Das neue Klaviermusiklabel “Grand Piano” im Porträt
Wie würde man wohl ein neues Label nennen, das sich die Aufgabe gestellt hat, seine Hörer ausschließlich mit Klaviermusik zu versorgen? Und wie würde man ein Label nennen, dass diese Aufgabe nicht darin begreift, die einmillionste Gesamtedition von Beethoven-Klaviersonaten auf den Markt zu werfen, sondern stattdessen mutig Gesamteditionen des Klavierwerks von so unterschiedlichen Komponisten wie Camille Saint-Saëns, Erwin Schulhoff, Mieczysław Weinberg und Joachim Raff angeht?
Wie würde man ein solches Label nennen, bei dem das Klavier und die für es geschriebene Musik mehr im Mittelpunkt stehen, als irgendwo sonst?
Die Macher des neuen Klassik-Labels, von dem hier die Rede sein soll, haben sich ohne Zweifel für den richtigen Namen entschieden: „Grand Piano“!
Diese beiden Worte sind nicht nur der englische Begriff für einen großen Konzertflügel, nein, sie transportieren auch eine Message: Hier stehen Instrument und Werk im Vordergrund. Hier wird „Piano“ eben groß geschrieben!
Mit den ersten vier CDs des Grand Piano-Labels, die im März 2012 das Licht eines immer stärker umkämpften Klassikmarkts erblicken, haben wir also noch eine Firma mehr, die in den Ring steigt.
Musste das sein? Wozu noch ein Label? Wer soll das alles eigentlich kaufen?
Solche Fragen sind meines Erachtens immer berechtigt, doch im Unterschied zu vielen Mitbewerbern aus jüngerer Zeit, haben die Macher von Grand Piano zwei Asse im Ärmel, die überzeugen.
Erstens: Sie haben ein auf den ersten Blick erfassbares und unmissverständliches Konzept. Es wird sofort klar, was das Label bietet und was es „will“. Das ist schon einmal mehr, als das Gros anderer neuer Klassiklabel aufweisen kann.
Zweitens: Hier hatte jemand eine Vision und zieht die nun ohne Kompromisse durch. Hier geht es nicht um das noch Satter-machen eines eh schon übersättigten Markts. Hier geht es um das (wieder) hungrig machen auf Neues und Unerhörtes.
Und so finden sich im Startpackage von Grand Piano, bestehend aus den vier CDs, die auch im Rahmen dieser Besprechung zu sehen sind, nicht weniger als zwei CDs mit Weltersteinspielungen.
Des Weiteren bestehen alle vier Start-CDs nicht eben aus solchem Repertoire, das gemeinhin als „Crowdpleaser“ gehandelt wird. Wohin man auch schaut: Was hier auf den ersten vier „Grand Piano“-CDs ans Tageslicht kommt, ist Musik für Menschen, die es ernst nehmen mit dem Musikinteresse. Ob es sich um die halsbrecherischen Etüden von Camille Saint-Saëns handelt oder um die schwermütig-verschlossene Tonsprache Mieczysław Weinbergs – all das ist eigentlich verdammt „harter Tobak“, der uns Hörern gleich zum Labelstart vorgesetzt wird.
Aber auf diese Weise präsentiert sich Grand Piano von Beginn an, als ein Label, das man Ernst nehmen kann und wohl auch sollte. Obgleich das Start-Repertoire auf den ersten Blick sperrig erscheint, ist doch unzweifelhaft, dass die dargebotenen Stücke zum Teil zum Allerfeinsten gehören, was die Klaviermusik des 20. Jahrhunderts hergibt (Saint Saëns hingegen kann mich mit seinen mit der vordergründigen Grandezza des 19. Jahrhunderts geladenen Etüden, die letzten Endes doch nur Eines sind – nämlich hölzern und verknöchert – gar nicht vom Hocker reißen).
