Musikalisches “Meeting” der ungewöhnlicheren Sorte
Zu Beginn dieser Besprechung möchte ich das Nachschlagewerk MGG (Musik in Geschichte und Gegenwart) zitieren. Dort steht in Band 9 des Sachteils: „Als ͑ūd (…) wird die arabische Kurzhalslaute mit Schalenkorpus bezeichnet. Wie kein anderes Musikinstrument ist sie in Theorie und Praxis mit der Musik des arabisch-islamischen Einflußbereichs verbunden.“
Durch diese beiden Sätze wird deutlich, wie spannend es ist, was auf der hier vorgestellten CD versucht wird: Es geht hier um nicht weniger als die Verquickung zweier Kulturräume; der europäischen und der arabischen Welt — oder anders ausgedrückt: Um ein Aufeinandertreffen von „Abendland“, repräsentiert durch die Laute und „Morgenland“, verkörpert durch den ͑ūd. Akustische Vermittler und Ideenträger dieses Experiments sind der Lautenist August Denhard und der ͑ūd-Virtuose Münir Nurettin Beken.
Die CD „A Meeting Place“ geht zum einen der Frage nach, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten die beiden Zupfinstrumente verbinden bzw. voneinander trennen. Zum anderen geht das Programm dieser Neuveröffentlichung jedoch noch darüber hinaus: Es hinterfragt nämlich auch, ob das, was wir heute als „clash of the cultures“ empfinden, in Mittelalter und Renaissance nicht eher „an der Tagesordnung“ war. Nicht zuletzt durch Pilgerreisen ins „Heilige Land“ und die Kreuzzüge waren doch eine ganze Reihe von Europäern — darunter sicher auch viele Musiker — mit „morgenländischen“ Klängen in Kontakt gekommen. Die Frage ist, ob sich dies im Umkehrschluss dann auch auf die europäische „Szene“ dieser Zeit übertrug.
Eine aussagekräftige Abbildung im Booklet der CD zeigt eine Buchmalerei aus dem 13. Jahrhundert. In ihr ist dargestellt, wie ein arabisch aussehender Musiker und ein Musiker offenbar europäischer Provenienz gemeinsam Laute spielen. Sie stammt aus einem spanischen Buch, just aus der Zeit, als Teile Andalusiens in arabischer Hand waren. War es zum Beispiel dort möglicherweise tatsächlich „gang und gäbe“, dass Musiker aus unterschiedlichen Kulturkreisen in dieser Art aufeinandertrafen und miteinander musizierten?
Nur zu gern würde man das glauben beim Blick auf diesen wunderbaren Bildfund und natürlich erst recht als Hörer dieser Neuveröffentlichung des Labels Sono Luminus. Im Endeffekt sollte man aber „auf dem Teppich“ bleiben. Für denjenigen, der tiefer in die Lautenmusik Europas eintaucht, sind Querbezüge zu arabischen Klangwelten höchstens vereinzelt mal feststellbar. Versuche, wie sie hier unternommen werden (oder auch ähnlich gelagerte Unternehmungen, bei denen selbst Barockkomponisten wie Vivaldi oder Boccherini noch in die Nähe „maurischer“ oder sonstwie exquisit-exotisch gelagerter Einflussspähren gerückt werden) bringen einen nicht unerheblichen Grad der Künstlichkeit mit sich.
So kann ich mir beispielsweise beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine urenglische Weise wie „Greensleeves“ (die zudem schriftlich erst seit ca. 1580 nachweisbar ist) jemals vor Aufnahme dieser CD in einer ͑ūd-/Lauten-Kombi mit arabisch klingenden Verzierungen aufgeführt wurde. Erst recht nicht kann ich mir vorstellen, dass dies einstmals sogar verbreitet geschehen sein soll.
In diesem Kontext gesehen, fällt einem dann im weiteren Verlauf des Programms der CD noch einiges mehr auf, was stutzig macht. So ist doch zumindest anzweifelbar, dass Guillaume de Machaut, ein Komponist des 14. Jahrhunderts, der sich bevorzugt in Reims und Luxemburg herumgetrieben hat und gelinde gesagt als „kirchennah“ klassifiziert werden muss, zu seinen Lebzeiten jemals eines seiner Stücke in einer Interpretation mit ͑ūd gehört hat.
