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Signum Quartett — Quartettsätze

Für Freigeister und Weltumarmer

„Wer soll das eigentlich hören?“
Das war meine erste, nicht abwertend, sondern durchaus mit Hochachtung gemeinte Reaktion nach dem Genuss der hier vorgestellten, neuen CD der jungen Musikerinnen und Musiker des Signum Quartetts. Es gehört jedenfalls gehörige Chuzpe dazu, ein solch kunterbuntes CD-Programm auf den Markt zu werfen: Da trifft eine locker-flockige italienische Serenade des Spätromantikers Hugo Wolf auf ein Frühwerk Carl Orffs, und eine Gelegenheitskomposition des Opern-Schmachtfetzen-Komponisten Puccini paart sich mit expressiven Stücken von Charles Ives, Wolfgang Rihm und Anton Webern.
„Gewürzt“ wird das Ganze dann von wenigstens noch einem Stück, das weitere Bekanntheit erlangt hat, nämlich von dem Quartettsatz in c-moll, D 703 von Franz Schubert. Doch selbst der dürfte eher ausgewiesenen Schubertianern ein Begriff sein, als dem gemeinen Massenpublikum.

Es nötigt einem also durchaus einigen Respekt ab, dass sich sowohl das Signum-Quartett selbst, als auch dessen Label „capriccio“ an ein so disparates CD-Unterfangen herangewagt haben.
Doch nach dem Hören ist auch klar: Das Unterfangen ist großenteils durchaus ein Gewinn mit einigem Repertoirewert – und war ja auch eigentlich längst schon mal nötig. Einzeln stehende Quartettsätze haben es ja in der Publikums- (und Musiker-)Rezeption nicht gerade leicht. Sie werden oft „übersehen“, wenige wissen überhaupt, dass es sie gibt, und ein jeder möchte stets und ständig und vor allem viel lieber die große, ausgereifte Streichquartettliteratur hören. Und so bietet die neue, schlicht „Quartettsätze“ betitelte CD des Signum-Streichquartetts einmal die Möglichkeit, ein weit verbreitetes Vorurteil auf die Probe zu stellen: Ist es tatsächlich wahr, dass der für sich allein stehende Quartettsatz immer ein Gelegenheitswerk ist, eine flüchtig hinkomponierte Bagatellarbeit eines Komponisten, dem wahlweise diese eine, kleine Idee gerade im Hirn herumspukte oder der einfach dringend mal wieder schnelles Geld benötigte?

Die Antwort lautet – schlicht aber ergreifend: Mal so, mal so! Es wird wohl kaum jemand leugnen, dass die Italienische Serenade von Hugo Wolf oder das schwelgerische „Crisantemi“ von Giacomo Puccini zu den typischsten der typischen Gelegenheitsstücke gehören. Auch wird dem vergleichsweise jugendlichen, erstaunlich spätromantischen und von zig Wiederholungen durchsetzen Quartettsatz, op. 22 von Carl Orff kaum jemand Meisterwerkstatus andichten wollen. Doch mit dem „Scherzo“ von Charles Ives wendet sich das Blatt. Da horcht man dann plötzlich auf, obwohl das selten zu hörende Stück nur eine Spielzeit von gerade einmal eineinhalb Minuten aufweist. Doch mehr als nur „Gelegenheit“?
Weiter geht’s mit dem Quartettsatz aus dem Jahr 1993 von Wolfgang Rihm, der sich gar als fundamentales Meistertück erweist. Selten habe ich ein überzeugenderes und auch deswegen so gewichtiges Stück für Streichquartett aus den letzten Jahrzehnten gehört. Und auch die abschließenden Stücke von Franz Schubert und der „Langsame Satz“ von Anton Webern sind alles andere als leichte Kost, sondern vielmehr große Kunst, die auch nach einem in mancherlei Hinsicht aufmerksamen Publikum verlangt.

Und so stellt sich die Programmübersicht abschließend erneut die Frage, wer das alles eigentlich hören soll. Ob es wirklich Leute gibt, die das gesamte Programm der CD gleich „schön“ finden? Ich wage das zu bezweifeln. Denn während mich die schmalzigen Nummern zu CD-Beginn ziemlich abschrecken, wird es andere geben, die spätestens bei dem vertrackten Stück von Wolfgang Rihm die Schotten dicht machen. Bei mir dagegen gehen sie da erst richtig auf…

Wie dem auch sei: Das Signum-Quartett spielt alles auf dieser CD einfach wunderbar. Mit unglaublicher Präzision, einer rhythmischen Versiertheit und Eingespieltheit, die Ihresgleichen suchen, liefert die junge Kammermusikformation ein weiteres Mal eine sehr beeindruckende, wenngleich dieses mal programmatisch etwas verwirrende, akustische Visitenkarte ab.
Wenn etwas an der CD enttäuscht, so ist das der Aufnahmeklang, der zwar als „ordentlich“ durchgeht, aber im engeren Sinne nicht entfernt an den Grad von Dynamik, natürlicher Wiedergabe und vor allem Auflösung heranreicht, wie ihn andere Kammermusikaufnahmen der jüngeren Vergangenheit zu vermitteln wussten. Das schockt ein bisschen, ist doch diese Aufnahme eine Co-Produktion mit dem Deutschlandfunk. Und von dieser Adresse gibt es sonst in aller Regel nur bestes „Klang-Futter“ für die HiFi-Anlage. Diese CD ist „nur“ gut aufgenommen und bewegt sich akustisch eher im oberen Mittelfeld der Streichquartettaufnahmen der letzten Jahre.

Fazit: Eine CD entweder für Freigeister oder kompromisslose Weltumarmer!? Naja, jedenfalls muss man ein breites musikalisches Toleranzspektrum mitbringen, um diese hier vorgelegte, etwas wild erscheinende Mischung von leicht bis schwer, von alt bis jung, von schmalzig bis sperrig eine gute CD-Stunde lang mit gleichbleibendem Genuss anhören zu können. Das Signum Quartett erweist sich hier aber erneut als ein Ausnahmeensemble, von dem wir im doppelten Sinne hoffentlich noch viel hören werden. Der Sound ist (leider) nicht besser als „Normalqualität“. Vor allem das ist etwas schade.

Quartettsätze

Signum Quartett

Katalog-Nr.: C5064 / EAN: 845221050645

(2012)
capriccio
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Published inThe-Listener

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