Als ich mich mit dem Violinisten/Komponisten Cornelius Dufallo traf, den ich als Mitglied von Ethel, einer sehr originellen, postmodernen und ein bisschen premiere-bezogenen Gruppe von Musikern kenne, gab er mir sogleich die wichtigen Neuigkeiten bezüglich der Gruppe preis: Mary Rowell, eine von Ethels Gründungsmitgliedern wird die Gruppe mit dem 1. Juni verlassen, um anderen Prioritäten im Leben nachzugehen und Jennifer Choi, die wie Dufallo selbst der jüngeren Generation von Julliard Alumni angehört, wird sich der Gruppe anschließen. So ist auf gewisse Art und Weise dieser Artikel ein Abschiedsgruß an die Ethel-Violonistin Mary Rowell und ein Hallo an Jennifer Choi.
Dufallo trat vor sechs Jahren dem Quartett bei, als er mit Freude einem Aufruf zum Vorspielen bei der damals bereits renommierten Ethel-Band folgte, nachdem eine Stelle frei geworden war. Er beschreibt die Beziehung mit allen anderen Mitgliedern als ausgezeichnet und sehr eng. Er erinnert sich: ”Wir hatten von Anfang an den richtigen Draht zueinander. Wir werden Mary vermissen und sie wird in der Zeit des Übergangs mit dabei sein, um sicherzustellen, dass bei Ethel weiterhin alles gut läuft.”
Die Verpflichtung auf ein einfallsreiches Programm zeitgenössischer Musik, das mit großer Kunstfertigkeit wie auch mit persönlicher Hingabe ausgeführt wird, war es, was Dufallo an Ethels Kernidee reizte. Sich auf Musik zu spezialisieren, die nach 1995 komponiert wurde, ist nicht länger und ganz bestimmt nicht im Großraum New York und wenigen anderen Ballungsräumen im Lande [in den USA] ein besonderes Unterfangen. Selbst die Presse ist überwiegend enthusiastisch:
”Man kann nicht gerade sagen, dass Neue Musik während der Hauptzeit der New Yorker Konzert Saison selten ist und Veranstaltungsorte wie der ‘Issue Project Room’, ‘Galapagos’ und ‘Tank’ spezialisieren sich das ganze Jahr hindurch darauf. Aber das Frühjahr und der Sommer sind praktisch eine ununterbrochene Parade von Festivals, die das Experimentelle feiern,” meint Alan Kozinn in seinem Artikel über Ethels Eröffnungsprogramm des diesjährigen Tribeca New Music Festival in der Merkin Hall (siehe Alan Kozinns Besprechung in der New York Times am 24. Mai 2011).
Von seinen Befürwortern geschaffen und mit solch einem Gusto beharrlich betrieben, von Internet Verfechtern wie auch von Bildungseinrichtungen und privaten Institutionen unterstützt – um nicht auch noch das anwachsende jüngere Publikum zu nennen –, hat ein solcher Enthusiasmus aber erst in jüngster Zeit bewiesen, dass sich neue Musik in der Öffentlichkeit einer solchen Hochachtung erfreut.
Was einen wirklichen Unterschied in dieser neuen Wertschätzung gemacht zu haben scheint – verglichen mit der früheren Unwilligkeit des Publikums, der Presse und der Programmgestalter gleicherweise – , mag die tatsächliche hohe Qualität der Musikschaffens sein. Der neue Schub an Musikern bringt eine einzigartige Vielseitigkeit, einen hohen Qualitätsgrad in der Ausbildung wie auch ein innovatives, einnehmendes und belebendes Engagement in die Musik ein.
Es ist schwer, einer Entwicklung einen Zeitstempel aufzudrücken. Manche Veränderungen passieren einfach nur, weil die Zeit dafür reif ist. Sie passieren, durch geringfügige Veränderungen, die nicht gerade ungemein bemerkbar sind und nur zum nächsten Niveau der Dinge führen. Ob das nur nur auf den Zeitgeist zurückzuführen ist oder in einem reflektierenderen Lebensstil diese Änderungen bringen die Wirklichkeit auf eine andere Bewusstseinsebene.
Je mehr ich über einige dieser talentierten Musiker spreche, die sich für neue Musikprojekte engagieren, desto mehr bin ich von ihrer sehr bedachten Art und Weise beeindruckt, ihre musikalische Erzählung mit einem Aktivismus in Verbindung zu bringen und so in diesem Prozess einen tatsächlichen sozio-kulturellen Einfluss auszuüben. Viele setzen ihre Talente für Bildungsbedürfnisse, Fragen der Umwelt oder praktisch-orientierte Lösungen zu verschiedenen guten Zwecken ein. Obwohl das Bedürfnis verbal zu kommunizieren für einige Künstler – und typischerweise schreiben viele von ihnen selbst und betätigen sich wenn nicht sogar als verkappte PR-Manager – eine unmittelbar bevorstehende neue Entwicklung für viele Künstler zu sein scheint, nehmen sie die Notwendigkeit ernst, etwas zu klären und zu konzeptualisieren. Sie verbinden diesen Aspekt mit einer sehr direkten, pro-aktiven und unternehmerischen Betrachtungsweise, die die Dramatik des Auftritts, Musik und das Leben in sehr kreativen Formen miteinander verbindet.