Dennoch ist das, was August Denhard (der sich auch als Musikhistoriker auf dem Gebiet der Geschichte der Laute einige Meriten verdient hat) und Münir Nurettin Beken hier auf die Beine stellen, natürlich eine wahnsinnig spannende Sache! Ein „Meeting“ von Laute und ͑ūd dürfte ― soweit mir das bekannt ist — in dieser Stringenz auf CD bislang noch nicht vorgekommen sein. Wer mit den oben erwähnten musikhistorischen Unstimmigkeiten kein Problem hat und die CD stattdessen einfach als musikalisches Experiment der Gegenwart betrachtet, kann mit dieser Veröffentlichung viel Freude haben. Es spricht übrigens viel dafür, das auch Denhard und Beken ihr Unternehmen als wohlkalkuliertes Klangexperiment verstehen und weniger als musikhistorische Nachhilfestunde, denn auf ihrer CD ist auch ein Stück des Komponisten Buselik Saz Semaisi aus dem Jahr 1972 vertreten, das dieser als moderne Bearbeitung einer alten traditionellen Melodie konzipiert hatte. Und so etwas holt man sich ja nicht auf das Album, wenn man wirklich eine reinrassige und „authentische“ Wiedergabe von Musik des Mittelalters und der Renaissance im Sinn hat (sofern das denn überhaupt möglich ist).
Wie dem auch sei: Die CD bietet wunderschöne Musik, die in dieser Form wohl bisher noch nicht eingespielt worden ist. Auch hat man hier die nicht eben häufige Gelegenheit den akustischen Eindruck eines ͑ūd zu erhaschen.
Als „Sahnehäubchen“ ist die Aufnahme auch noch sehr gut abgemischt worden. Sono Luminus versteht sich ja als Hifi-Label und wird seinem selbst gesteckten Ziel mit dieser Einspielung auch voll gerecht. Gewisse, typisch amerikanische, Unsitten wie ein etwas zu halliger Sound und eine leicht künstlich anmutende Anhebung der Mitten, sind zwar auch bei dieser CD auszumachen; trotzdem ist das ein Mix, der auch anspruchsvollste Hifi-Fans zufrieden stellen kann. Da sich beide Solisten bei den schwungvollen Stücken nicht zurückhalten und die Wiedergabe mit einem Höchstmaß an Dynamik eingefangen wurde, könnte diese Scheibe so manchem Hochtöner das Fürchten lehren. Der glänzend eingefangene Hochfrequenzbereich dieser CD ermöglicht glasklare Wiedergaben — wenn der Verstärker es hinbekommt, das aufzulösen und wenn die Box nicht beim Versuch der Wiedergabe zusammenklappt. Auch die akustische Ortung der Musiker ist sehr schön realisiert worden. Laute und ͑ūd wechseln von Stück zu Stück die Seiten („e“, nicht „a“), wobei es den Anschein hat, dass der Solist mit der Hauptstimme stets auf die linke Seite gemischt wurde und der Solist, der eher für die Begleitstimme oder die Verzierungen zuständig ist, auf die rechte Seite.
Ich finde, das ist klanglich wirklich durchdacht realisiert worden. Doch es sei noch einmal betont: Durch die beängstigenden Hochfrequenzattacken, zu denen schnarrende und schnalzende Lautensaiten offenbar in der Lage sind, ist beim Einpegeln Vorsicht angebracht: Diese Aufnahme kann sonst zum „Boxenkiller“ werden.
Alles in allem bleibt mir abschließend nur noch übrig, eine Kaufempfehlung auszusprechen. Zwar ist „A Meeting Place“ eher eine „Gelegenheits-CD“, aber eine sehr sehr schöne! Alte Musik-Puristen, die nach „Wahrheit“ suchen, sollten allerdings versuchen, anderswo fündig zu werden; denn weiter weg von der musikhistorischen Realität als diese CD, kann man wahrscheinlich kaum kommen.
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