“Gegen ein bisschen Glamour und Eleganz kann man kaum etwas sagen, wenn es um die darstellenden Künste geht,“ meint die in Korea geborene außergewöhnliche Pianistin Soyeon Lee. Es scheint auch so, als glaube sie, dass etwas Kontroverse nicht schaden könne, gerade dann, wenn die Wichtigkeit dessen, um was es geht, besondere Aufmerksamheit rechtfertigt. Konzertbesucher werden sich an ihren Auftritt im Zankel Konzertsaal der Carnegie Hall im Jahre 2008 erinnern, als ihre Robe aus 6000 Saftbehältern für Schlagzeilen sorgte. Indem sie die Bühne nutzt, um Dinge anzusprechen, die ihr wichtig sind, geht sie das Risiko ein, dass das Spektakel ihre Kunt überschattet. Während unseres Interviews am 21. Mai nickt sie zustimmend: “All die Blicke auf das Kleid waren in der Tat ein bisschen zu viel.” Und dann fährt sie fort: “Meine Musik ist viel wichtiger, als all die PR-Aspekte der Konzertdarbietung, obwohl ich wirklich felsenfest an die Wichtigkeit unserer Umwelt glaube und diese zu schützen als eine äußerst wichtige Angelegenheit begreife. Obwohl das Konzert so erfolgreich darin war, was die öffentliche Beachtung und die Presse angeht, war es keineswegs als Aufmerksamkeitsheischerei gedacht.” Und obwohl ihr Kleid kommentiert wurde, applaudierten die Kritiken des Abends ihrem großsartigem Talent. So sagt Anthony Tommasini in seiner Kritik in der New York Times vom 21. Februar “sie spielte mit Klarheit, Ehrlichkeit und einem geschmeidigem und doch vollem Klang. Sie bot eine artikulierte Darstellung von Bach-Busoni und eine rhapsodische Darbietung von Ravel’s ”Valse”, was auch als ein neu aufbereitetes Werk betrachtet werden kann: der Komponist überarbeitete seine Orchesteroriginalversion für das Klavier.” Laut Soyeon wussten ihre Eltern schon sehr früh, dass sie sehr starken Willens ist. Statt sie auf jeder Stufe ihres Weges zu bekämpfen, gaben sie ihr viel Freiheit. Ihre Schwester, die in ihrer Heimat Korea ein Popstar ist und derzeit an der Northwestern University Jura studiert, genoss die gleiche Freiheit, die beide Mädchen mit einer gesunden Dosis Selbstvertrauen und mit großer Freude austattete, wenn es darum geht, für andere aufzutreten. Als sie über ihre Kindheit erzählt, erläutert Soyeon Lee: “Als Kind war ich sehr eitel und ich mochte es, mich während der Darbietung im Spiegel zu sehen. Ich dachte immer, wenn ich richtig, natürlich und entspannt aussähe, wären die Bewegungen ebenfalls richtig. Ich tanzte viel Ballett und traditionellen koreanischen Tanz, was mich lehrte mich selbstsicher und eben elegant zu bewegen. Heute mache ich viel Yoga und mir kommt es auf die Flüssigkeit der Bewegungen an. Wie viele südkoreanische Kinder nahm Soyeon Lee im Alter von 5 Jahren Klavierunterricht. Obwohl sie nicht besonders ehrgeizig war, genoss sie diesen sehr. Dann im Alter von 9 Jahren kam Soyeon mit ihren Eltern und ihrer Schwester nach Morgantown, einer kleinen Universitätsstadt in West Virginia. Dort gab es damals nicht gerade viele Leute internationaler Herkunft und Soyeon war sich bewusst, dass sie anders war und fühlte sich einsam. “Mein Englisch war schlecht und andere Kinder machten sich konstant über mich lustig und so zog ich mich auf meine Musik zurück. Wir hatten kein eigenes Klavier, aber an der Universität schlich ich mich oft in die Übungsräume des Musikgebäudes. Während der Weihnachtsferien – als niemand im Gebäude war – erinnert sich Soyeon, kam diese Frau auf mich zu und bat mich für sie zu spielen.“Diese Frau” war die rumänische Klavierlehrerin Marina Schmidt von der Vorbereitungsabteilung der Universität. Soyeon sagt: “Sie wurde in den nächsten 5 Jahren nicht nur meine Klavierlehrerin, sie machte auch meine ersten Konzertkleider und vermittelte mir auch ein Verständnis von Klavierübungen.” Als ihre Eltern 1994 nach Korea zurückkehrten, war es Soyeon erlaubt zurückzubleiben und ihren Träumen zu folgen. Während sie ein Internat in Interlochen, Michigan, besuchte, begann sie an Wettbewerben teilzunehmen und wurde schließlich von Victoria Mushkatol entdeckt, die nun in Juilliards Vorbereitungsschule unterrichtet. “Wenn ich zurückschaue, war es die richtige Entscheidung für mich, obwohl ich meine Eltern, die mich gebrochenen Herzens verliessen, schrecklich vermisste. Aber vielleicht veranlasste mich das härter für meine Schulfächer und meinen musikalischen Fortschritt zu arbeiten. Ich schloss ebenfalls viele Freundschaften, die mich mein Leben lang begleiteten. Diese Freunde sind sicherlich nicht alle Musiker, aber sie kommen, wann immer ich auftrete.” Soyeon fühlte sich wirklich an der Julliard School zuhause. Sie erhielt dort nicht nur ihren Bachelor und Master Abschluss im Fach Musik sowie ihr Kunstdiplom, sondern sie gewann auch den hausinternen Rachmaninoff Concerto Wettbewerb. Zusätzlich gewann sie zwei aufeinanderfolgende ‘Gina Bachauer Scholarship’ Wettbewerbe und als Empfängerin des prestigeträchtigen ‘William Petschek Piano Debut’ Preises machte sie ihr Lincoln Center Debüt in der Alice Tully Hall.
