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Evgeny Kissin feiert das Erbe jüdischer Kultur in Musik und Dichtung

Als Charles Krauthammer, der langjährige Kolumnist der Washington Post und Mitbegründer von ‘Pro Musica Hebraica’, der Organisation, die an diesem Abend als Gastgeber fungierte, Evgeny Kissin bei dessen jüngsten Konzert in Washington vorstellte, war es von Anfang an klar, dass es sich bei diesem Abend um etwas Besonderes handeln würde.

Foto: Margot Schulman

 

 

“Dem heutigen Konzert kommt gerade deshalb ein besonderes Gewicht zu, da Mr. Kissin am 7. Dezember 2013 die israelische Staatsbürgerschaft angenommen hat, als Zeichen unerschütterlicher Solidarität und aus Trotz angesichts der Versuche, israelische Künstler zu isolieren und auszuschließen. Heute Abend ist sein erstes Konzert als Israeli in den Vereinigten Staaten, sagte Krauthammer auf den aus Russland stammenden Pianisten mit britischem Reisepass, verweisend.

 

Aber über diese politische Haltung hinausgehend war es Kissins Programmauswahl, die das Publikum überzeugte, wie tief der Pianist sich den jüdischen Wurzeln verpflichtet fühlt. Sowohl was die Musik als auch das jiddische Wort anbelangt, bot Kissin eine faszinierende Einführung in ein Kulturerbe, dessen Reichtum keineswegs weit bekannt ist.  Foto: Marot Schulman

 

Natürlich ist es genau das, worum es bei ‘Pro Musica Hebraica’ geht. Von Krauthammer und seiner Frau Robyn ins Leben gerufen, ist es die Aufgabe der Organisation, die historische und geografische Verschiedenheit des jüdischen Kulturerbes durch eine Palette von Programmen zu erkunden, indem verlorengegangene und vernachlässigte Meisterstücke jüdischer klassischer Musik dargeboten werden.

 

Nun in ihrer siebten Spielsaison hat die Konzertreihe kantorale Musik, die Werke der vom Holocaust verfolgten Musiker, barocke jüdische Musik aus Amsterdam und Musik, die den Einfluss französischer romantischer Musik auf jüdische Komponisten in sich trägt, abgedeckt. Die Reihe hat so unterschiedliche Künstler wie den Kantor Netanel Hershtik, den Klarinettisten Alexander Fiterstein und den Pianisten Marc-André Hamelin vorgestellt.

 

“Die Serie versucht den Nachweis zu erbringen, dass es mehr an jüdischer Musik als die offensichtliche Auswahl von Hava Nagilah oder Klezmer gibt,” sagt Krauthammer. “Es gibt eine Fülle von Werken, die es verdient, einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt zu werden. Es ist unsere Hoffnung, diese Werke durch junge, charismatische Auftrittskünstler zu verbreiten, die sie bei ihren nächsten Auftritten mit einbeziehen und so ihre Sichtbarkeit und anhaltende Vitalität zu gewährleisten.”

 

Wer wäre dafür besser geeignet, als der Star-Pianist Evgeny Kissin, dessen persönliche Überzeugung und künstlerische Berufung mit dem übereinstimmt, was die Krauthammers zu erreichen suchen?

Foto:Margot Schulman

 

Kissin hat sichergestellt, dass der künstlerische Anspruch des musikalischen Teils des Abends auf keinerlei Weise kompromitiert wurde. Wie James Loeffler, der wissenschaftliche Direktor der Pro Hebraica Serie erklärt, wagte Kissin den Sprung ins kalte Wasser, in ein Repertoire, das ihm größtenteils ebenso unbekannt wie dem Publikum war.

“Mit Ausnahme von Bloch kannte Kisin nicht die russisch-jüdischen Komponisten aus dem 20. Jahrhundert. Erst nach einer eingehenden Prüfung von etwa fünfzig Partituren, die wir ihm zum durchsehen und Spielen schickten, hat er seine Konzertauswahl getroffen. Es handelte sich dabei um Stücke, bei denen er nicht das Gefühl hatte, einen Kompromiss hinsichtlich ihrer musikalischen Vitalität eingehen zu müssen; er wollte nie einfach Musik nur deshalb spielen, weil diese jüdisch war.”

