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Erno Kallai – Geigenspielen in der alten Tradition

Erno Kallai und Itzhak Perlman

Der ungarische Violinist Erno Kallai hat als Schüler des legendären Violinisten Itzhak Perlman bei ‘Julliard’ sicherlich eine schwere Aufgabe in dessen Fußstapfen zu treten. Bei dem Meister zu studieren rückt Kallai in den Mittelpunkt einer andauernden Tradition, die Generationen emminenter Violinisten inspirierte – Meister die große Persönlichkeiten waren. Als ich vor dem Eingang zu seinem Studio im fünften Stock der ‘Julliard School’ darauf warte, Perlman zu treffen, ertappe ich mich dabei darüber nachzudenken, dass dies einschüchternd für jeden jungen Violinisten sein könnte, selbst dann, wenn es, wie im Falle von Kallai, einen Traum offenbart, der wahrgeworden ist.

Das Unterrichtsstudio mit Blick über seinen eigenen kosmischen, klassischen Musikbezirk rund um das Lincoln Center, gehörte einst Dorothy DeLay, die Generationen begabter Violinisten unterrichtet hatte, die aus aller Welt zu ihr kamen, einschließlich von Perlman selbst seit seinem 13. Lebensjahr. Die große Dame und Pädagogin, die als Assistentin bei Ivan Galamian begonnen hatte, eine anscheinend immens verehrte, wenn nicht sogar gefürchtete Autorität der Violine, brachte fortwährend eine Liste von Studenten hervor, die sich wie das ‘Who’s Who’ der oberen Ränge der Violinen Prominenz las. (Ihr Vermächtnis wird sehr gut in Barbara Lourie Sands “Teaching Genius” beschrieben.)

Bezeichnenderweise gelang es ihr, jeden einzigartigen Stil, jede Individualität und spezifisches musikalisches Ich eines Studenten intakt zu lassen. Es gab keine Fließbandproduktion von seelenlosen Getreuen einer bestimmten Methode. Viele liebe- und humorvolle Ehrerweisungen, die sich von “ihren Wunderkindern” auf ihre Eigenheiten bezogen, halten dieser großartigen, treibenden Kraft zugute, ihre Erfolge angeregt zu haben und zollen Anerkennung für ihre Gabe sie zu unterstützen und vor allem darin zu bestärken, unabhängig funktionierende Musiker und Menschen zu werden.

Herr Perlman, der ihr Assistent wurde, bevor er später selbst ihr Studio weiterleitete, eignete sich ihren erfolgreichen pädagogischen Ansatz an. Laut Schilderungen und meinen eigenen Eindrücken von Herrn Perlmans innerer Einstellung dem Unterrichten gegenüber und seiner eingehenden und persönlichen Beschäftigung mit den Studenten, scheint es für die ehrgeizigen Violinisten kein besseres Zuhause fern von zuhause zu geben. Diese zugetanen Musiker sind, und das ist genau so wichtig, wahre Menschen und die Herangehensweise muss flexibel und persönlich bleiben. Perlman meint: “Studenten wie Lehrer gibt es in verschiedenen Kategorien. Ich selbst war ein anderer Student bei Galamian; ich war so eingeschüchtert, dass ich kritiklos jede Anweisung befolgte. Ich rebellierte nicht oder ignorierte seine Ratschläge; ich akzeptierte einfach nur alles, ohne es zu analysieren. Bei DeLay gab es hilfreiche Anregungen und individualistisches Denken. Das ist die Art von Unterricht, an die ich mich zu halten suche – obwohl ich auch viel von Galamians autoritativem Ansatz gelernt habe – und Erno ist die Art von Student, die ich bei DeLay war,” erläutert Perlman. “Wir haben viele gute Diskussionen; es gibt immer Anregungen und Möglichkeiten, musikalisch gesehen. Erno weiß, was er macht. Man schaue nur auf seine Hände und man weiß, dass er sein Instrument versteht.”

Perlman war immer Kallais Idol. Er begann im Alter von zwei Jahren auf der Spielzeuggeige zu spielen und wuchs sein ganzes Leben von Musik umgeben, auf. Nie stellte sich die Frage, etwas anderes als ein Violinist zu werden.