Als wir uns über solch philosophischen Aspekte seines musikalischen Schaffens unterhalten, beschreibt Dufallo, der seine erstklassige Ausbildung von Lehrmeistern an der Julliard School wie Dorothy DeLay, Robert Mann und Marcel Kawasaki erhielt, einige von Ethels Projekten für die nächste Saison: ”Ethel hat bereits in der Vergangenheit so viel Erfolg gehabt und wir haben weiterhin viele großartige Projekte anstehen, wie die Weiterführung unseres “Present Beauty” Projektes. Dieses beschreibt ein Programm, das sich großer Nachfrage erfreut, als wir mit dem im ganzen Land unter großem Beifall auf Tournee gegangen sind. Es bezieht sich auf den Begriff der Schönheit eines Augenblicks und stellt Musik der Komponisten Philip Glass, Huang Ruo, Julia Wolfe, Mark Stuart und Terry Riley vor. Das verbindende Element des Musikprogramms ist, dass sich all diese Kompositionen auf die Idee beziehen, die Schönheit des gegenwärtigen Augenblicks zu erleben, und diese, wie auch ihre meditativen Elemente, die in der Musik durch verschiedene musikalische Elemente vertreten sind, im jetzigen Moment zu erleben.”
Ein anderes Programm, das Dufallo beschreibt, ist: “Music of the Sun.” Es ist ein vorbildliches Outreach Projekt, das eine einzigartige Zusammenarbeit mit dem indianischen Flötisten Robert Mirabal aus Taos, New Mexico beinhaltet. Das Programm dreht sich um verschiedene Praktiken von Stammesfesten und die Sonnenmythologie der Kultur amerikanischer Ureinwohner, wie sie in den Taos’ Peblos Reservationen ihren Ursprung haben und [von da] überliefert werden. Diese werden in Verbindung mit einiger Musik aus der Welt der Konzertmusik präsentiert, wie dem Stück von John Luther: ”Sky with Four Suns,” das die scheinbare Existenz mehrerer Sonnen durch spezifische Lichtkonstellationen beschreibt – dem sogenannten “Alaska-Effekt.” Dufallo hält inne und stößt hervor:” Ich möchte auch unsere Beziehung zur amerikanischen Ureinwohnerschaft in Arizona erwähnen, wo wir jeden September am “Grand Canyon Music Festival” teilhaben, und in Kooperation mit lokalen ‘High School’ Programmen vor Ort Jugendliche aus den Reservationen engagieren, um Stücke für Streichquartett zu erstellen. Es ist eine äußerst sinnvolle Erfahrung.“
Die enge Verbindung mit der Natur und den Kräften der Umwelt wird in einigen von Dufallos eigenen Werken sichtbar, die bei diesem Programm vorgestellt werden, wie sein “Aphelion” für Solo-Cello. Dieses Werk beschreibt den äußersten Punkt in der irdischen Umlaufbahn und symbolisiert den Zustand menschlicher Einsamkeit, aber ruft auch Gedanken hinsichtlich anderer kosmologischer Aspekte und unserer Beziehung zur Sonne und zur Erde, unserem eigenen Planeten wach. ”Es ist wichtig, dass wir an diese Verbindungen weiterhin denken”, bemerkt er. “Dorothy spielt das auf wundervolle Weise”, fügt er hinzu, wie er über diese Komposition spricht, was etwas ist, was er nie formal studiert hat, aber dennoch die ganze Zeit weiterstudiert.
“Obwohl ich schon seit ‘High School’- Zeiten komponiere, ist mir nie in den Sinn gekommen, dass ich Komposition richtig auf formale Weise studieren sollte. Ich war mit dem Üben der Violine viel zu beschäftigt, da jeder das so hervorragend kann” erläutert er, als er über seine Jahre an der ‘Juilliard School’ spricht. Er macht sich viele Gedanken über die Programmgestaltung: ”Konzepte innerhalb eines Konzertprogramms geben dem Publikum etwas, woran es sich halten kann. Es hilft den Leuten, sich mit dir auf eine Reise zu begeben. Meine Musik ist nicht programmatisch, aber wir nutzen eine konzeptionelle Idee, auf die sich jedes Stück bezieht und die unterschiedlichen Stücke miteinander in Verbindung bringt. Wir bieten Musik dar, die sehr anspruchsvoll sein kann. Manches davon ist intensiv, laut und schnell. Unserer Erfahrung nach hat es dem Publikum beim Verständnis geholfen, diese unterschiedlichen und neuen Aspekte unserer Musik zu akzeptieren und zu verstehen, wenn wir es in einem Kontext präsentiert haben.”
