“Grand Piano” veröffentlicht die zweite CD in seinem ambitionierten Zyklus der Klaviermusik Joachim Raffs
Nachdem wir über die eindrucksvolle Weiterverfolgung des Klavierwerks von Mieczysław Weinberg durch das brandneue Klaviermusiklabel „Grand Piano“ bereits berichtet hatten (Rezension siehe hier), geht nun auch die Edition der Klaviermusik Joachim Raffs in die zweite Runde (über die erste CD dieser Serie kann man an dieser Stelle etwas mehr lesen).
Während der Weinberg-Zyklus mit einer beeindruckenden Steigerung aufwarten konnte, fällt der Raff-Zyklus mit dem vorliegenden zweiten Teil der Reihe leider eher etwas ab. Das liegt sowohl an den vorgestellten Stücken selbst, als auch an Interpretation und Aufnahmeklang.
Doch fangen wir mal vorne an: Der Komponist Joachim Raff, der in der Schweiz geboren wurde, war über einige Jahre der persönliche Assistent Franz Liszts. Etwas später wollte Raff dann bei Felix Mendelssohn Bartholdy studieren, jedoch verstarb Mendelssohn bevor Raff seine Ausbildung antreten konnte. Er kehrte sodann zurück in den Weimarer Dunstkreis um Franz Liszt, veröffentlichte jedoch 1854 ein skandalträchtiges Buch mit dem vielsagenden Titel „Die Wagnerfrage“, was seine endgültige Loslösung von Franz Liszt markierte. Im gleichen Jahr schrieb der Komponist eine erste Sinfonie, die in ganz Europa so erfolgreich wurde, dass sie Raff endlich den Durchbruch brachte. Von nun an war der Romantiker ein europaweit geschätzter Komponist, der jedoch bis heute vor allem als Sinfoniker in Erinnerung geblieben ist.
Das ist insofern erstaunlich, als dass Raff auch ein immens reiches Klaviermusikœuvre und auch einiges an Kammermusik geschrieben hat. Raffs quantitativ enorm großer Werkkatalog von Klaviermusik umfasst über 110 vollendete Einzelstücke und Werkzyklen, und man fragt sich erstaunt, ob das „Grand Piano“-Label diese Masse an relativ unbekannter Klaviermusik tatsächlich komplett angehen will oder ob der Zyklus Stückwerk bleiben wird.
Die vorliegende, zweite CD in der Reihe stellt erst einmal nur drei Werke vor, nämlich die Fantasie-Sonate, op. 168 (1871), die Variationen über ein Originalthema, op. 179 (1873) und die Vier Klavierstücke, op. 196 (1875). Sie alle zählen zu Raffs reifem Spätwerk.
Es ist ganz beeindruckend, wie wenig Liszt-Einfluss sich in dieser Musik widerspiegelt (von allgegenwärtiger, quirliger Virtuosität einmal abgesehen). Raffs Klaviermusik folgt einem ganz eigenartigen, damit aber auch eigenständigen Schema. Die Melodien sind typisch Raff und bilden einen eigenen Mikrokosmos, den man eigentlich fast nicht mit irgendeinem Zeitgenossen des gebürtigen Schweizers vergleichen kann.
Von den drei vorgestellten Stücken können mich persönlich lediglich die Variationen über ein Originalthema, op. 179 wirklich beeindrucken.
Eher farb- und gesichtslos hingegen sind die anderen beiden, die einen zwar auf den ersten Blick aufhorchen lassen – eben wegen der schillernden Virtuosität, die hier gefragt ist – aber auf den zweiten spüren lassen, dass diese Musik im Vergleich zu anderen Komponisten der Zeit und auch im Vergleich zu anderen Stücken Joachim Raffs ziemlich substanzarm ist.
Tra Nguyen, die britisch-vietnamesische Pianistin, die schon den ersten Teil dieses ambitionierten Zyklus eingespielt hat, hatte zumindest bei der Einspielung der Fantasie-Sonate, op. 168 nicht ihren besten Tag. Die flinken Läufe und flirrenden Arpeggien gelingen ihr bereits im ersten Satz „Allegro patetico“ nicht immer sicher, was sich durch die ganze Aufnahme des Opus 168 hindurch fortsetzt. Die Variationen, op. 179 (die nicht weniger virtuos komponiert sind) werden von ihr hingegen mit Bravour bewältigt, zudem gelingt es Nguyen hierbei auch, echte Stimmung zu erzeugen. Vielleicht hat ihr dieses Stück einfach besonders Spaß gemacht.
Auch die etüdenhaften Vier Klavierstücke, op. 196 sind ohne Fehl und Tadel eingespielt. Hier fehlt es mir jedoch an dynamischer Differenzierung, was eine generelle Schwäche Nguyens zu sein scheint. Die Musik Raffs gäbe in dem Punkt jedenfalls wohl mehr her.
Den Aufnahmeklang kann man keineswegs als schlecht bezeichnen, jedoch weiß auch er nicht vollauf zu überzeugen. Das Klavier ist vergleichsweise „distanziert“ aufgenommen worden, als erfolgte die Mikrofonabnahme nicht (wie üblich) im Schallraum des Konzertflügels, sondern im Zuge einer Raumklangabnahme. Tonmeister Michael Ponder – ein eigentlich sehr versierter Toningenieur, der unter anderem für hochkarätige Labels wie Epoch, Onyx classics (ein Nachfolgelabel von DECCA) und Champs Hill Records (die ich bereits vielfach wegen ihrer hervorragend klingenden CDs gelobt hatte) tätig ist – hatte bei dieser CD wohl auch nicht seinen allerbesten Tag.
Allerdings beschränkt sich das Manko einzig auf die Räumlichkeit der Aufnahme, alles andere (Auflösung, Natürlichkeit des Klangbilds usw. sind schon top).
Fazit: Für Raff-Sammler so oder so ein Muss, ist dies eine CD, bei der sich „normale“ Klassik-Hörer erst einmal einhören sollten, bevor sie einen Kauf erwägen.
J. Raff – Klavierwerke Vol. 2
Tra Nguyen
(2012) Grand Piano Katalog-Nr.: GP612 / EAN: 747313961221
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