In Budapest geboren und aufgewachsen, als Sohn eines Violinisten der sich auf Zigeunermusik spezialisiert hatte, sah Kallai eine Werbeanzeige für das ‘Perlman Music Program’ auf Long Island. Dieses Programm gab es seit 1993 und war dank der Intiative von Toby Perlman (selber eine ehemalige Studentin von Delay) gegründet worden, um ein Ferienlager für vielversprechende 8- bis 18-jährige Violinisten zu schaffen, das ein unterstützendes, musikalisches Umfeld bieten sollte.

Kallai hat für Perlman als einen Lehrer äußersten Respekt. Perlman vermittelt durch seine Expertise wertvolle musikalische Botschaften und besorgt für Studenten freigiebig die notwendigen Kontakte. Bei vielen Gelegenheiten bietet er ihnen die Möglichkeit, mit ihm auf der Bühne das Rampenlicht zu teilen. Aber es gibt noch ein weiteres Element, die seine berühmte Popularität zu kongenialer Zuneigung und Respekt von seinen Studenten wie Kallai erhebt und das ist sein Enthusiasmus. Perlman suchte Kallai nach dem Hören nur weniger Noten auf einem technisch nicht einwandfreien Vorspielband aus, das im Jahre 2003 dem ‘Perlman Music Program’ zugeschickt worden war. ”Ich hörte mit Toby, meiner Frau dem Band zu. Das ‘Perlman Music Program’ ist ihre Idee! Wir sagten uns beide sofort: ‘Wir werden ihn aufnehmen!’ Es gab etwas an seinem Spielen, was wir sehr gern mochten; er war ein Virtuose mit einem guten technischen Fundament und einem guten Klang und sein Stil und seine Haltung gegenüber dem Instrument waren besonders, in einer Art großen Tradition, genau wie ich Geigenspielen hören mag.”

Locker in seinem elektrisch betriebenen Rollstuhl sitzend – so als wäre es gerade mal die nächst verfügbare Sitzposition, erlaubt es Perlmans starker, freier Geist, nicht auf seine physischen Einschränkungen, die eine Folge seiner Ansteckung mit Kinderlähmung im Alter von vier Jahren sind, begrenzt zu sein oder von diesen definiert zu werden. Mit einem enormen Fundus an Stärke und Würde hat Perlman jede anfänglich antizipierte Beschränkung überwunden. Er hat nicht nur den größten Erfolg als Auftritts- und Aufnahmekünstler erreicht, sondern ist ein geselliger Lehrer, der an erster und vorderster Stelle beispielhaft die Bedeutung aufzeigt, ein echter “Mensch” zu sein.

 

Foto von Itzhak Perlmans Website

Sein Aktivismus für die Belange Behinderter ist weltbekannt und es ist teilweise dank seiner großen, künstlerischen Statur, dass ‘Carnegie Hall’ – wie auch andere öffentliche Institutionen  – die Notwendigkeit erkannt haben, Sessellifte zu installieren, als Ergebnis seiner Bemühungen, in gleicher Weise Zutritt zu haben.

“Ich hatte genug davon, mein Leben hinter der Kulisse in den Frachtfahrstühlen der Konzerthallen Amerikas zu verbringen.” (zitiert von Sand – ‘Teaching Genius’ S.190)

Bei Juilliard ist sein Studio mit einer Tür, die mit Fernsteuerung zu bedienen ist, ausgestattet, was ihm leichten Zutritt garantiert.

Itzhak Perlmans Mitwirkung am Unterrichten und dabei, das Orchester seines eigenen Programms zu leiten, führte zu einem umfassenderen Denken. Aus seinen Bemühungen auf Long Island entwickelte sich das Perlman Musik Programm des aus Israel Gebürtigen auch in Jerusalem und eine kürzere Winterversion in Sarasota.