Es gibt noch einen weiteren Aspekt, was Ethels Auftritte betrifft: Das Bühnenverhalten ist lässiger, weniger formal, was hilft, die Barrieren zwischen dem Publikum und den Auftretenden einzureißen. Indem man spricht, lacht und mit dem Publikum Witze macht, ist das, was in Theateraufführungen die “vierte Wand” genannt wird, geradezu verschwunden und schafft ein Milieu statt eine Bühnenpräsentation.
“Wir spielen immer noch in Konzerthallen, sie haben einfach eine bessere Akkustik. Dennoch treten wir auch in Clubs auf und sind jüngst in ungewöhnlichen öffentlichen Räumlichkeiten, wo wir es mögen, Räume für Installationen zu übernehmen. Zum Beispiel zur Eröffnung der neuen Alice Tully Hall boten wir ein von Phil Kline neu in Auftrag gegebenes Stück in der Lobby des Veranstaltungsortes dar. Wir mögen es ebenfalls, uns im Auftrittsraum so zu positionieren, dass wir aus unterschiedlichen Ecken des Raumes spielen und so ein anderes Bühnenerlebnis kreieren Für unseren 2008 BAM (Brooklyn Academy of Music) Auftritt von “Truck stop” half uns Regisseurin Annie Dorsen mit dem Konzept unterschiedliche verschiedene Disziplinen miteinander zu verbinden. Die Idee war [es], auf Ausflügen mit dem Auto lokale Musiker zu finden, etwas von ihrer Musik zu lernen, während man in diesen verschiedenen Communities war – neue Musik [also], die wir vorher noch nicht auf Instrumenten gehört hatten, die unterschiedliche Klänge hervorbrachten. In Hawaii zum Beispiel fanden wir den ‘Slack Key Guitar’ Spieler Jeff Peterson und in Kentucky den Bluegrass Banjo-Spieler Dean Osborne.
Wir brachten dann die Musiker als Solisten hierher und installierten auf der Bühne ein Aufnahmestudio. Der“Auftritt ” wurde eine Aufnahmesession, die vom Publikum miterlebt werden konnte. “
Unabhängig von allen Ethel Aktivitäten hat Dufallo im Jahre 2003 ebenfalls eine Gruppe namens “ne(x) t works”, ein Kollektiv von Avantgarde Komponisten gegründet. Im Jahre 2009 schrieb er “Mindscape 2” für das MATA Festival. Eine andere Gruppe (seine erste), an der er sich beteiligte und in Wirklichkeit mitbegründete, war “flux” die beim Ojai Festival zum Auftrit eingeladen worden war. “Ich erinnere mich als Jazz Legende Ornette Coleman nach Juilliard kam und ich so von seinem kreativen Quer-Denken jenseits eingefahrener Bahnen beeindruckt war. Er war so inspirierend, so sehr seinem individuellen Ansatz verpflichtet und repräsentierte in den Künsten das Allerbeste, was Amerika zu bieten hatte.”
Als Komponist/Auftrittskünstler kann es schwer sein zu entscheiden, an welcher Rolle man teilhaben möchte:
“Ich spiele mehr Musik von anderen als von meiner eigenen. Manchmal werde ich von meiner eigenen Musik ein wenig krank. Meine Aufnahme von “Dream Streets” im Jahre 2009 besteht aus all meinen eigenen Kompositionen, die ich zu verschiedenen Gelegenheiten gespielt habe.
Indem ich die Musik anderer spiele, lerne ich. Von Zeit zu Zeit spiele ich auch ein klassisches Repertoire; allerdings geniesse ich es nicht genauso, als wenn ich zeitgenössische Musik spiele. Neue Musik trägt nicht die Last, die, sagen wir, romantische Musik besitzt. Für mich ist erst einmal das fehlende, verbindene Glied der “Kommunikation” ein Nachteil, wie es auch das [beschwerende] Gewicht aller historischen Interpretationen, Assoziationen, Lehren ist, kurzum, all der Filter, die einem traditionellen Repertoire inne wohnen. Mit einem zeitgenössischem Repertoire empfinde ich eine direkte Verbindung zu dem Komponisten und es gibt auch die Möglichkeit etwas einzubringen. Ich kann Sachen vorschlagen, während ich mit dem Komponisten an der Aufführung des Stückes arbeite; es gibt ein Geben und Nehmen und es gibt Klarheit, kein Raten. Das heißt nicht, dass ich es nicht genieße, traditioneller klassischer Musik zuzuhören; ich mag sie sehr und sie ist mir tief vertraut. Aber als Auftretender ziehe ich es vor, in das Hier und Jetzt zeitgenössischer Musik einbezogen zu sein. Das beinhaltet die Verwendung von Technologien und die Einbeziehung von populärer Musik, die immer auch in die klassische Musik hineinwirkte. Es mag ein bisschen schockierender sein, dass elektronische Musik ihren Weg in die Instrumentalisierung fand – aber ich bin sicher, dass direkt im Anschluss an das Cembalo auch der Aufstieg des Hammerflügels kein kleiner Schritt war. Warum sollte alles zu einem bestimmten Zeitpunkt aufhören, warum nicht lieber weitergehen? Wir müssen uns weiterbewegen und weiterwachsen und daher müssen wir uns weiterhin verändern.”
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