Seit 2004 tritt sie aktiv als Solistin und Kammerkonzertmusikerin auf und im Jahre 2006 erschien sie auf dem Titelbild des Symphony Magazines, welches sie als eine ‘aufstebende Künstlerin der nächsten Generation’ heraustellte. Auch als Klavierbegleiterin gefragt, tritt Soyeon oft mit dem Violinisten, Komponisten und Grammy-Preisträger Mark O’Connor auf. Vor kurzem begleitete sie ihre Popstar- Schwester Soeun Lee. Zum breiten Spektrum ihrer Auftritte kann man hier weitere Informationen finden: http://www.soyeanlee.com Soyeon möchte gern die mit den Auftritten einhergehenden Reisen begrenzen und zieht es vor, ihre Auftrittein lokalerer Umgebung zu haben. “Ich hatte nie die Absicht eine Konzertkarriere mit mehr als 150 Auftritten pro Jahr zu haben, die mich Tag für Tag auf Tour sein läßt. Für mich ist es gut, wenn ich einem regelmässigen Tagesablauf folgen kann – auf diese Weise bleibe ich auf dem Boden und emotional ausgewogen” sagt sie. Deswegen war sie auch sehr glücklich, als sie Assistenzlehrerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin ihrer ehemaligen Juilliard Lehrer Julian Martin und Robert Macdonald ausgewählt wurde.
Ihre eigene fortlaufende Ausbildung wird im Jahr 2011 mit einem ‘Doctor of Musical Arts’ Programm am Graduate Center der New Yorker City University beginnen, wo sie unter Ursula Oppens studieren wird. Sie freut sich ebenfalls darauf im Herbst eine Klasse für Musikverständnis am Bronx Community College zu unterrichten. “Ich glaube wirklich, dass mir die Klasse viel bringt. Wie das Unterrichten von jungen Studenten mein eigenes Musizieren stark beeinflusst, so finde ich es sehr aufregend Kinder zu inspirieren, von denen einige klassische Musik zum ersten Mal hören werden. Als Künstlerin möchte ich einfach alles machen, was mit Musik zu tun hat.” Soyeons nächster großer Klavierabend ist für den 8. Oktober 2010 in Carnegies Zankel Hall geplant.
Betitelt “Fourtissimo” wird dieses einzigartige Erlebnis mit vier Pianisten Ran Dank, Roman Rabinovich und Vassilis Varvaersos, alle enge Freunde von Soyeon, präsentieren. Zwischen Solodarbietungen und unterschiedlichen Paarungen abwechselnd zielt “Fourtissimo” darauf ab, das Programm des Stils des Goldenen Zeitalters zurück auf die Konzertbühne zu holen. Soyeon meint: “Es wird einen Erzählstrang geben, aber auch Interludien von Solostücken sowie einige eigene Arrangements der Gruppe. Und es wird ein breites Spektrum an Musikmaterial geben, von Beethovens Neunter Symphony bis Piazzola.” Im Zuge der Vorbereitung dieser Veranstaltung hat das Quartett gerade eine Fotosession unter der Leitung der japanischen Fotografin Lisa Mazuko beendet. Ich möchte mehr wissen, was die Details des vorgeschlagen Programms anbelangt, da ich neugierig bin. Aber an dieser Stelle lächelt Soyeon und schweigt. Die letzten Geheimnisse von “Fourtissimo” sind zur Zeit genau eben das: Geheimnisse.
Soyeon Lees Debütaufnahme, die bei Naxos im Jahre 2007 herausgegeben wurde, bietet eine ernsthafte und puristische Darbietung von Scarlatti Sonaten.
Ihre zweite CD, bei Koch International Classics erschienen, bietet ihr ‘wiedererfundenes’ Programm, und präsentiert Werke unter anderem der Komponisten Ferruccio Busoni, Isaac Albeniz, Maurice Ravel, Sergey Prokofiev und dem Julliard Alumnus Huang Ruo.
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