Tour de Force durch fast 30 Jahre Maderna-Musik
Von den „Leuchttürmen“ der Neuen Musik war Bruno Maderna schon immer einer derjenigen, die nicht ganz so hell gestrahlt haben. Kein Wunder: Bereits 1973 verstorben stand er eigentlich immer im übergroßen Schatten der beiden Giganten der italienischen Neuen Musik: Luigi Nono und Luciano Berio. Häufig vergessen wird aber, dass Madernas Werk noch im Expressionismus und Futurismus italienischer Prägung fußt, dass er noch beim Großmeister Gian Francesco Malipiero in die „Lehre“ ging und dass Maderna somit (ganz ähnlich übrigens wie György Ligeti) eine beachtliche Entwicklung durchmachte. Aus der „Serialismus-Falle“, in die fast alle avantgardistischen Komponisten in den 1960er- und 70er-Jahren hineingerieten, konnte er sich indes nicht mehr befreien. Während er mit nur 53 Lebensjahren verstarb, etablierten sich Nono und Berio, schufen neue Klangwelten und befreiten sich auch zusehends von den Zwängen der Serialisten-“Schule“.
Was den Zugang zu Madernas Musik bis heute zusätzlich erschwert, ist ein heilloses Durcheinander, was seinen Nachlass angeht. Insbesondere sein Frühwerk, das der Komponist, der von notorischem Selbstzweifel geplagt war, nicht so hoch schätzte wie seine späteren Kompositionen, wurde teilweise offenbar „in alle Winde verstreut“: Maderna vertraute einige Kompositionen buchstäblich dem Aktenordner an, und sie landeten dann auf irgendeinem Lagerregal, ohne dass jemand gewusst hätte, dass es die darin vor sich hinschlummernden Werke überhaupt gibt! Eine dieser „Karteileichen“ ist Maderna Klavierkonzert aus dem Jahr 1942. Es ist ein noch unüberhörbar vom Stil seines Mentors Malipiero beeinflusstes Werk, in dem Holzbläser und Streicher erstaunlich lyrische Stimmungen hervorrufen, die so gar nicht in unser Bild von Maderna als Avantgardisten passen wollen.
Es ist dies eines der schönsten im engeren Sinne modernen Klavierkonzerte, die ich bislang gehört habe, und ich muss sagen: Ich bin ganz begeistert! Die vorliegende Aufnahme ist die Weltersteinspielung dieses bislang vergessenen frühen Geniestreichs. Und noch mehr bekommen wir zu hören: Maderna fertigte (für welchen Zweck ist nicht genau bekannt) 1946 auch eine Fassung des Stücks für zwei Soloklaviere an, sodass das Konzert im Prinzip auch als „Klaviersonate“ für zwei Pianos vorliegt. Auch hiervon gibt die vorliegende CD einen Eindruck.
Beide Fassungen wissen zu faszinieren, zumal Bruno Maderna bei der Version für zwei Klaviere noch kompositorische Änderungen eingebaut hat, die das Stück etwas von seinem Counterpart mit Orchester unterscheiden.
Das auf dieser CD nachfolgende „Konzert für zwei Klaviere und Instrumente“, seinem Typus nach ein Kammerkonzert, entstand nur zwei Jahre nach dem Klavierauszug des frühen ersten Klavierkonzerts. Die musikalische Sprache des Komponisten hat sich hier schon deutlich gewandelt. Zwar ist das Stück noch kein „reinrassiger“ Serialismus, doch es ist eindeutig „auf dem Weg“ dorthin. Der dominierende, noch einigermaßen gemäßigt atonale Klavierpart für zwei Spieler wird mit „Farbtupfern“ anderer Instrumente „gewürzt“, so etwa mit außerordentlich effektvoll eingesetzten Harfen, einer Celesta, einem Vibraphon, einem Xylophon und einer kleinen Armee von Perkussionsinstrumenten. Auch hierbei handelt es sich um ein höchst faszinierendes Stück, dass aber beim ersten Anhören deutlich mehr begeistert, als bei weiteren Durchläufen. Bei diesem Konzert und auch beim folgenden Orchesterstück „Quadrivium“ (für vier Perkussionisten und vier Orchestergruppen), einem Maderna-Spätwerk aus dem Jahr 1969, wird klar, dass diese Musik aus heutiger Sicht doch „in die Jahre gekommen“ ist. Das ist im strengen Sinne keine „Neue Musik“ mehr.