 

Die endgültige Auswahl von Werken von Komponisten wie Moshe Milner, Ernest Bloch, Alexander Veprik und Alexander Krein ließ keinen Zweifel am hohen Niveau von Kissins Auswahl. Indem er den Konzertsaal zu einem von Lebendigkeit erfüllten Raum machte, in der jüdische Kultur zelebriert wurde, nahm der Pianist das Publikum mit auf eine musikalische und dichterische Reise, die von Werken gekennzeichnet wurde, die seine eigene, persönliche Art der Kennzeichnung jüdischer Identität beleuchten.

 

Moshe Milners dramatisches Farn Opsheyd (Vor dem Sich-Trennen) eröffnete das Abendprogramm. Vom Schöpfer der ersten jiddischen Oper im postrevolutionären Russland mit dem Titel Die Himlen brenen (Der Himmel brennt, 1923) komponiert, hat dieses Werk einen unwiderstehlichen modernistischen, seelenvollen Reiz. Milner war sehr von Scriabin angeregt worden und Farn Opsheyd beschwört eine ähnliche Klangwelt. Im letzten Jahr wählte Kissin Farn Opsheyd als musikalisches Segment einer Veranstaltung am New Yorker Zentrum für jiddische Geschichte, welches sein Engagemenet für jüdische Kultur und Dichtung, ehrte. “Bei jiddischer Kultur handelt es sich um einen wahren Schatz, nicht nur für das jüdische Volk, sondern für die ganze Menschheit” kommentierte er damals.   Foto:Margot Schulman

 

Die Sonate Nr. 40 des schweizerisch-amerikanischen Komponisten Ernest Bloch stand als nächstes auf dem Programm. Im Jahre 1935 geschrieben, hatte Bloch die Sonate dem italienischen Pianisten Guido Agosti gewidmet, der dieses Werk 1936 in Genf uraufführte.

Blochs Werk zeugt von eher thematisch- intellektuellen und indirekt fühlbarer Beziehung zu seinem Judentum. Den ersten Satz seiner Sonata, beschreibt der Komponist als einen von obskurem und metallischem Charkater, ohne eine Spur von Sentimentalität zu hinterlassen.” Der mittlere Satz  “Pastorale” basiert auf einer volksliedartigen Melodie, welche verschiedene Metamorphosen durchläuft, hindurch durch Arpeggio Verse und konventionelle Triller, die die idyllische Stimmung des Satzes zu begründen helfen; das Finale”…wie die große Hinterfragung des Lebens und der Zukunft, die sich im Unbekannten verliert.”

 

Blochs lebenslanges Bestreben, seine ästhetische Ideen und seinen spirituellen-kulturellen jüdischen Hintergrund in Verbindung zu bringen, werden in solchen Werken wie seinem Baal Shem Suite aus dem Jahre 1923 offensichtlich, viele tragen hebräische Namen und beinhalten den historischen Begriff vom Judentum und des jüdischen Altertums.

 

Kissin eröffnete die zweite Hälfte des Konzerts mit Alexander Vepriks Sonate Nr.2, Op.5, die 1924 komponiert worden war. Als einer der größten Komponisten der “jüdischen Schule” betrachtet, gehörte der in der Ukraine geborene Veprik einer Gruppe von Komponisten an, die im Jahre 1923 die Moskauer Gesellschaft für jüdische Musik gründeten. Diese erwuchs aus der Gesellschaft für jüdische Volksmusik, die im Jahre 1908 von einer Gruppe junger Musiker am Konservatorium in St. Petersburg gegründet worden war und von dem prominenten russischen Komponisten Nikolai Rimsky-Korsakov gefördert wurde. Das erneute Interesse an jüdischer Kultur führte durch die Zwanziger Jahre hindurch zu einem nie zuvor dargewesenen Aufblühen der Künste. Zu dieser Zeit erfreute sich Vepriks Oeuvre auch in Europa und den Vereinigten Staaten großer Beliebtheit. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin spielte fast das gesamte Oeuvre in der Zeit zwischen 1928-1929; in New York dirigierte Arturo Toscanini Vepriks Dances and Songs of the Ghetto im Jahre 1933 in der Carnegie Hall.

