Am 8. Februar diesen Jahres hatte mich der sympathische 19-jährige georgische Pianist David Aladashvili zu seinem Debutauftritt in der renommierten Weill Recital Hall der New Yorker Carnegie Hall eingeladen.
Sein Debut gab dem von der Georgian Association in den USA als “aufsteigender Star georgischer Kultur” gefeierten jungen Künstler Gelegenheit, sein frisches Talent unter Beweis zu stellen, sowie auch die Möglichkeit, die Bindungen innerhalb der georgischen Gemeinde New Yorks zu festigen.
Musikliebhaber jeden Alters füllten an jenem Abend die Weill Recital Hall, die meisten – jedoch längst nicht alle – georgischer Abstammung. Der bereits im Programmheft als “ein für die Bühne geborener einfühlsamer Virtuose” gelobte Künstler, fand denn auch ein aufmerksames und sehr unterstützendes Publikum vor. Leider war es Davids Eltern nicht möglich, das Konzert vor Ort mitzuerleben; sie konnten jedoch einen Teil des Konzerts per Handy mitverfolgen. Davids Lehrer Jerome Lowenthal vertrat die Juilliard School an diesem Abend.
David wurde im Jahre 1990 in Tbilisi (Georgien) geboren. Als Elfjähriger begann er seine Klavierstudien bei Leila Mumladze; mit 15 wurde er in die angesehene Tbilisi Special Music School aufgenommen, wo er unter Daredjan Tsintsadze studierte. Im Jahre 2005 erhielt er Georgiens ‘Presidential Scholarship Award for Piano Performance’, der es ihm ermöglichte, zwei Jahre später nach New York zu ziehen, und dort seine Studien an der Juilliard Pre-College Division fortzuführen. Inzwischen ist er Stipendiat der Juilliard School und studiert unter Victoria Mushkatkol.
Mehr als ein Jahr vor seinem Debut in der Weill Recital Hall traf ich David zum ersten Mal in der Cafeteria der Juilliard School. Schon bald waren wir in ein freundliches Gespräch über Davids Ideen und Ansichten zum Thema Klavier, seine Liebe zur klassischen Musik, und seine Ausbildung und Erfahrungen in der georgischen Heimat im Vergleich zu seinem New Yorker Leben und dem Studium an der Juilliard School vertieft.
Nach diesem ersten Gespräch teilte David seine aussergewöhnliche Freude am Klavierspiel noch oft mit mir – in den Übungsräumen der Juilliard School, bei einem Abendessen mit meiner Familie, oder auch mal während seiner Privatstunde und Studio-Klasse mit Jerome Lowenthal. Ich habe es David zu verdanken, dass ich Jerome Lowenthals engagierte Lehrmethoden hautnah erleben durfte.
Noch am Tag vor seinem Debutkonzert in der Weill Recital Hall war ich dabei, als er eine Auswahl aus Schumanns ‘Kinderszenen’ übte. Sein Klavierspiel war beeindruckend und zeigte tiefes Verständnis für das Material, das er dem 21-jährigen Rodler widmen wollte, der Tage zuvor in der Qualifikationsrunde für die Olympischen Spiele tödlich verunglückt war.
Den letzten Teil der ‘Kinderszenen’ unter dem Titel “Der Dichter spricht” verband David ganz besonders mit dem tragischen Verlust seines Landsmannes, dessen Tod ihm sehr nahe gegangen war.
Dies war nicht das erste Mal, dass ich Davids Respekt und tiefe Emotionen miterlebt hatte. Was mich schon immer an ihm beeindruckt hatte ist seine Feinfüehligkeit, und die Dankbarkeit und Würdigung seiner sehr besonderen Situation. Weit weg von zu Hause, zu Gast bei einer grossartigen Schule, die ihn nach Kräften unterstützt, aber doch gleichzeitig auf sich selbst gestellt, sind es seine sanfte Art und guten Umgangsformen, die ihn so sympathisch machen.
Vor allem aber glaube ich, dass Davids Offenheit, Begeisterungsfähigkeit und Bescheidenheit sein hohes Mass an Integrität stärken und zu seinem guten Ruf als Künstler beitragen.
In seiner künstlerischen Laufbahn nahm David bisher an vielen Wettbewerben und Festivals teil; beispielsweise am
International Competition for Young Pianists in Tbilisi (2001), am Vladimir Spikanov International Festival in Moscow (2005), und am Nikolai Rubenstein Piano Competition in Paris (2006), wo er den Grand Prix gewann. Er trat ausserdem mehrfach in Funk und Fernsehen auf.