Gerade das Klavierwerk von Schulhoff und Weinberg hat seine Renaissance auf Tonträger schon längst einmal verdient gehabt. Zählen beide doch zu den ganz Großen, aber tragischerweise auch zu den viel zu wenig Gewürdigten des 20. Jahrhunderts. Auch die hier vorgelegte erste CD eines beginnenden Zyklus mit Klavierkompositionen des Schweizers Joachim Raff, der ein Liszt- und Brahms-Zeitgenosse war – aber aus dieser Tradition heraus eine ziemlich ungewöhnliche, eigene Tonsprache für sich entdeckte – erweist sich als lohnende Entdeckung, welche die Neugier auf das Gesamtwerk dieses ebenfalls nicht gerade populären Vertreters der Hochromantik nachhaltig weckt.
Das solide Gesamtkonzept setzt sich auch in puncto Interpretationsgüte fort. Mit Caroline Weichert, Tra Nguyen, Allison Brewster Franzetti und Geoffrey Burleson sind hier durch die Bank äußerst versierte Könner am Werk, deren Werkdeutungen und technische Fähigkeiten Kenner ein ums andere Mal mit der Zunge schnalzen lassen.
Auch hier gilt das Motto: Prominent gibt’s woanders – hier gibt’s gute, unaufdringliche Qualitätsarbeit.
Vielleicht ist es eben das, was am Gesamtauftritt von Grand Piano besonders überzeugt: Der schlichte Eindruck, dass man einfach gute Qualität für’s Geld bekommt.
Nicht nur das Konzept des Labels, sondern auch seine vorgelegten Aufnahmen erscheinen von Beginn an ausgereift. Das ist doch mal eine Erwähnung wert.
Solide ist im Übrigen auch der Sound der CDs. In dem Punkt gibt es nicht viel zu meckern. Zwar offenbart Grand Piano nicht unbedingt hochtrabende HiFi-Ambitionen – dazu sind andere audiophile Labels Grand Piano dann doch noch um Einiges voraus -, doch man beweist, dass die Label-Macher das Bewusstsein dafür mitbringen, dass zu einer erstklassigen Werkedition in hochklassiger Lesart eben auch ein adäquater Sound gehört, der Liebhabern gerecht werden kann.
Aus meiner persönlichen Sicht würde ich mir von Grand Piano zukünftig übrigens SACDs wünschen, wie sie bei vielen hochkarätigen Klassiklabels, wie etwa cpo, Alia Vox, ALBA, Tudor, Divox, Channel classics, pentatone oder Harmonia mundi längst (buchstäblich) zum guten Ton gehören. Das würde den Wert dieser hochrangigen Editionen noch mehr steigern und wäre gerade für die Liebhaber und HiFi-Freaks unter uns einmal mehr ein gewichtiger Grund, um zur gepflegten Grand Piano-Veröffentlichung zu greifen.
Zuguterletzt sei noch erwähnt, dass die Tonträger des neuen Labels in Deutschland über die bewährten Vertriebskanäle von Naxos erhältlich sein werden. Damit ist eine allgemeine Verfügbarkeit sichergestellt.
Wir von www.the-listener.de sind für’s Erste mächtig beeindruckt und werden mal sehen, wie es weitergeht. Der prächtige Start lässt im Prinzip nur zwei Optionen zu: Entweder es geht genau so weiter, und Grand Piano wird das hohe Niveau seiner vier starken Start-Releases halten können oder alles erweist sich als eine große Gaslaterne, bei der vier Top-Einspielungen vorgeschickt wurden, um diesen minderwertigere Billigproduktionen folgen lassen zu können.
Wie dem auch sei: www.the-listener.de hört sich das mal an und wird darüber schreiben. Für den Anfang: Hut ab! Wer auch immer sich ernsthaft mit Klaviermusik beschäftigt, sollte Grand Piano einen ausgedehnten Testlauf im heimischen CD-Player zugestehen.
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