“Mein erster Sommer auf Long Island fand im Jahre 2003 statt,” erinnert sich Kallai. “Ich war so begeistert, in das Programm aufgenommen worden zu sein und genoss jede Minute seiner sechs Wochen von intensiven Meisterklassen, Kammermusikgruppen und Orchesterproben und es gab auch die Teilnahme am Chor. Der ganze Tag war mit musikalischen Aktivitäten und etwa vier Stunden Privatunterricht an jedem Morgen angefüllt. Ich schloss viele Freundschaften; einige dieser Freunde studierten ebenfalls bei ‘Juilliard’. Danach wurde ich im folgenden Sommer wiedereingeladen und dann ebenso zum Winterprogramm in Florida. Als mich Herr Perlman im zweiten Jahr ansprach, ob ich mich nicht bei ‘Julliard’ als sein Student berwerben wollte, fühlte ich mich sehr geschmeichelt. Die Tatsache, dass er einen Student empfiehlt, ist natürlich eine großartige Chance, aber die anderen der sechs Jurymitglieder müssen ebensfalls zustimmen,” erklärt Kallai. Im Jahre 2006 machte sich Kallai auf den Weg nach New York zu Julliard, wo er in diesem Jahr 2012 im Mai sein ‘Master’ Programm abschließen wird.

 

Foto: Tamas Revesz

Kallai beschreibt Itzhak Perlmans Spielen als: ”Verschieden von dem eines jeden anderen. Aber er möchte nicht, dass ihn seine Studenten nachahmen oder irgendjemand anders. Er schafft es wirklich, dass man selbst nachdenkt, er sagt nicht alles, wir diskutieren viel und sehen, was inspiriert. In seiner Gegenwart zu sein, ist einfach großartig. Ich habe gelernt, mir selbst und der Musik im allgemeinen auf eine andere Weise zuzuhören. Nachdem ich ihn getroffen habe, kann ich nun klarer hören, wie die Struktur in der Musik verlangt, aufgebaut zu werden, wie man verschiedene Nuancen, mehr Farben und Klang hervorbringt. Selbst wenn diese Dinge in einem selbst sind, braucht man doch das richtige Feedback, damit diese sicher herauskommen, um dir Selbstvertrauen zu geben.”

“Als Erno den Juilliard Wettbewerb mit dem Prokofjew Konzert gewann,” sagt Perlman, und bezieht sich auf Kallais ‘Carnegie Hall’ Auftritte im Jahre 2008 von Prokofjews zweitem Konzert, ”war es recht offenkundig, dass er das Zeug zum großen Auftrittskünstler hat. Er ist in der Lage, während eines Auftritts seine Spontanität durch seine musikalische Inspiration aufrechtzuerhalten. Während des Auftritts passieren diese extra Sachen. Das Adrenalin, das auf der Bühne im Spiel ist, verhilft einem dazu, Dinge etwas anders zu machen. Es kann bis zu einem bestimmten Grade eingeübt werden, aber man fühlt das im Moment. Es ist dieser gewisse Gemütszustand, wo man tatsächlich – musikalisch gesprochen – improvisiert. Ich erzähle immer meinen Schülern – obwohl für sich allein genommen er nervenaufreibender ist, ist der erste Auftritt sehr leicht, weil, na klar, es das erste Mal ist. Aber was macht man beim zweiten, dritten Mal … um involviert zu bleiben. Genau dann ist es, wenn die eigene musikalische Inspiration gefordert ist…genau das und das aufmerksame Zuhören.” erläutert Perlman.

Foto: Nick Granito

Perlman steht hundertprozentig zu seinen Worten des Lobes. Im November nahm Kallai an Perlmans Arsht-Center Kammerkonzertauftritt in Miami teil. Während des 2012 Semesters wird Kallai auf einer Kammermusik-Tournee Perlman begleiten, die sie nach Mexiko, Toronto und Virginia führen wird. Seite an Seite mit seinem Mentor zu spielen, ist ein Erlebnis, das Kallai wertschätzen kann: ”Er nimmt wirklich seine Studenten als Musiker und Menschen ernst. Er fördert den individuellen Ausdruck in der Musik – genau wie er es am Abendtisch in seinem Hause tut. Wir – seine Studenten – fühlen uns schließlich wie zu seiner Großfamilie gehörig und lieben es vorbeizukommen, um zu spielen und mit ihnen zu sprechen, und oft kocht Toby – seine Frau – für uns, was immer etwas besonderes ist.”

Für Kallais kommende Auftritte, wie zum Beispiel sein Konzert im September im Louvre siehe seine Website: www.ernokallai.com

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