Sich auf das eigene kulturelle Erbe rückzubesinnen, stand für das jüdische Volk, in der Diaspora ethnisch zertreut, immer auf der Tagesordnung.
An diesem Samstag, direkt vor den Feiertagen zum Passahfest, wurde das Abendprogramm am ‘92nd Street Y, von dem Violinvirtuosen Gil Shaham im Duett mit seiner Schwester, der ausgezeichneten Konzertpianistin Orly Shaham vorgestellt. Ihr Konzert galt diesem einen Zweck, sprich das jüdische Musikkulturerbe zu feiern und darüberhinaus in Gil Shahams eigenen Worten: “dieses Fest im 21. Jahrhundert zu verankern.” Charmant und lässig brachten beide Shahams das Wesentliche des Programms in Zusammenhang mit der Frage: was macht jüdische Musik jüdisch? Wie passt das durch und durch “jüdische” Musikthema des nicht-jüdischen Komponisten John Williams hinein, welches mit dem Soundtrack zu Spielbergs Film Schindler’s List verbunden ist? Das Begleitbroschüre des Gelehrten Eric Wen über den Zusammenhang von russisch-jüdischen Volksliedern und der jiddischen Sprache, erklärte gründlich, was Hannah Arie-Gaifman, Direktorin der Literatur- und Konzert- Programmgestaltung am ‘92nd Street Y’ wie folgt zusammenfasste: “Musik ist das Mark jüdischer Kultur, durch die starke Musikalität seiner Sprache…” Sie beschrieb das Programm als eines, das über die Bewahrung des Kulturerbes hinausgeht, und dieses vielmehr dank der zwei Kommissionsaufträge des ‘92nd Street Y’ an zwei junge jüdische Komponisten, Jonathan Leshnoff und Avner Dorman, fördern will. Die herausragende Umsetzung des Programms, mit größter Hingabe an den emotionalen Kontext dieser sich erhebenden Melodien dargebracht, liebevoll und mit einer Zärtlichkeit gespielt, wie sie selten auf diese Art ausgedrückt wird, hat das Publikum dabei tiefgreifend verwandelt. Als Empfänger eines ‘Avery Fisher Grants’ im Jahre 2008 hat Gil Shaham, der auf seinem eigenen Label Canary Classics aufnimmt, eine Bandbereite von international plazierten “Bestseller” Aufnahmen und erhielt mehrfach Grammys and Gramophone Editor’s choice Anerkennungen. Beide – Gil Shaham und Orly Shaham – haben, als ihre Wunderkindtalente offensichtlich wurden, Stipendien von der ‘America-Cultural Foundation’ erhalten. Orly wurde an der ‘Juilliard School’ Schülerin von Herbert Stessin, der gerade kürzlich verstorben ist und dem sie in der bei Julliard zirkulierten Zeitung einen bedeutsamen Nachruf gewidmet hat. Als Empfängerin des ‘Gilmore Young Artist’ Preises und des ‘Avery Fisher Career Grants’ kommuniziert sie mittels ihrer glänzenden musikalischen Fähigkeiten, konzertiert international und ist auch als eine Rundfunk-Veranstalterin und Musik Dozentin tätig. Sie lehrte ebenfalls Musikliteratur an der Columbia University und war als Gastkünstlerin in ‘Performance today’, einer Sendung des ‘National Public Radio’.
Die Kompositionen, die bei den ‘92 Y’ Konzerten vorgestellt wurden, umspannen mit Ausnahme von Ba’al Shem des in der Schweiz geborenen Ernest Bloch und zwei neuen Auftragsarbeiten eine Reihe von Werken vorwiegend russisch-jüdischer Komponisten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Eine dieser Kompositionen, Der Rebbe Tanz aus der Jiddischen Tanz-Suite für Violine und Piano wurde Gil Shaham von dem amerikanischen Komponisten Jonathan Leshnoff dargeboten, dem Gastkomponisten beim ‘Baltimore Chamber Orchestra’, der jüngst sich mit seinem Violin Concerto, das auf dem Naxos Label augezeichnet wurde, einen Namen gemacht hat. Niggunim, die Auftragsarbeit des ‘92 Y’ von dem israelischen Komponisten Avner Dorman wurde vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Es gab etwas erfrischend Neues an diesem Werk des israelischen Komponisten und dennoch, angesichts des an diesem Abend vorgegebenen Kontextes der Frage jüdischer Identität, schien es wie ein erfülltes Versprechen.
Aber komischerweise schien “das Komponieren jüdischer Musik” eine Sache zu sein, die Dorman am wenigsten im Kopf hatte, wie das jüngst von Allan Kozinn in der New York Times geführte Interview mit Dorman nahelegt, “…Sobald Herr Dorman seine Zweifel hinter sich gelassen hatte – dass das bewusste Schreiben jüdischer Musik ‘nicht genau das ist, was ich mache’ – bekam er die Idee für ein Stück, das …sich auf Elemente {einer Vielzahl von lokalen jüdischen Traditionen} beziehen würde… interessierte ich mich (dann) auch für Niggunim, dieser Idee einer universalen Melodie.’” Indem er versuchte, etwas über jüdische Identität auszudrücken, fand der junge israelische Komponist eindeutig seine eigene Sprache – wieder einmal. Die vielen verschiedenen Einflüsse, einschließlich, aber keineswegs auf diejenigen aus dem Nahen Osten beschränkt, finden ihren Weg zu neuem musikalischen Leben und fließen mit Gesten zusammen, die voll von Überraschungen sind. Das war bereits in seiner Komposition von “Spices” klar, das Zubin Mehta im Jahre 2005 im israelischen Fernsehen sah, und als eine ganze Partitur für eine Orchesterversion in Auftrag gab und im gleichen Jahr mit der ‘Israel Philharmonic’ uraufgeführt wurde. (Siehe auch meinen Artikel Avner Dormans Kompositionen: Märchen auf dem Schlagzeug
Dorman wurde von Orly Shaham, die sein Werk kannte, durch ihren Ehemann, dem Dirigenten Robertson, der die Auftragsarbeit vorschlug, angesprochen, worauf Kozinn aufmerksam macht: “Es musste Substanz haben,” sagte nach Abschluss der erfolgreichen Premiere am ‘92nd Street Y’ über Shahams Erwartungen. Und dieses Gefühl beschreibt sein Niggunim gut, ebenso gut wie das des ganzen Abends. Dorman, der mit Freude zugab, wenig Schlaf zu haben, seitdem er vor kurzem Vater geworden war, wurde von seinen Eltern zur ‘92nd Street Y’ Premiere begleitet und erhielt stehende Ovationen, während auf der Bühne an jeder Seite von ihm das Darstellerteam Bruder und Schwester Shaham stand.
“Das Niggun ist ein fundamentales Musik-Konzept traditioneller jüdischer Musik”, sagt Dorman…”gemäss der Habbad Literatur dient das Niggun als Universalsprache: es erhebt sich jenseits der Worte und vermittelt eine tiefere spirituelle Botschaft als Worte vermögen …” Welchen besseren Weg gibt es, das eigene Kulturerbe zu feiern, als ein Gespräch mit der Welt zu beginnen? Im besten Sinne seines hohen künstlerischen Niveaus hatte das Publikum am ‘92 Y’ an diesem Abend die Gelegenheit, dieser besonderen universalen Sprache zuzuhören, die mit musikalischer Schönkeit und Würde dargebracht wurde.
Schreibe den ersten Kommentar