Faszinierend! Idil Biret und Robert Schumann – zwei Ausnahmepersönlichkeiten im musikalischen Zwiegespräch
Seit langem gilt die türkischstämmige Pianistin Idil Biret als eine der fleißigsten und im positiven Sinne „unerschrockensten“ Pianistinnen der internationalen Klassik-Szene. Sie, die einst noch unter Nadia Boulanger, Alfred Cortot und Wilhelm Kempff studierte, könnte es sich eigentlich mit einer Handvoll Standardrepertoire auf den Konzertpodien dieser Welt gemütlich machen. Noch immer gibt sie Konzerte mit den größten Orchestern, mit den größten Dirigenten. Doch Idil Biret gibt sich damit einfach nicht zufrieden.
Deshalb rief sie vor einigen Jahren ihr eigenes CD-Label ins Leben. Hinter dem Kürzel „IBA“ verbirgt sich das „Idil Biret-Archiv“. Dort veröffentlicht sie sowohl die Klassiker ihrer Aufnahmekarriere (zum Beispiel die legendären alten EMI-Einspielungen ihrer Aufnahmen der Liszt-Klaviertranskriptionen von Beethovens neun Sinfonien), aber auch brandneue Einspielungen, die sie häufig live und ungeschönt mitschneiden lässt.
Im Juli erscheint nun eine Neueinspielung, die Biret erst im Januar dieses Jahres in Ankara aufzeichnen ließ. Dabei handelt es sich um hoch virtuose Frühwerke Robert Schumanns.
Jeder, der schon einmal Schumanns zweite Klaviersonate, op. 22 oder dessen aufsehenerregende Fantasie, op. 17 gehört hat, weiß, dass diese Stücke nichts für Möchtegern-Virtuosen sind. Sie verlangen nicht nur kompromiss- und makellose Technik. Sie können in den Händen von emotionslosen Flitzefingern auch einfach grässlich klingen – nämlich immer dann, wenn der/die ausführende Pianist/in die empathische Seite des Vortrags der technischen Seite der Interpretation nicht gleichwertig an die Seite stellt.
Schumann ist oft hoch virtuos – keine Frage -, doch Schumann ist auch Romantiker – und zwar einer der hingebungsvollsten! Und da nutzt es einfach nichts, wenn auf einer CD ein Pianist spielen kann wie eine Nähmaschine, dafür aber den emotionalen Gehalt der Musik links liegen lässt.
Es ist also allem voran die Notwendigkeit zur unbedingten Ausgewogenheit des Vortrags, die Schumanns Klavierwerk so schwierig macht.
Idil Biret ist eine sehr leidenschaftliche Pianistin. Nicht umsonst ist sie vor allem als Chopin-Interpretin zu Ruhm und Ehren gekommen, doch zudem verfügt sie über eine stupende Technik. Bei ihr sind die Voraussetzungen für einen gelungenen Schumann-Vortrag also absolut gegeben.
Die CD beginnt mit den populären Abegg-Variationen, Schumanns Opus 1 aus dem Jahr 1831, die von Biret mit beinahe ungeduldig wirkendem Vorwärtsdrang interpretiert werden. Das ist schon bei der Vorstellung des Themas spannend und innovativ: Während die Walzermelodie in der rechten Hand beinahe behaglich-volkstümlich alle Zeit der Welt zu haben scheint, „drängelt“ die linke Hand im Bass und scheint es eilig zu haben, zur ersten Variation zu kommen. Es sind diese dezidiert ausgearbeiteten, teilweise nachgerade amüsant zu hörenden „Kleinigkeiten“, die von Beginn an zeigen, dass Idil Biret ihren Vortrag genauestens ausgearbeitet und konzeptioniert hat. Hier ist jeder Ton an seinem Platz, hat jede Phrasierung ihren Sinn.
Die Klaviersonate Nr. 2 erfährt eine ebenso hingebungsvolle Darbietung, doch werden eingefleischte Schumann-Fans bei Birets Deutung dieses leidenschaftlichen Stücks vielleicht doch Anlass zu Diskussionen haben, denn Biret nimmt alle Sätze in verhältnismäßig zurückgenommenem Tempo. So dauert bei ihr der erste Satz – von Schumann als „So rasch wie möglich“ tituliert – etwa sieben Minuten, was immerhin fast zwei Minuten länger ist, als bei manch anderer renommierter Einspielung.
Das Highlight der hier vorliegenden Neuerscheinung ist in meinen Augen die Fantasie, op. 17, die nicht nur – wie sich immer wieder zeigt – ein einfach sensationelles Stück Klaviermusik ist, sondern von Biret auch besonders überzeugend dargeboten wird. Ihr kraftstrotzendes, selbstbewusstes Spiel ist bei diesem Stück besonders atemberaubend. Man achte zum Beispiel im zweiten Satz „Mäßig. Durchaus energisch“ auf die grandiose Pedalarbeit der Pianistin. Das ist schlicht großartig!
Zudem ist Opus 17 ein Stück, bei dem viele Pianisten an der Phrasierung scheitern, sodass die Fantasie gelegentlich zum reinen Virtuosen-Schaustück ohne melodischen Inhalt verkommt. Nicht so bei Biret. Allerdings stößt auch eine Grande Dame wie sie in Sachen Technik hier zuweilen hörbar an Grenzen – was einen zumindest überraschen kann.
Den kurzweiligen Abschluss dieser ingesamt sehr gelungenen CD bildet die nicht oft auf Tonträger zu hörende C-Dur-Toccata, op. 7. Noch einmal glänzt die Pianistin mit ihrer Technik, noch einmal wird erlebbar, wie sie zusätzlich feinste Dynamik-Nuancen hörbar werden lässt, die viele andere Pianisten bei diesem kraftvollen Stück oft genug mit Missachtung strafen.
Der Aufnahmeklang der CD ist sehr gut, wirkt vor allem richtiggehend kraftstrotzend und sonor. Ein Manko des Klangs ist jedoch die fehlende Brillanz in den Höhen, die auch zulasten der Räumlichkeit geht. Und das ist vor allem deswegen besonders schade, weil der Hall für diese Klaviermusikaufnahme kaum optimaler sein könnte.
Fazit: Eine höchst gelungene neue Schumann-CD mit hoch virtuoser Klaviermusik in sehr empathischen Wiedergaben. Die minimalen Schwächen der Aufnahme werden durch den faszinierenden Personalstil der Interpretin mehr als wettgemacht. Idil Biret ist nicht irgendjemand in der Pianisten-Szene – sie ist noch eine echte Persönlichkeit und traut sich, ihren ureigenen Stil voll und ganz auszuleben. Allein das ist es schon wert, dass man vor CD-Aufnahmen wie diesen den Hut zieht!
R. Schumann – Abegg-Variationen / Sonate Nr. 2, op. 22 / Fantasie, op. 17 / Toccata, op. 7
Idil Biret
(2012) IBA / Naxos Katalog-Nr.: 8.571291 / EAN: 747313129171
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