihre Zusammenarbeit mit dem ‘Sydney Symphony Orchestra’ fortsetzen und Chopins Erstes Konzert aufführen werden.
Dieses Chopin Konzert wurde eines von Kissins Markenzeichen, als Kissin im Alter von zwölf Jahren beide Chopin Piano Konzerte im großen Saal des Moskauer Konservatorium mit dem ‘Moscow State Philharmonic’ unter Dimitri Kitaenko spielte. Die Live Aufnahme dieses Auftrittes im Jahre 1984 bei Melodia und die LP-Veröffentlichung ein Jahr später waren es, von denen aus Kissins Reputation im Westen als begnadeter Pianist seinen Lauf nahm.
Nicht nur, dass Kissin seine Aufführungen geographisch ausdehnt, er stößt auch in Richtung eines zeitgenössischeren Repertoires vor, das in zukünftigen Auftritten zum Beispiel die Barber Sonate beinhalten wird. Indem er sich auf immer neue Abenteuer auf einem Gebiet einlässt, das er gerade erst auf ein wenig vorsichtige Weise betreten hat, macht sich Kissin zu einer neuen und belebenden Phase seiner Karriere auf. Die Reise geht weiter. Im Anschluss an ihren Australien-Auftritt nimmt Ashkenazy das ‘Sydney Symphony Orchestra’ auf eine elftägige Tour nach Japan und Korea mit, begleitet von Kissin. Sie werden ebenfalls von der jungen japanischen Violinistin Sayaka Shoji und dem russischen Cellisten Misha Maisky begleitet werden, der gerade mit Kissin in Verbier gespielt hat, und Beethovens Violin Konzert spielen und in Japan zusammen seinen 40. Geburtstag feiern werden.
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