Lange bevor Streamingportale die Musikwelt, zumindest die Popmusik-Welt, nachhaltig verändert sollten, ging Naxos 2002 mit der Naxos Music Library (NML) an den Start. Es war das erste Musikportal, das speziell auf die Bedürfnisse und Hörgewohnheiten der Freunde klassischer Musik zugeschnitten war. Heute, rund 15 Jahre nach dem Start, ist die NML das größte Online-Musikarchiv dieser Art: Über 130.000 Veröffentlichungen von mehr als 800 Labels mit Werken von über 40.000 Komponisten können derzeit angehört werden – und monatlich kommen über 1000 Aufnahmen dazu. Der Katalog von nahezu allen bedeutenden Major- und Independent-Labels ist abrufbar.
Neben Naxos-Veröffentlichungen umfasst die NML auch die Releases von renommierten Plattenfirmen wie BIS, Capriccio, Chandos, CPO, Decca, Deutsche Grammophon, Erato, Dynamic, Finlandia, Grand Piano, Hänssler Classic, Harmonia Mundi, Hungaroton, Naïve, Naxos, Nimbus, Nonesuch, Orfeo, PentaTone, RCA Records, Sony Classical, Supraphon, Warner Classics usw. Während sich die großen Streaming-Anbieter auf hauptsächlich große klassische-Musik-Labels konzentrieren, bietet die Naxos Music Library Zugriff auf Veröffentlichungen, die den Markt in seiner ganzen Breite abbilden. Viele kleinere und regionale Labels sind auf den großen Streamingportalen nicht vertreten, wohl aber in der Naxos Music Library. Die Audioqualität der Streams entspricht in der Standardqualität etwa UKW-Radioqualität (128 kbps, AAC) bzw. kann in der Qualitätsstufe “Premium” mit CDs verglichen werden (320 kbps, AAC). Damit verwendet die NML ähnliche Bitraten wie die meisten anderen Streamingdienste.
Die Naxos Music Library stellt auf einer typischen Veröffentlichungsseite (s. oben) nicht nur die Musik, sondern auch – in den meisten Fällen – umfangreiche Zusatzinformationen wie Werksbeschreibungen (I.), Booklets (II.) und (in der Sektion “Album Information”, III.) Biografien von Komponisten (IV.) und Künstlern (V.) zur Verfügung. Die Booklets liegen als PDFs vor, die werks- und komponistenbezogenen Informationen können direkt im Browser innerhalb der NML aufgerufen werden. Die Veröffentlichungsseite enthält selbstverständlich diskografische Angaben wie Erscheinungsdatum, Label und Bestellnummer (keineswegs eine Selbstverständlichkeit bei anderen Portalen).
Trotz zahlreicher Konkurrenz-Portale, die danach entstanden, hat sich die Naxos Music Library als dauerhafter Referenzpunkt in einem hart umkämpften Markt etabliert. Daran ändert das etwas verstaubt und trocken wirkende Design auch nichts. Zugegeben: Die anderen Portale sehen besser aus und sind „einhändig“ zu bedienen; bei der NML muss man hie und da etwas mehr klicken. Dafür läuft die Website äußerst ressourcenschonend. Ein Re-Design ist für nächstes Jahr angekündigt. Der Player, das Herzstück der Website, läuft allerdings jetzt schon im modernen HTML5-Modus (der alte Flash-Player ist allerdings auch noch abrufbar). Sobald man ihn aufruft, poppt der Player in einem kleinen Extra-Fenster des Browsers auf. Für Android und iOS liegen kleine aber funktionale Apps vor.
Die Naxos Music Library richtet sich mit ihrem quasi enzyklopädischen Aufbau mit zahlreichen Verweisen in erster Linie an Hochschulen, Konservatorien und Berufsmusiker, kann aber auch von interessierten und ambitionierten Privatanwendern abonniert werden. Eine Privatlizenz kostet monatlich ca. 20 bzw. 30 Euro (Normal bzw. Premiumqualität), bei jährlicher Zahlungsweise werden rund 200 bis 300 Euro fällig. Damit lässt sich die NML nicht auf den ruinösen Preiskampf der großen Pop-Streaming-Portale (Spotify, Apple Music, Deezer und Co.) ein. Das kommt den Labels und den Künstlern zugute. Außerdem: Die NML möchte nicht den Kauf von Tonträgern ersetzen, sondern sinnvoll erweitern. Schon der Name deutet darauf hin, dass die NML eher eine „private musikalische Bibliothek“ ist.
Zu einer Bibliothek gehört auch ein gepflegter Katalog und ein Thesaurus, also eine sinnvolle und korrekte Benennung und Verschlagwortung der einzelnen Werke, sodass sie im System leicht auffindbar sind. Bei den „großen“ Portalen kann ein Satz einer Sinfonie schon mal „Andante“ (und in einer anderen Aufnahme „I. Andante“, „1. Andante“, „I Andante“) heißen – ohne Angabe von Komponist, Werk oder Opuszahl. Das macht das Auffinden einer bestimmten Aufnahme eines bestimmten Werks (oder alle verfügbaren) unmöglich (von den unterschiedlichen Schreibweisen und nationalen Satzbezeichnungen ganz zu schweigen). Auf der NML sind die Einträge einheitlich nach der (auf Plattencovern üblichen) englischen Schreibweise der Komponistennamen (etwa Shostakovich, Tchaikovsky etc.) und Werksbezeichnungen (Symphony, Concerto) eingeordnet. Das mag für einen deutschsprachigen User etwas ungewohnt sein, dient aber der Vereinheitlichung und der Internationalität der Website ungemein.
Mit dem Zugriff auf alle verfügbaren Einspielungen desselben Werkes ist ein Interpretationsvergleich einfach möglich. Die zusätzlichen Informationen vermitteln detailliertes Fachwissen. Neben den über 130.000 Veröffentlichungen gibt es noch redaktionell erstellte Playlists zu verschiedenen Themenbereichen wie Komponisten, Instrumenten, Gattungen und Anlässen. Außerdem verfügt die NML über eine Ausspracheanleitung mit Klangbeispielen für Komponisten- und Künstlernamen sowie für musikalische Begriffe (“Pronunciation guide”), musikalische Führungen (“Guided tours”) durch die einzelnen musikalischen Epochen, ein Wörterbuch über die verwendeten musikalischen Begriffe (“Dictionary”), Opernlibretti und Zusammenfassungen (“Synopses”), Werksanalysen (“Work Analyses”) und Podcasts.
Für mich (als Blogger und als Musikfan) ist die NML längst ein unverzichtbares Studien-Werkzeug geworden, sowohl bei meinen Artikeln als auch bei meinem Hobby. Hier kann ich (nahezu) grenzenlos stöbern, Komponisten und Werke entdecken, Aufnahmen vergleichen, viele Details zusammengefasst finden und – last but not least – die Booklets herunterladen und in einer angenehmen Auflösung lesen. Die Naxos Music Library ist sowohl ein qualifiziertes und redaktionell betreutes Streamingportal als auch eine wichtige Informationsquelle.
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