Zum Inhalt

„… als hätte ich gerade einen neuen Planeten entdeckt“

Die Begegnung mit der Orgelmusik des aus Stuttgart stammenden Komponisten Axel Ruoff (*1957) war „einer der besten Momente meines Lebens“, erklärt der Organist Jan Lehtola im Interview. Für das Label Toccata Classics hat er Ruoffs gesamtes Orgel-Oeuvre auf fünf CDs eingespielt. Burkhard Schäfer sprach mit dem Finnen über sein Faible für die Musik seines deutschen Freundes.

BS: Wann und unter welchen Umständen sind Sie Axel Ruoff und seiner Orgelmusik zum ersten Mal begegnet und wie kam es zu dem Projekt, sein gesamtes Orgelwerk für Toccata Classics aufzunehmen?

Jan Lehtola: Ich habe Axel zum ersten Mal 2014 in Vehmersalmi, Mittelfinnland, getroffen. Wir haben uns sofort sehr gut verstanden. Wenige Wochen später komponierte er ein neues Stück, eine Toccata für Klavier und Orgel. Inspiriert hatte ihn die CD, die meine Kollegin Annikka Konttori-Gustafsson und ich aufgenommen hatten. 2015 schrieb er dann eine Hornsonate für Petri Komulainen und mich und ein Jahr später die zweite Orgelsinfonie für mich allein. Diese Sinfonie habe ich 2017 in der Stuttgarter Stiftskirche uraufgeführt. 2019 habe ich Axel zuhause in Stuttgart besucht. Bei dieser Gelegenheit bat ich ihn, mir seine gesamte Orgelmusik zu zeigen. Ich war sehr überrascht, dass er so viele tolle Stücke hatte, die ich gar nicht kannte, und ich fühlte mich wie ein Astronaut, der gerade einen neuen Planeten entdeckt. Dieser Moment war einer der besten in meinem ganzen Leben. Danach war es ganz einfach, mit der Einspielung der Stücke zu beginnen. Die ersten Aufnahmen entstanden im März 2020 und die letzten im August 2022. Toccata Classics war an diesem Projekt sehr interessiert, da Ruoffs Musik ein so hohes Niveau hat.

BS: Was charakterisiert Ruoffs Orgelmusik? Was hat Sie daran spontan begeistert und fasziniert? Es gibt ja sowohl Orgelsolo- als auch Orgelkammermusikwerke von ihm…

Drei Aspekte haben mich als Organisten an der Orgelmusik schon immer besonders interessiert: erstens ihre technischen Herausforderungen, zweitens ihre orchestralen und instrumentalen Möglichkeiten sowie drittens die tiefere Musikalität und Persönlichkeit der einzelnen Stücke. Ich arbeite ständig daran, meine Virtuosität und technischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und habe mich schon immer zu einer Art von Musik hingezogen gefühlt, die innovativ aussieht. Es fasziniert mich, ungewohnte Klänge und neue technische Möglichkeiten zu erkunden. Axels Musik hat für mich immer alle diese Aspekte umfasst, zumal sie auch neue Einsatzmöglichkeiten der Orgel in Kombination mit anderen Instrumenten wie zum Beispiel dem Klavier oder diversen Blechblasinstrumenten erschließt.

BS: In welchem musikgeschichtlichen Kontext würden Sie die Tonsprache von Axel Ruoffs Orgelmusik verorten? Und welche Bezüge zur europäischen Orgelmusiktradition sehen Sie?

Axels Musik war in seiner Jugendzeit von avantgardistischen Verfahren geprägt. Später hat er auch Einflüsse aus der romantischen Orchestertradition aufgenommen. Die zweite Orgelsinfonie ist ein gutes Beispiel dafür. Auch wenn es Züge gibt, die an Mahler oder Schostakowitsch erinnern, kann seine Musik nicht im 19. oder 20. Jahrhundert komponiert worden sein. Bei aller Modernität von Axels Klangsprache ist sie in letzter Zeit weicher und dabei gleichzeitig reicher geworden. Ich höre in seinen Werken die Tradition, die im Oeuvre von Olivier Messiaen gipfelt. Seine großartige Komposition „Introduktion, Variation und Fuge über den Choral ‚Das Volk, das noch im Finstern wandelt‘“ aus dem Jahr 2005 schließt hingegen auf eine sehr eigenständige Weise an Max Reger und die deutsche Orgeltradition an.

BS: Welche technischen Anforderungen stellt die Musik an ihre Interpreten? Und welche Anforderungen stellen die Werke an die Registrierung? Wie sind Sie selbst dabei vorgegangen?

Axels Musik ist technisch gesehen immer schwierig, da er große Akkorde als oktatonische Trichord-Paare verwendet. Die Schwierigkeiten nehmen zu, wenn beide Hände gleichzeitig verschiedene Texturen in hohem Tempo spielen. Aber das ist auch das Beste an der ganzen Sache, denn wenn Geist und Körper anfangen, Neues zu lernen, ist die Motivation am höchsten. Im musikalischen Sinne sind seine langsamen Tempi und die statische Atmosphäre manchmal sehr schwer zu gestalten. Im Grunde schreibt Axel die Orgelmusik unserer Zeit sowohl technisch als auch inhaltlich so gut, dass sie jeder verstehen kann.

BS: Welche der Werke auf den fünf CDs inspirieren Sie besonders?

Ich mag seine Kammermusik sehr, zum Beispiel die Hornsonate, die Toccata für Klavier und Orgel, „Movere“ für Posaune und Orgel und „Regionen“ für Cello und Orgel. Alle Toccaten und die beiden Orgelsinfonien sind wirklich faszinierend. Der Grund dafür ist einfach: Ruoff hat sie mit hohen Ansprüchen geschrieben und er ist ständig auf der Suche nach etwas Neuem. Ich habe gehört, dass einige Organisten behaupten, ein Teil seiner Stücke wie die Toccata II „Schalen des Zorns“ seien nicht orgelähnlich. Aber was ist orgelähnliche Musik? Die Orgel ist ein sehr einfaches und leichtes Instrument. Jeder kann ihr einen Klang entlocken, was bei Streich- oder Blasinstrumenten nicht der Fall ist. Alle Herausforderungen sind also Möglichkeiten. Für mich ist diese zweite Toccata eines der besten Stücke von Ruoff, weil sie so furios ist. Es würde mich sehr interessieren, das Konzert für Orgel und Schlagzeug zu spielen. Ich suche immer noch nach einer Möglichkeit, es aufzunehmen, aber es ist nicht leicht, einen guten Saal mit einem guten Instrument zu finden, das für das Stück geeignet ist.

BS: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lehtola.


Axel Ruoff: Sämtliche Werke für Orgel (Orgel: Jan Lehtola)
Vol. 1 (Art. Nr. TOCC0567)
Vol. 2 (Art. Nr. TOCC0596)
Vol. 3 (Art. Nr. TOCC0610)
Vol. 4 (Art. Nr. TOCC0672)
Vol. 5 (Art. Nr. TOCC0709)

Published inKurzinterview

Schreibe den ersten Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert