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Monat: Februar 2018

Zhu Xiao-Mei: Johann Sebastian Bach – The French Suites

In unserem eurozentristischen Weltbild verdrängen wir oft, dass das, was wir „westliche Musik“ (ob ihrer Provenienz) nennen, in Wirklichkeit längst universelle Musik geworden ist. Die Werke der großen Komponisten Bach, Beethoven, Mozart usw. nur durch die nationale Brille sehen zu wollen, wäre zu kurzsichtig. Denn so wie Bach und alle anderen Komponisten stets den Einflüssen anderer Kulturen ausgesetzt waren, so beeinflusst die Musik die Menschen weit über die Grenzen hinweg. Die besten Interpreten, die man einst in der Heimat des Komponisten suchte, kommen heute aus aller Herren Länder: Bach-Spezialisten aus Japan, Beethoven-Experten aus Argentinien, Mozart-Interpreten aus Belgien, Wagner-Sänger aus Südkorea. Die Musik ist heute das, was sie von der Anlage immer war: wahrhaft international.

Als die chinesische Pianistin Zhu Xiao-Mei in die Wirren der maoistischen Kulturrevolution geriet, war sie jung, zu jung, um als „Wunderkind“ keinen Schaden zu nehmen. Sie bestand mit sechs Jahren die Aufnahmeprüfung zum Konservatorium, gab mit acht Jahren ihr erstes Konzert. Musik, speziell „westliche Musik“, galt aber damals in China als „bourgeois“, der Bauernschaft unnütz. Die junge Xiao-Mei wird von der Propaganda angesteckt eine glühende Rotgardistin und sie gerät in die Mühlen der Kulturrevolution. Sie bricht ihre Ausbildung ab, denunziert Lehrer und landet schließlich selbst in einem Umerziehungslager. Genau dort, zwischen harter Arbeit, psychologischer Gehirnwäsche und politischer Indoktrinierung entdeckt sie ihre Liebe zur Musik wieder, speziell zu Bach. 1974 kehrt sie nach Peking zurück, gibt 1976 wieder Konzerte und flieht 1980 über Hongkong in die USA, vor dort aus geht sie 1985 nach Frankreich. Ihre Autobiografie „Von Mao zu Bach. Wie ich die Kulturrevolution überlebte“ liest sich wie ein Roman und doch ist es die wahre Lebensgeschichte der Pianistin.

Stephane Ginsburgh: Anthony Burgess – The Bad-Tempered Electronic Keyboard, 24 Preludes and Fugues

Kennen Sie Anthony Burgess? Natürlich. Der Autor von „Uhrwerk Orange“ (im Original: „A Clockwork Orange“, 1962) gehört zu den meistgelesenen Autoren des ausgehenden 20. Jahrhunderts, auch wenn kein anderes seiner Bücher nur annähernd an den Erfolg der Dystopie um Alex und seine Droogs anknüpfen konnte. Die Verfilmung von Stanley Kubrick (1971) tat ihr Übriges. Viel unbekannter als „der Schriftsteller Burgess“ ist „Burgess, der Komponist“, obwohl es sich dabei um ein und dieselbe Person handelt. Neben seiner schriftstellerischen Arbeit hat er immer auch komponiert. In 60 Jahren produktiven Lebens entstanden über 250 Werke. »Ich wünschte, die Leute würden mich als Musiker sehen, der Romane schreibt und nicht als Romanautor, der Musik nebenbei schreibt« formulierte Burgess sein Selbstverständnis (vielleicht etwas überspitzt und nicht ohne Selbstironie).

Burgess stammte aus einem musikalischen Haushalt: Seine Mutter war Sängerin und Tänzerin (als „the Beautiful Belle“) in den Music-Halls des ausgehenden 19. Jahrhunderts, sein Vater war Pianist, zunächst in denselben Music-Halls wie seine Ehefrau, später begleitete er Stummfilm-Aufführungen in den Kinos. Anthony Burgess selbst arbeitete als Pianist in den 1940er Jahren und versuchte bis Mitte der 1950er Jahre seine Karriere als Komponist zu lancieren. Als dies scheiterte, wandte er sich „vorläufig“ der Schriftstellerei zu – mit deutlich mehr Erfolg – um ab Mitte der 1970er Jahre wieder verstärkt zu komponieren. So schrieb er 1979 ein Violinkonzert für Yehudi Menuhin, mit dem er befreundet war und 1985 „The Bad-Tempered Electronic Keyboard“, der Titel (»die schlecht-temperierte (übel gelaunte) elektronische Klaviatur«) offensichtlich eine ironische Verneigung vor seinem Idol Johann Sebastian Bach.

Der Autodidakt komponierte „The Bad-Tempered Electronic Keyboard“ anlässlich des 300. Geburtstags des Eisenacher Komponisten mithilfe eines Apple Computers und eines Casiotone 701 Synthesizers binnen weniger Wochen, laut Manuskript zwischen dem 23. November und dem 13. Dezember 1985. Die Flüchtigkeit ist hie und da, seien wir ehrlich, dem Ergebnis anzuhören. Bach war wohl nicht der einzige Pate seines Zyklus’. Da Schostakowitsch explizit zu seinn zeitgenössischen Lieblingskomponisten zählte, ist es mehr als wahrscheinlich, dass auch Dmitri Dmitrijewitschs „24 Präludien und Fugen“ Burgess im Kopf umherschwirrten, als er seinen eigenen Klavierzyklus in allen Dur- und Molltonarten, chromatisch aufsteigend angeordnet von C-Dur bis h-Moll, schrieb. „The Bad Tempered“ Zykus ist mal kontrapunktisch streng, mal modern und kühn, mal sind Einflüsse aus dem Jazz zu erkennen, mit dem er einst als Pianist seine ersten Brötchen verdiente. „The Bad-Tempered Electronic Keyboard“ ist ein vielleicht kurioses, aber letzten Endes kein belangloses Amateurwerk, sondern ein zumindest stellenweise kunstvoll kontrapunktisches, originelles und immer wieder überraschendes Werk eines talentierten Amateurs.

Sergei Dogadin · Nikolai Tokarev: Dmitri Shostakovich – Violin Sonata · 24 Preludes (arr. violin and piano)

Während die großen Orchesterwerke, insbesondere die Sinfonien Dmitri Schostakowitschs, unter besonderer Beobachtung der stalinistischen Kulturschergen standen, konnte sich der Komponist in seiner Kammermusik freier und ungezwungener ausdrücken. Und so sind seine Kammerwerke oft unmaskierter in ihrer Stimmung. Kein vordergründiger Optimismus, keine aufgezwungene Melodien-Seligkeit, stattdessen ein ungefilterter Schostakowitsch: ehrlich, melancholisch, düster, ironisch, sarkastisch, bitter und resigniert.

Schostakowitschs einzige Violinsonate entstand 1968 und gilt als eines seiner intensivsten und kryptischsten Werke: fragmentarisch im ersten Satz, schroff und dissonant im Mittelteil und beklommen im Schlusssatz. Gemeinsam mit der Cellosonate (aus dem Jahre 1934) und der Violasonate (sein Schwanengesang von 1975) gehört die Violinsonate zu einer Art losem Triptychon von Solo-Sonaten, in denen Schostakowitschs Klangsprache (und deren Wandel im Laufe der Jahre) am kompromisslosesten umgesetzt wurde.

Die „24 Präludien für Klavier solo“ op. 34 entstanden 1932/33 und waren ein moderater Erfolg für den gerade von der Prawda wegen seiner Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ vernichtend kritisierten Schostakowitsch. Schon bald nach der Uraufführung (durch Schostakowitsch selbst, niemand wollte seine Musik spielen) begann der Violinist Dmitri Tsyganov 1937 erst vier, später (1961 und 1963) fast alle anderen Präludien für Violine und Klavier einzurichten. Tsyganov war Mitglied des Beethoven-Quartetts und stand der Musik Schostakowitschs sehr nahe: Sein Ensemble zeichnete sich für die Uraufführungen einiger Streichquartette verantwortlich. Die Komponistin und Pianistin Lera Auerbach vervollständigte den Zyklus für Klavier und Violine im Jahr 2000 und arrangierte die letzten fünf fehlenden Präludien. Zusammen mit der Violinsonate sind sie das einzige Schostakowitsch-Material, das für Geige und Klavier vorliegt.