Es war jedoch sein Debut in der Weill Hall – gleichzeitig sein erstes Solokonzert – das ihm am meisten bedeutete. Davids umfangreiches Programm bot einige der grossartigsten Werke der Musikliteratur. Seine Leistung war überzeugend, und seine Interpretationen einfühlsam und ausgereift. Von einigen fehlerhaften Anschlägen abgesehen, erfüllte seine Darbietung höchste Ansprüche. Ich persönlich habe weitaus erfahrenere Pianisten erlebt, die mit einigen der komplizierten Passagen von Chopins Ballade No.4 in F-Moll, Opus 52, oder auch der Sonate No.3 in B-Moll, Opus 58 zu kämpfen hatten.
In diesem Zusammenhang sei gesagt, dass Tiefe und Vitalität einer Darbietung meiner Meinung nach sehr viel mehr zählen als die lupenreine Wiedergabe eines Musikstücks. Man könnte sogar sagen, dass das hohe Level an Perfektion und makelloser Spieltechnik, wie es die moderne Aufnahmetechnik verlangt, ‘unnatürlich’ ist, und lediglich zu einer leichter verdaulichen Version wahrer Essenz führen.
Live-Aufritte bringen immer ein gewisses Risiko mit sich, einschliesslich des Risikos, dass es zu Fehlern kommt – und natürlich sind Fehler nicht immer angenehm. Doch trotz des allgemeinen Verständnisses, dass Fehler nichts in einem Konzert zu suchen haben, machen sie eine Darbietung letztendlich authentischer.
Dazu David: “Nach einem Auftritt fühle ich mich immer schlecht, wenn ich ein paar falsche Noten gespielt habe, denn jede Note ist wie ein Diamant; wenn ein Juwelier eine perfekte Halskette anfertigt, kann er nunmal kein Juwel auslassen. Doch selbst wenn ich einem Auftritt anderer beiwohne – egal, was für ein Auftritt es sein mag – dann zählt immer das Gesamtbild für mich.
Wenn ich rechtzeitig merke, dass ich einen Fehler gemacht habe, und der Fehler nicht die ganze Linie einer melodischen Passage zerstört hat, dann wird er zu einem Grammatikfehler in einer ansonsten gut ausgearbeiteten Rede. Das Ganze ist ein tagtäglicher Lernprozess, und ich lerne ständig dazu.”
Als wir uns ein paar Tage nach dem Konzert in der Juilliard-Cafeteria trafen, erzählte mir David von den stressvollen Tagen vor seinem Debut. Er hatte wenig Zeit zur Vorbereitung gehabt, da er auch zum Teil in die organisatorischen Details des Konzerts involviert gewesen war. Stattdessen war er zum Beispiel in der Stadt unterwegs gewesen, um einen Smoking zu finden, oder um sich um die Einladungen und Programmhefte zu kümmern.
Zum emotionalen Impakt, den sein New Yorker Debut auf ihn hatte, meinte er: “Ich war sehr aufgeregt, und ich muss sagen, ich hätte noch besser spielen können. Auch half es nicht gerade, dass das Klavier ziemlich durchschnittlich war. Um die hohen Melodie-Töne heraus zu bringen, musste man ganz schön hart arbeiten. Dabei habe ich sogar ein wenig meinen kleinen Finger verletzt.
Alles in allem habe ich sehr viel von der Erfahrung gelernt. Mit derart vielen Leuten zusammen zu arbeiten, und auch noch an der Organisation beteiligt zu sein … das war schon eine grosse Leistung, die mir zu einem positiven Abschluss meiner Teenagerjahre verholfen hat.
Und schliesslich gibt es viel Platz für weiteres Wachstum. Am Tag nach dem Konzert habe ich alle Teile, in denen ich Fehler gemacht habe, nochmal gespielt. Ich hatte das Gefühl, dass ich das den Komponisten schulde. Musik ist nie automatisch; sie drückt die Emotionen des jeweiligen Moments aus, und darum sind verschiedene Darbietungen nie genau gleich.”
David hat sein Debut aufgenommen, aber wollte sich die Aufnahme erst ein paar Wochen später anhören, dann nämlich, wenn er genug Abstand davon hätte. Auch wollte er in seiner Entwicklung als Pianist schon einen kleinen Schritt weiter sein, und neue Einsichten gewonnen haben, wie man ultimative Freiheit am Klavier erreicht. Die wiederum – da habe ich keinerlei Zweifel – werden ihn immer wieder zur Schönheit der Musik hinziehen.
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