Während sowohl Vepriks als auch Milners Werke nur subtil nuancierte Intonationen, die an jüdische Volksmelodien erinnern, aufzeigen, ist Alexander Kreins Suite Dansee voll von jüdischen Elementen und bietet so einen sehr persönlich zugeschnittenen Einblick in ein Mileu, das Gefahr läuft, aus der Erinnerung zu verschwinden.

 

Zu einer Zeit, als zunehmender politischer Druck viele Künstler dazu brachte, Kompromisse hinsichtlich ihres persönlichen Stils einzugehen, holt Suite Dansee seine Anregung aus der modernen, harmonischen Sprache von Komponisten wie Debussy, Ravel und Scriabin. Einige von Kreins wichtigsten Werken basieren auf jüdischen und liturgischen Melodien, wie seine symphonische Kantate Kaddish, beziehen sich auf die frühen Zwanziger Jahre; er setzte bis hin in die Mitte der Vierziger Jahre seine Neudefinition der Melodien fort, die jüdischen Ursprung hatten.

 

Zwischen seiner Musikauswahl stellte Kissin eine Auswahl von Gedichten von Hayim Nahman Bialik und Yithak Leibush Peretz vor und bot so dem Publikum die einzigartige Gelegenheit, etwas über seine tiefgreifende Zuneigung an dem kulturellen Erbe, dem er sich verpflichtet fühlt, zu erfahren. Indem er die ergreifenden und oft psychologisch tiefgehenden, poetischen Verse rezitierte, verwöhnte Kissin sein Publikum mit dem rythmischen Trubel der tadellos ausgesprochenen jiddischen Verse und sein engelhafter Ausdruck hinterließ das Publikum mit einem fast jenseitigen Gefühl. Man musste nicht seine Phantasie zu sehr bemühen, um sich Kissin als kleinen Jungen vorzustellen, der Zeit in der Datshka seiner jiddisch sprechenden Großeltern väterlicherseits am Rande Moskaus verbrachte. Hier war es, wo er die Liebe zur jiddischen Sprache übernahm, und hinsichtlich derer er sich viele Jahre später entschloss, diese zu lernen, wie er mir einst beim Abendessen auf New Yorks ‘Upper West Side’ erzählte.

Und es war die Gewissheit der Gründer von Pro Musica Hebraica, dass “…jiddische Dichtung, die von der Bühne des Kennedy Centers rezitiert wurde, ein extrem einzigartiges und lohnendes Ereignis sein würde, die diesen speziellen Abend hat Wirklichkeit werden lassen.

 

Kissins erste öffentliche Rezitationen jiddischer Dichtung gehen auf das Jahr 2002 zurück, als Martin Engstroem vom Verbier Festival Kissin ersuchte, das Rezitieren von Dichtung in sein musikalisches Angebot einzubauen.  “Ich akzeptierte das unter der Bedingung, dass auch andere Musiker das tun. Zubin Mehta, Kiri Te Kanawa und Itamar Golan stimmten der Teilnahme an diesem Projekt zu. Unglücklicherweise wurde unmittelbar vor Beginn des Festivals Zubins Vater sehr krank und starb bald darauf, so dass es Mehta es unmöglich war, das Projekt weiterzuverfolgen. Und in der letzten Minute, nur wenige Tage vor ihrem Konzert, sagte Kiri Te Kanawa ab. Nur Itamar und ich blieben übrig. Ich war der erste, der ins Wasser sprang, “ erinnert sich Kissin. Aus seiner Liebe für jüdische Musik entsprang eine Aufnahme, die im Jahre 2010 veröffentlich wurde: ”On the Keys of Yiddish poetry”.

Foto:Margot Schulman

 

Wenn es also bei der Reihe hinsichtlich ihres Ziel darum geht, zu fragen, worin das Wesen jüdischer Musik besteht, und dann die Einzigartigkeit dieses Erbes über die Grenzen einfacher Etikettierung hinaus zu vermitteln, dann haben Kissins Darbietungen großartiger Werke jüdischer Musik und das Hinzufügen der vertraulichen Empfindung für die Welt jiddischer Dichtung dazu beigetragen, diesen Auftag weiter voranzubringen.

Ilona Oltuski

Published inGrenzüberschreitend

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