Und so kann man konstatieren, dass auch die von uns zumeist ohne Bedenken als „Neue Musik“ titulierte Melange von Stücken aus dem 20. und 21. Jahrhundert so langsam an den Punkt kommt, wo man eigentlich mal wieder einen „Strich“ ziehen müsste. Maderna wäre dann bereits ein „Klassiker“ in der Musik der letzten 100 Jahre, und das hört man seinen Stücken auch an. Ich wage sogar zu behaupten, dass vor allem „Quadrivium“, eine der explizit serialistischen Kompositionen des Italieners, einen heute hier und da auch zum Schmunzeln anregen kann. Dies aber weniger wegen Madernas durchaus qualitätvollen Stücks, sondern eher wegen den Horden von Komponisten, die heute immer noch so komponieren, wie vor über 40 Jahren und das auch noch für „Neue Musik“ halten.
Zum Glück gibt es heute ja aber auch viel Zukunftsweisendes, sodass man die ewig Gestrigen einigermaßen aushalten kann.
Die CD ist in zwei separaten Aufnahmesessions entstanden: Das Klavierkonzert in der Orchesterfassung und „Quadrivium“ wurden live beim Festival „Verona contemporanea intersezioni“ mitgeschnitten, das Klavierkonzert in der Fassung für zwei Soloklaviere sowie das Konzert für zwei Klaviere und andere Instrumente wurden im Konzertsaal des Klavierherstellers Fazioli in Sacile mitgeschnitten. Aus zuletzt genannten Räumlichkeiten konnten wir neulich schon eine sehr schön aufgenommene CD-Produktion begrüßen. So auch diesmal. Die Live-Einspielungen klingen auch erfreulich gut, vor allem angesichts der Tatsache, dass manchen Tonmeistern bei Live-Mitschnitten oft der Finger zu lose auf der Geräuschunterdrückungstechnik liegt. Zwar hat man auf dieser CD ein paar lebhafte Eindrücke von hustenden Veronesern, doch der Gesamtklang bleibt schön natürlich, räumlich und vermag zudem mit einem samtigen Streicherklang zu entzücken (schade nur, dass auf diesem Album die Streicher so selten zu hören sind…).
Die tiefe Perkussion ist in nachbarschaftsschädigender Drastik aufgenommen worden, was dynamikbegeisterte Hörer wie ich sehr zu schätzen wissen. Die ein wenig mangelnde Feinauflösung der Aufnahme wird dann in letzter Hinsicht doch noch eine Reverenz an die Geräuschunterdrückung bei der Live-Aufnahmesession sein. Die klanglichen Unterschiede zwischen der Veroneser Session und den Aufnahmen aus Sacile sind nur gering, sodass man sagen kann: Die CD klingt trotz allem einigermaßen wie „aus einem Guss“.
Das Orchestra della Fondazione „Arena di Verona“ unter der Leitung von Carlo Miotto macht seine Sache mehr als gut; ich würde eher von „Spitzenleistung“ reden, angesichts so komplexer Partituren wie „Quadrivium“. Auch beide Pianisten (Aldo Orvieto und Fausto Bongelli) sind engagierte Sachwalter von Madernas Musik und haben es auch technisch „drauf“, diese überzeugend vorzutragen. Das Ensemble „Gruppo 40.6“ platziert die spärlichen „Plings“ und „Plongs“, die es von sich geben darf, ebenfalls gekonnt, sodass man auch für das Doppelkonzert nur Gutes berichten kann.
Fazit: Diese CD repräsentiert das erfreuliche Schließen einer Repertoirelücke, und zwar in bemerkenswert guter Qualität.
B. Maderna – Klavierkonzerte + “Quadrivium”
diverse Interpreten und Solisten
(2011) Naxos Katalog-Nr.: 8.572642 / EAN: 747313264278
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